Blogbeitrag

Im Strom der Veränderungen

9. März 2021

Sonntagsbotschaft zum 14. März 2021
(4. Fastensonntag / B)

  Fragestellung 

„4. Fastensonntag“ – in der traditionellen Kirchensprache. Genauer gesagt: „4. Sonntag der Österlichen Bußzeit“, also: der Kurskorrektur auf neues Leben hin. Halbzeit zwischen Asche und Feuer – auf dem Weg durch die sogenannten „heiligen 40 Tage“. Ist immer noch alles „Asche“? Oder zeichnet sich da schon neues „Feuer“ ab?

Wahlsonntag. Hessische Kommunalwahlen, Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Was darf man sich erhoffen? Welche Veränderungen ermöglicht das? Welche Entwicklungen können da korrigiert werden?

Covid19 strapaziert die Geduld der Menschen. Oder sind es eher die Maßnahmen zum Schutz gegen seine Ausbreitung? Immer mehr Menschen bringen beides durcheinander, sie fallen über die Entscheidenden und ihre Lösungsversuche her. Kein Wunder in einer Zeit, in der wir schon gemeint hatten, wir hätten alles perfekt unter Kontrolle. Zwischen Lock-down und Lock-erung wirtschaftliche Existenzgefährdungen und Entwicklungsprobleme der Kinder und so weiter. Zugleich wollen Chancen genutzt werden für neue Weichenstellungen.

Von der medialen Öffentlichkeit nur gestreift werden die Wogen der Schwangerschaft von Synodalem Weg und von Ökumenischem Kirchentag. Wessen Geistes Zeichen werden Oberhand gewinnen?

Am Donnerstag der neuen Woche will Kardinal Woelki ein neues Gutachten öffentlich machen. Wird sich eine Sichtweise aus der Perspektive der Betroffenen durchsetzen, die das ihnen zugefügte Unrecht und Leid anerkennt?

Unsere aktuelle Zeit ist anstrengend. Das dürfen und müssen wir uns selber und gegenseitig zugestehen. Mitten in der Fahrt zeigen sich so viele Weichen, die uns provozieren und unsere Stellungnahmen und Entscheidungen herausfordern. Da tun sich Chancen auf! Aber vieles duldet auch keinen Aufschub: Gründliche Analysen und Debatten, wenn sie nicht im Vorfeld schon geschehen sind, gehen nicht mehr. Klar, dass wir dann Fehler machen.

Und wie ist das eigentlich mit Gott? Hält der sich aus allem raus? Das würde ihm eigentlich nicht entsprechen. Einer, der uns alleine lässt, wenn es drauf ankommt? Nein, so einer ist er nicht. Aber in welcher Weise steht er da uns Menschen bei?

Die Antwort, dass er uns doch schon gesagt habe, was wir tun sollen, und wir ihm nur besser gehorchen müssen, – das dürfte zu kurz greifen. Bei aller Anerkennung, dass es sicher hilfreich ist, in der Vielfalt der Stimmen seinem Wort Vorrang einzuräumen.

Es bleibt die Frage, ob angesichts unserer verbreiteten Hilflosigkeit und Zerstrittenheit Gott selber auch etwas tut. In der Bibel zeigt sich, dass Menschen schon immer Gott den Vorwurf gemacht haben, er schläft.

Andererseits setzt die Bibel durchgängig voraus, dass Gott handelt.

Das geht aber nicht ohne Probleme: Er kann schließlich nicht einfach dazwischenfunken, Zusammenhänge von Ursache und Wirkung oder irgendwelche Naturgesetze außer Kraft setzen. Dann würde er uns ja die Möglichkeiten zur eigenen Orientierung wieder nehmen. Menschen sollen doch die Chance zur Kreativität und zur Eigenverantwortlichkeit zuverlässig nutzen können, ohne dass da ein übermächtiger Zauberer einfach Fakten schafft. Nein, Gottes respektvolle Liebe verbietet es ihm, so die Würde des Menschen zu verletzen.

Wenn Gott uns aber auch nicht einfach in den Untergang rennen lassen kann, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich Wege für sein Eingreifen einfallen zu lassen, die einerseits helfen, die andererseits aber auch die Menschen nicht überwältigen.

Und wenn er tatsächlich spektakulär eingreift, muss er es so machen, dass das Geschehen mehrere Deutungen zulässt. Er kann nicht riskieren, dass die Menschen sich eindeutigen „Beweisen“ für sein Eingreifen unterwerfen und sich so zum Glauben an ihn gezwungen sehen. Nein, die Beziehung zu ihm muss durch Vertrauen geprägt sein und durch partnerschaftliche Liebe auf Augenhöhe – wenn auch zwischen ungleichen Partnern.

