Sonntagsbotschaft zum 15. Januar 2023, dem 2. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A).
Sehr kryptisch klingt das, wie die Botschaft aus der Bibel für diesen Sonntag redet. Aber da reizt auch etwas zum Aufhorchen. Es beginnt schon in der 1. Lesung aus dem Jesaja-Buch:
Der HERR sagte zu mir:
Du bist mein Knecht, Israel,
an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will.
Jetzt aber hat der HERR gesprochen,
der mich schon im Mutterleib
zu seinem Knecht geformt hat,
damit ich Jakob zu ihm heimführe
und Israel bei ihm versammelt werde.
So wurde ich in den Augen des HERRN geehrt
und mein Gott war meine Stärke.
Und er sagte:
Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist,
nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten
und die Verschonten Israels heimzuführen.
Ich mache dich zum Licht der Nationen;
damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.
(Jesaja 49,3.5-6)
Wer ist „ich“, zu dem „der HERR“ das sagt? Seine Herrlichkeit will ER an „mir“ zeigen?! Ob „ich“ das will? Ich fürchte, das wird anstrengend und es entfremdet mich meiner Welt. Eine solche Beziehung zu Gott will ich doch eher nicht haben.
Oh, Glück gehabt: Angesprochen ist das ganze Volk; ich persönlich bin ja gar nicht gemeint! Aber dann geht es doch gleich wieder um ein persönliches „Ich“, schon im Mutterleib durch ihn darauf festgelegt, dass ich in der Beziehung zum Volk eine Aufgabe habe – eine ehrenvolle und kraftvolle Aufgabe zum Wohl des Volkes!
Und dann – übertreibt er es da nicht? – soll diese Aufgabe sogar zum Wohl der ganzen Menschheit führen! Und das soll anscheinend seine Herrlichkeit zeigen?
Wer ist dieses „Ich“? Der diesen Text schreibt? Oder der ihn liest? „Der HERR“ selbst kann ja mit diesem „Ich“ nicht gemeint sein, da „ich“ ausdrücklich von IHM Auftrag und Befähigung bekommt. In den Worten unmittelbar vor diesem Textabschnitt heißt es (Vers 2):
Er machte meinen Mund wie ein scharfes Schwert,
er verbarg mich im Schatten seiner Hand.
Er machte mich zu einem spitzen Pfeil
und steckte mich in seinen Köcher.
Versteht sich der Prophet selbst, der dieses Buch schreibt, als dieses „Ich“? Immerhin wendet er sich am Anfang tatsächlich an die Völker am Ende der Welt (Vers 1):
Hört auf mich, ihr Inseln,
merkt auf, ihr Völker in der Ferne!
Der HERR hat mich schon im Mutterleib berufen;
als ich noch im Schoß meiner Mutter war,
hat er meinen Namen genannt.
Oder zitiert er hier einen ihm bereits vorliegenden, vielleicht seinen Lesern sogar bekannten Text? An der poetischen Struktur des hebräischen Textes lässt sich ja ein Gedicht oder Lied erkennen.
Und mit welcher Vorstellung hat man im alten Israel dieses Lied vom Gottesknecht an dieser Stelle des Jesaja-Buches immer weiter überliefert? Die ursprüngliche Absicht zu erkennen, scheint mir schon wichtig: Eine Beziehung zwischen wem und wem wird hier beschrieben?
Die christliche Glaubensüberlieferung hat von Anfang an verstanden, dass es hier um die Beziehung zwischen Gott und Jesus geht und um die Bedeutsamkeit von Jesus in seiner Beziehung sowohl zum Volk Israel als auch zur ganzen Menschheit. Aber was bedeutet das für uns heute? Wenn das etwas mit uns zu tun hat, an welchen Stellen dieser Worte sind wir da gemeint mit unserer Beziehung zu Gott, zu Jesus, zur Menschheit – und vielleicht auch zu uns selbst?
