Blogbeitrag

Solidarität Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

„Himmelreich“ – Solidarität statt Privilegien

14. September 2023

Sonntagsbotschaft zum 17. September 2023, dem 24. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A). 

Nehmen wir mal an: Ein reicher Mann ist auf den Hund gekommen und schuldet einem noch reicheren eine Riesensumme Geld. Die letzte ihm eingeräumte Frist ist verstrichen und er kann einfach nicht zahlen. Regeln für eine Privatinsolvenz oder sonst irgendeinen Schutz für Schuldner gibt es noch nicht. Und der Gläubiger besteht auf seinem Recht. Familie und Erben des Schuldners werden in Mithaftung genommen. Alles soll ihm genommen werden. In dieser Situation bittet er den Gläubiger um einen Zeitaufschub, um seine Schulden zu bezahlen.

Was geschieht?

Der Gläubiger gewährt ihm nicht nur den erbetenen Aufschub, sondern er erlässt ihm sogar geschenkweise die gesamte Schuld!

Unglaublich! Und was für ein Glück für den Schuldner!

Diese angenommene Szene wandelt – ein wenig modernisiert – ein Bild ab, das Jesus damals in einem seiner Gleichnisse malt. Er beschreibt damit einen Wesenszug dessen, was er „Himmelreich“ nennt – oder anderswo „das Reich Gottes“, „Gottes Königsherrschaft“. Wir würden vielleicht sagen „So läuft’s, wenn Gott regiert“.

In dem Evangeliums-Text, der für diesen Sonntag vorgesehen ist,
beginnt das Gleichnis so:

Mit dem Himmelreich
ist es … wie mit einem König,
der beschloss,
von seinen Knechten Rechenschaft zu verlangen.
Als er … mit der Abrechnung begann,
brachte man einen zu ihm,
der ihm zehntausend Talente schuldig war.
Weil der aber das Geld nicht zurückzahlen konnte,
befahl der Herr,
ihn mit Frau und Kindern
und allem, was er besaß, zu verkaufen
und so die Schuld zu begleichen.
Da fiel der Knecht vor ihm auf die Knie und bat:
Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen.
Der Herr des Knechtes hatte Mitleid,
ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld.

So. Das ist – nach Jesus – ein wesentlicher Zug dessen, was auf die Menschen einwirkt, wenn „der Himmel“ herrscht?

Und wie wird sich diese verblüffende Erfahrung auswirken auf den Menschen, der – so reich beschenkt – jetzt wieder unter seinesgleichen zurückkehrt?

Jesus erzählt die Geschichte weiter:

Als nun der Knecht hinausging,
traf er einen Mitknecht,
der ihm hundert Denare schuldig war.
Er packte ihn, würgte ihn und sagte:
Bezahl, was du schuldig bist!
Da fiel der Mitknecht vor ihm nieder und flehte:
Hab Geduld mit mir!
Ich werde es dir zurückzahlen.

Er aber wollte nicht,
sondern ging weg
und ließ ihn ins Gefängnis werfen,
bis er die Schuld bezahlt habe.

Wie finden Sie das – zumal die hundert Denare nur ein winziger Bruchteil der zehntausend Talente sind?!

Jesus setzt fort:

Als die Mitknechte das sahen,
waren sie sehr betrübt;
sie gingen zu ihrem Herrn
und berichteten ihm alles, was geschehen war.
Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm:
Du elender Knecht!
Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen,
weil du mich angefleht hast.
Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht
Erbarmen haben müssen,
so wie ich mit dir Erbarmen hatte?
Und in seinem Zorn
übergab ihn der Herr den Peinigern,
bis er die ganze Schuld bezahlt habe. …
(Matthäus 18,21-35)

Schäbig ist sein Verhalten. Wenn es auch noch so perfekt den Gesetzen von Recht und Ordnung entsprechen mag. Erbarmungslos, skandalös, … Dem „Recht“ und seiner Akzeptanz im Volk tut er einen schlechten Dienst, da er es nur für seine eigenen Interessen und Zwecke ausnutzt.

Er verschließt sich der Erfahrung, wie reich beschenkt er ist mit wunderbaren Möglichkeiten für ein erfülltes Leben.

Aus dankbarer Freude daran das alles solidarisch mit den anderen teilen zu wollen, vor allem mit denen, die viel weniger als er selber davon abbekommen haben, das liegt ihm sehr fern.

Solche Verweigerung und Widerstand dieser Art gegen eine „Herrschaft des Himmels“ für ein gutes Leben aller Menschen – das beklagt die Bibel und Gottes Stimme in ihr von Anfang bis zum Ende.

Jesus sagt:

Wenn eure „Gerechtigkeit“
nicht weit größer ist
als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer,

also der gutsituierten Ordnungsbewahrer,

dann versperrt ihr euch selber
den Zugang zum „Himmelreich“!
(Matthäus 5,20)

Und schon der alttestamentliche Prophet Hosea richtet Gottes traurige, enttäuschte Klage aus:

Mit menschlichen Fesseln zog ich sie,
mit Banden der Liebe.
Ich war da für sie
wie die, die den Säugling an ihre Wangen heben. …
Sie aber haben nicht erkannt,
dass ich sie heilen wollte.
(Hosea 11,3-4)

Und der weisheitliche Text aus der Bibel, der an diesem Sonntag als erste Lesung zu hören ist, beklagt kopfschüttelnd seine verallgemeinerte Erfahrung:

Mit einem Menschen gleich ihm
hat er kein Erbarmen,
aber wegen seiner Sünden
bittet er um Verzeihung?
(Sirach 28,4)

Im Miteinander der Menschen kann der „Himmel“ nur dann herrschen, wenn die Beteiligten es wollen.