Nehmen wir nur dieses Beispiel: Wenn die Menschheit angesichts der drohenden Klimakatastrophe sagen würde: Gott wird uns sowieso retten. Der lässt uns nicht in den Untergang gehen. Also können wir ruhig weiter alles riskieren. – Was für ein unglaublicher und unwürdiger Vertrauensmissbrauch wäre das!

Wie lässt sich aber der krasse Kontrast auflösen zu der vertrauenden und hoffnungsvollen Überzeugung von Gott als der herrschenden Kraft in unserer Geschichte?

Die vielleicht einfachste Lösung vertritt die These, Gott sei überhaupt nur eine Fiktion. Die Menschheit müsse halt wissen, was sie will, und sich dann darum kümmern. …

Offen gesagt: Jenseits aller gedanklichen Bemühungen, Licht in diese Frage zu bringen, steht für mich persönlich völlig außer Frage: Gott hat in meinem Leben – und nicht nur da! – derartig viel und Wesentliches zum Guten gewendet und glückliche Perspektiven eröffnet, dass ich ihm nur froh und dankbar auch seine liebende Sorge für eine gute Zukunft zutrauen kann – auch jenseits meiner Vorstellungskraft – auch durch alles mögliche Leid und Elend hindurch.

Mein Problem ist nur: Es gelingt mir so wenig, das anderen Menschen zu kommunizieren; es verständlich und einleuchtend rüberzubringen. Andere müssen ja nicht zustimmen – obwohl das schön wäre – , aber ich möchte mich verständlich machen und zwar so, dass sie merken: Grund für diese Sicht ist meine freie Entscheidung, für die ich gute Gründe habe aus meinen Erfahrungen und Einsichten. Davon könnte ich stundenlang erzählen und schwärmen.

Dass Gott einwirkt auf das tägliche Leben des Menschen wie auch auf die Entwicklungen in der Geschichte der Menschheit, ist grundlegendes Gemeingut der abrahamitischen Religionen.

Und was dürfen wir da von ihm erwarten? In welche Richtung geht das, was wir von ihm erhoffen können?

Mir fallen dazu spontan eine Reihe von Worten aus der Bibel ein, mit denen Jesus selber die Zielrichtung seines Handelns benennt:

„… damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“
(Johannes 10,10)

„… ich bin … gekommen, um … die Welt zu retten.“
(Johannes 12,47)

„Selig die … Armen, Gewaltlosen, Trauernden, Sanftmütigen, …“
Denn er steht für die Wende ihres Schicksals!
(vgl. Matthäus 5,2ff)

„… damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze …“
(Lukas 4,18)

Das Evangelium dieses 4. Fastensonntags

erzählt von der Begegnung zwischen Jesus und Nikodemus. Er ist auch einer von denen, die gern mehr Klarheit hätten, inwiefern Gott auf die Geschehnisse einwirkt und welchen Stellenwert Jesus darin einnimmt.

Nikodemus ist Ratsherr in Jerusalem und in der Schrift gelehrter Pharisäer. Er hat Jesus aufgesucht. Jesus lässt sich auf ihn ein und versucht, ihm einen neuen Blick zu vermitteln, dem Gott sich als die herrschende Kraft zeigt. Zu einer grundlegenden Neuorientierung und Veränderung seines Lebens will er ihm verhelfen. Wie weitgehend Jesus die Veränderung versteht und für wie wichtig er sie hält, zeigt er in seinem Vergleich mit einer Neugeburt:

„Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
(Johannes 3,3)

So hatte Jesus am Anfang zu ihm gesagt.

Aber das hat dem Nikodemus nur neue Fragen ausgelöst. Denn die Art, wie Jesus auf die Realitäten dieser Welt schaut, das ist ein anderer Blick

als die auch uns heute vertraute herrschende und gewohnte Sichtweise und Sozialkultur. Um die Fremdheit zu überwinden, die seine Art hinzuschauen auslöst, braucht es die Offenheit und Bereitschaft für eine Art Neugeburt. Dann kann sich vor den Augen des Nikodemus das Reich Gottes auftun: Gottes Herrschaft in den wichtigen Dingen des Lebens.

Nikodemus bringt die neugierige Offenheit dafür anscheinend mit. Eigentlich wie ein getaufter Christ, der – „in Christus neugeboren“, wie das Tauflied es nennt – bei ihm das neue Gesicht des Lebens sucht in den oft unübersichtlichen Zusammenhängen und verwirrenden Strömungen der Zeit.