Wie Paulus sich in diesen Zusammenhang verortet, bringt er in den Worten zum Ausdruck, mit denen er seinen ersten Brief an die Christen in Korinth beginnt – die 2. Schriftlesung dieses Sonntags:
Paulus, durch Gottes Willen
berufener Apostel Christi Jesu,
und der Bruder Sosthenes
an die Kirche Gottes, die in Korinth ist –
die Geheiligten in Christus Jesus,
die berufenen Heiligen – ,
mit allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus
überall anrufen, bei ihnen und bei uns.
Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem Herrn Jesus Christus!
(1. Korinther 1,1-3)
Das erinnert mich an den Chef des Fischereihafens im Süden von Marokko, bei dem wir, die ganze Crew, uns einfinden mussten, als wir auf unserem Segeltörn im Jahr 1999 dort übernachten wollten. Auch er bestimmte erst einmal die Beziehung zwischen ihm selbst, der das Sagen hat, und den anwesenden Beamten und uns, den Gästen, denen sie mit ihren – uns überwachenden – Aufgaben „beizustehen“ hatten.
Mit der ausführlichen Art, in der Paulus sich zum Beginn des Briefs der Gemeinde vorstellt, die er gegründet hatte, klärt auch er vorab und ruft in Erinnerung, in welchem Geflecht von Beziehungen er selbst und Gott und Jesus Christus und die Christen in Korinth zueinander stehen. Vielleicht will er ja damit von vornherein klar machen, wie verbindlich und wie zuverlässig das ist, wie er in seinem Brief Stellung nimmt zu einigen Konflikten und Streitfragen, die es in der Gemeinde in Korinth gab. Und zugleich bringt er seine liebende Hochschätzung vor. Das sollen alle hören, denen sein Brief im Gottesdienst in Korinth vorgelesen wird.
Heute nun wird uns das vorgelesen. Was sagt es uns? Etwas über unsere Beziehung zu ihm, zu Gott und zueinander?
Aus dem Anfangs-Kapitel des Johannes-Evangeliums gibt es als Evangelium dieses Sonntags eine weitere Vorstellung zu hören:
Der Täufer Johannes beschreibt die Beziehung zwischen sich und Jesus und Gott und denen, die sich von ihm taufen lassen:
In jener Zeit
sah Johannes der Täufer
Jesus auf sich zukommen
und sagte: Seht, das Lamm Gottes,
das die Sünde der Welt hinwegnimmt!
Er ist es, von dem ich gesagt habe:
Nach mir kommt ein Mann,
der mir voraus ist, weil er vor mir war.
Auch ich kannte ihn nicht;
aber ich bin gekommen
und taufe mit Wasser,
damit er Israel offenbart wird.
Und Johannes bezeugte:
Ich sah, dass der Geist
vom Himmel herabkam wie eine Taube
und auf ihm blieb.
Auch ich kannte ihn nicht;
aber er, der mich gesandt hat,
mit Wasser zu taufen,
er hat mir gesagt:
Auf wen du den Geist herabkommen
und auf ihm bleiben siehst,
der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.
Und ich habe es gesehen und bezeugt:
Dieser ist der Sohn Gottes.
(Johannes 1,29-34)
Was ist da zu hören – als „froh machende Botschaft“, als Evangelium für unseren Weg durchs Leben am Anfang des neuen Jahres?
Gott überbrückt alles, womit sich die Welt an sich und am Leben versündigt, und macht daraus ein Fest?!
Der Mensch, der eigentlich zu Gott gehört, bringt diesen Geist von Gott unter die Menschen. Mit seiner totalen Hingabe für ihre Befreiung wird er ihnen zum Festmahls-Lamm! Neuauflage des alten Pessach in Ägypten?
Jesus, der dadurch anfängt, dass er sich einreiht und von Johannes taufen lässt!
Wo erlebe ich das? Will ich das erleben? Was für eine Beziehung braucht es dafür? Beziehung zu wem? Und welcher Art?