Wie aber der neue beglückende Lebensstil dann aussehen kann, das hat Jesus drei Jahre lang mit seinem Verhalten aufgezeigt. Und er hat sich den Mund fusselig geredet, um verständlich zu machen: Das geht natürlich nur dann, wenn ihr euch dazu bewegen lasst! Der „Himmel“ ist schließlich kein Zwangssystem, sondern er wirkt mit euch auf Augenhöhe und nur mit eurer Zustimmung! Wenn ihr euch aber verweigert, werdet ihr euch weiter kaputtmachen – euch selber und gegenseitig – in eurem Zwangssystem von Lohn und Strafe, von Sieg und Niederlage, von Wettstreit und Kampf, von Besser-und-mehr-sein-Wollen als die Anderen!

Dabei geht es doch wirklich auch anders:

Immer wieder überfällt mich geradezu die Einsicht: Was geht‘s mir gut! Und dann bin ich ganz schnell bei dem Psalm, der davon Wesentliches aufzählt – und der übrigens auch wohlweislich für diesen Sonntag als Antwortpsalm vorgesehen ist:

Preise den HERRN, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!
Der dir all deine Schuld vergibt
und all deine Gebrechen heilt,
der dein Leben vor dem Untergang rettet
und dich mit Huld und Erbarmen krönt, …
(Psalm 103,2-4)

Ja, Stunden lang könnte ich davon erzählen.

Aber dann habe ich auch schnell ein Problem: Ich sehe so viele andere, denen es gar nicht gut geht! Das macht mich unruhig und damit kann ich es auch nicht mehr unvermindert genießen, wie gut es mir geht.

Welche Konsequenz will ich daraus ziehen?

Ich denke, das kommt darauf an, aus welcher Perspektive ich diese Situation anschaue:

Wenn es mir darum geht, mein Gewissen zu beruhigen, werde ich für gute Zwecke Geld spenden – in einer Höhe, bei der ich anfange, mit mir zufrieden zu sein.

Aber wenn es mir darum geht, das schmerzhafte Elend so vieler Mitmenschen optimal zu bekämpfen, weiß ich sofort: Meine noch so wohltäterische Spende kann nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Und so manche Reichen-Lobby wähnt sich dann entlastet und ruht sich aus auf der Großzügigkeit vieler kleiner Spender.

Also werde ich außerdem nach politischen Wegen suchen, die mehr Möglichkeiten erschließen.

Als erstes sehe ich da die mögliche Gemeinschaft mit den Anderen, die auch in der Feier dieses Sonntags von diesen Bibeltexten berührt werden. Da besingen wir ja miteinander das „Himmelreich“, das Jesus verkündet und neu angefangen hat:

Deinen Tod, o Herr, verkünden wir,
und deine Auferstehung preisen wir, …

Da kommt uns gemeinsam in den Blick der Abend vor seinem Leiden, an dem er im Kreis seiner Anhänger sein gesamtes Engagement zusammenfasst: „Begreift ihr, was ich bei euch getan habe?“ Er erinnert sie, wie er Gottes andere Art zu regieren, verkörpert hat: an die Priorität, dass es allen – ihrer Menschenwürde gemäß und in allen Formen ihres Gemeinwesens – dass es ihnen allen gut gehen soll. Was er drei Jahre lang mit Argumenten öffentlich transparent gemacht und mit zeichenhaften Handlungen überzeugend begonnen hat, das mündet jetzt in seinen Abschied: Macht es auch so! Ihr habt ja gesehen: Es geht! Fangt ihr gemeinsam so an, dass ihr die anderen damit ansteckt! Was euch wichtig ist, teilt es miteinander und mit allen: das Brot, das ihr braucht; den Wein, an dem ihr eure Freude habt; alle Chancen, die doch auch für Arme und Schwache, für Zöllner und Sünder offen stehen sollen! Dient einander so, dass es möglichst allen möglichst gut geht – auch wenn ihr euch manchmal dafür klein macht und anderen die Füße waschen müsst! Ich habe euch ein Beispiel gegeben.

Im Halleluja-Ruf vor dem Evangelium dieses Sonntags sagt sein Wort:

Wie ich euch geliebt habe,
so müsst auch ihr einander lieben.

Die Fortsetzung dieses Wortes lautet im Johannes-Evangelium, aus dem es genommen ist:

Und daran werden dann auch alle erkennen,
dass ihr zu mir gehört
und von meiner Art seid:
wenn ihr einander liebt.
(vgl. Johannes 13,34-35)

Dann wird die Menschheit neuen Mut fassen und auch versuchen, was möglich ist.

Im Psalm hieß das: Schuld? Ist vergeben! – Gebrechen? Sind geheilt! – Bedrohtes Leben? Wird gerettet!

Auf heute übertragen: Dann werdet ihr sehen: Das Klima wird bewahrt und macht euch nicht kaputt! Kinderarmut, Altersarmut bei euch und Armut weltweit findet ein Ende!

Ihr müsst gar nicht in allem im Wettbewerb um den besten Platz stehen. Gutes Überleben für alle geht in solidarischer Ergänzung!

Ja, Jesus ist die leibhaftige Gestalt des ersehnten und verheißenen „Himmelreichs“. Bei ihm können Menschen auch heute das erfahren. Wenn sie es nur wollen!

Sie feiern es ja schließlich – nehmen ihn sogar in sich auf – in Wort und Sakrament!

Da bricht sich erst die Freude daran ihre Bahn. Und dann will das keiner für sich alleine behalten; alle „müssen“ das miteinander teilen!

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