Und so hilft Jesus durch diese Begegnung mit Nikodemus – und auch mit uns heute –, einen „Blick“ seiner Art zu entwickeln. Das ist die Situation.

Jesus fängt mit einem Bild an:

„Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, …“

Eine sehr archaisch anmutende Szene aus der Ur-Zeit des Volkes Israel. Worum geht es da?

Nach der rettenden Flucht aus der Sklaverei in Ägypten zieht das Volk durch die Wüste. Hunger leiden sie, Durst, vielfältige Entbehrungen. … Sie fürchten, sie sind mit ihrer Befreiung nur vom Regen in die Traufe gekommen. Es geht ihnen ziemlich dreckig. Und dann kommt es noch schlimmer:

… Giftschlangen bissen die Menschen, viele Israeliten starben. Die Leute schrieen zu Mose: … Bete zum Herrn, dass er uns von den Schlangen befreit. …  Und der Herr antwortete dem Mose: „Mach dir eine Schlange und häng sie an einer Fahnenstange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht.“

So erzählt die Bibel in Numeri 21 von der damaligen Situation des Volkes.

Mose macht also eine Schlange aus Kupfer und hängt sie an einer Fahnenstange auf. Und dann heißt es:

Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, wurde er gerettet und blieb am Leben.“

Im Gespräch mit Nikodemus sagt Jesus nur: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, …“ Jesus durfte davon ausgehen, dass Nikodemus die Geschichte kennt. Und dann sagt er, worauf er mit diesem Vergleich hinaus will:

… so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm ewiges Leben hat.

„Der Menschensohn – erhöht“? –

Jesus spricht von seiner Lebenshingabe. Sie mündet darin, dass er ans Kreuz hinauf aufgehängt wird.

Und Gott erkennt ihm seinen Weg in diese tiefste Erniedrigung an als die höchste Form göttlicher Liebe zu den Menschen. Also zeigt Gott ihn ihnen neu lebendig als rettender göttlicher Gefährte – vor allem in Not aller Art. So beginnt dem Leben eine neue Dimension: Ewigkeit.

Jesus setzt also fort:

Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, …

Und er wiederholt dieselben Worte, mit denen er die Zielrichtung seiner „Erhöhung“ benannt hat:

… damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern ewiges Leben hat.

Das ist das Wesentliche, für das Nikodemus – der von damals und wir von heute – einen Blick entwickeln kann. Der neue Blick sieht alles im Zusammenhang mit Jesus und seiner Lebenshingabe.

Folglich:

Ich sehe mich da hinein einbezogen, stimme dem vertrauend zu, sehe mein Leben jetzt darin gegründet und gehalten, halte also danach Ausschau in allem, was geschieht … So verstehe ich sein Wort „jeder, der an ihn glaubt“.

„Ewiges Leben“? – Das ist mehr als „Leben“. Das umspannt sogar den Tod. Dann ist mein Leben – durchaus in dieser Welt – und meine Wahrnehmung davon um eine Dimension reicher. Was natürlich Konsequenzen hat auf meine Einstellung zu allem und auf mein entsprechendes Verhalten.

Das ist aber eine weitgehende Korrektur verbreiteter frommer Vorstellungen. Das muss man wissen, Jesus macht darauf aufmerksam:

Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.

Manchmal erlebe ich es: Ich bin einer von vielen in einer großen Gemeinschaft von Menschen mit dieser Sicht vom Leben … Da erahne ich eine neue Zukunft für unsere Welt!

Um die Veränderung geht es Gott. Um Veränderung ist es ihm schon immer gegangen: um die Verwandlung der Tiefe, der Niedrigkeit, der Unterdrückung, der Entwürdigung, der Niedergeschlagenheit, ja des Todes aller Art in ein erneuertes Leben.

Auf ihn selber bezogen, geht es um die Verwandlung des Galgens in ein Zeichen des Sieges. Um die Verwandlung seiner Erniedrigung in die alles übersteigende Erhöhung. Um die Verwandlung des tödlichen Kreuz-Weges in die Auferstehung zur Fülle des Lebens.

So will Gott die herrschende Kraft sein, die aus all den menschenfeindlichen herrschenden Kräften rettet! Dafür einen Blick haben! Dem trauen! Sich darauf einlassen! Das verändert alles!

So muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat.

Er möchte so gerne, dass wir das auch so sehen können, wenn Ströme von Veränderungen, wenn Unheil, Krisen, „Tode“ aller Art uns verunsichern und belasten wollen!

 

Bild: Privataufnahme des Gemäldes „Eherne Schlange“ von Fjodor Bruni (1799-1875), Staatliches Russisches Museum St. Petersburg

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