Blogbeitrag

Bild von Ben Kerckx auf Pixabay

Investition der anderen Art

19. August 2021

Sonntagsbotschaft zum 22. August 2021
(21. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B)

Jesus? Wer ist Jesus? Und was bringt er? Was sehen da die Leute in ihm? Und was meint Jesus selber dazu?

Die Leute sehen: Er macht sogar unheilbar Kranke gesund! Magische Fähigkeit! Und selbst mit dem viel zu Wenigen macht er sie alle satt! Magische Fähigkeit! Sie suchen ihn nicht, weil sie Zeichen gesehen haben, sondern weil sie satt geworden sind. So benennt Jesus die Sichtweise der Leute. (Joh 6,26)

Und was sie deshalb mit ihm wollen? Er soll seine magischen Fähigkeiten einsetzen, investieren – immer und überall, wo das ihnen dient. Deshalb wollen sie „ihn mit Gewalt zum König machen.“ (Joh 6,15) So erzählt das Johannes-Evangelium. Sie wollen ihn für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Und Jesus – was sieht er? Da sind Menschen mit verletzter Beziehungsfähigkeit: Gelähmte, Blinde, Taubstumme, Besessene, Aussätzige, eine Fiebernde, … Denen verhilft er zurück ins Miteinander-Leben –  entsprechend ihrer Menschenwürde! Und Menschen, die Mangel leiden,  bewegt er zum allgemeinen solidarischen Teilen miteinander – entsprechend ihrem Gemeinwohl! So bezeugt das Johannes-Evangelium im 6. Kapitel seine andere, nämlich Gottes Sicht vom Geschehen.

Und was ER damit will? Er gibt Zeichen für „Gottes Werk“: An ihn „glauben“, also sich das von Jesus sagen und zeigen lassen, was er bei Menschen bewirkt – entsprechend Gottes Art seiner Königsherrschaft nur mit Zustimmung und Bereitschaft zur Mitwirkung – solches „Glauben“ an ihn „vollbringt die Werke Gottes“, sagt er (Joh 6,28-29). Dafür investiert Gott sich selber in dem Menschen Jesus, seinem Sohn. Dafür ist ER Gottes Zeichen und Werkzeug: „Ich bin das – nachhaltig nährende – Brot vom Himmel zum Leben für die Welt!“ (Joh 6,33-34) „Mich investiere ich für das Leben der Welt. … Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das Leben, das ewige …“ (Joh 6,51.54)

Da klafft ein Abgrund zwischen der Sichtweise der Leute und der ganz anderen Sichtweise, die Jesus verkörpert!

Wie werden die Leute damit umgehen? Verstehen sie, was Jesus meint? Und wie beziehen sie dann Stellung zu den unterschiedlichen Folgerungen, die sich aus den so verschiedenen Sichtweisen ergeben?

„Wie kann er sagen: ‚Ich bin vom Himmel herabgekommen.‘?! Das ist doch der Sohn vom Josef; wir kennen seine Eltern!“ (Joh 6,42) Anmaßung! Und: „Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?!“ (Joh 6,52) – Kannibalismus! Heute würden sie sagen: „Der spinnt!“ Damals riefen sie: „Ans Kreuz mit ihm!“

Magisch-materialistisches Verfremden seiner Worte, kannibalistisches Missverständnis, das kann als willkommene Ablenkung dienen. Da erspare ich mir eine eigene Stellungnahme. Da brauche ich mich nicht existentiell dazu in Beziehung zu setzen und zu positionieren. Da reicht es aus, die in der jeweils aktuellen Gesellschaft gängigen ideologischen Vorstellungen für mich als Beurteilungsmaßstäbe beizubehalten. Das rechtfertigt dann meine Verweigerung, mich überhaupt damit zu beschäftigen.

So weit waren wir gekommen an den vergangenen Sonntagen mit den bisherigen Abschnitten aus dem 6. Kapitel des Johannes-Evangeliums.

Und was sagen zu all dem seine Jünger, die mit ihm gehen, seine Anhänger? Darum geht es an diesem Sonntag:

Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten, sagten:
Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?
Jesus erkannte, dass seine Jünger darüber murrten,
und fragte sie: Daran nehmt ihr Anstoß?
Was werdet ihr sagen,
wenn ihr den Menschensohn aufsteigen seht,
dorthin, wo er vorher war? …
Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück
und gingen nicht mehr mit ihm umher.
Da fragte Jesus die Zwölf:
Wollt auch ihr weggehen? …
(Johannes 6,60-69)

Sie murren – und viele gehen nicht weiter mit ihm. Jesus nimmt ihre Entscheidung hin.

Vor einigen Jahren haben wir uns in der gemeinsamen Vorbereitung auf dieses Evangelium gefragt, ob es denn so etwas wie dieses „Murren“ auch bei uns gibt – in der Gemeinde – und wie wir damit umgehen. Demütig beeindruckt von dem, was da auf den Tisch kam, haben wir dann im Gottesdienst – wenn auch anonymisiert – drei Beispiele als Glaubenszeugnis vorgetragen:

Jemand von uns hat erzählt: Früher habe ich immer einen Bogen um die Leute gemacht, die man so als „Penner“ bezeichnet. Als dann in der Gemeinde die Aktion lief, in der es unter anderem um diese Leute ging, wurde mir deutlich: Wenn ich ein Christ sein will und mit den anderen zusammen christliche Gemeinde sein will, dann passt das mit meinen Vorurteilen und Berührungsängsten nicht zusammen; vielmehr ruft Christus dazu auf, sich für diese Menschen und für ihre Lebenssituation zu interessieren. Diese Einsicht änderte aber noch nichts an meinem Widerwillen. Nur merkte ich den Widerspruch in mir. Aber als ich das, was in mir da vorging, vor anderen in der Gemeinde im offenen und persönlichen Gespräch aussprechen konnte, ohne dafür runtergemacht zu werden, wurde mein innerer Widerstand geringer. Und als ich mich dann mit ihnen gemeinsam der Begegnung mit solchen Menschen beim „Sommerfest mit Wohnsitzlosen“ stellte, machte ich die überraschende Erfahrung, wie interessant und anregend das für mich war. Ich war froh über die Hilfestellung zu meinem Sprung über die Hürde. Es war mir selber ein Gewinn; ein Gewinn an Leben.

Ein anderes Mitglied unserer Gemeinde hat erzählt: Als wir damals das Gemeinde-Programm für die Fastenzeit vorbereiteten, bin ich erschrocken: Für jeden Sonntag galt da die Einladung, nach dem Gottesdienst beisammenzubleiben bis zum gemeinsamen Mittagessen im Gemeindezentrum. Der Wert, den das haben sollte, hat mir ja im Kopf eingeleuchtet, und ich fand das eigentlich eine prima Sache. Aber: Ich wollte einfach nicht. Das Sonntagmittagessen zuhause war mir wichtiger. Ich habe dann mein persönliches Widerstreben den anderen mitgeteilt. Ich musste es für mich einfach offen lassen, ob und wie oft von diesen 6 Sonntagen ich da mitmachen würde. Aber gerade dadurch, dass ich es ausgesprochen hatte und die anderen das hinnahmen, ohne mich unter Druck zu setzen, fiel es mir leicht, es beim ersten Sonntag in der Fastenzeit einfach mal zu probieren. Das Erlebnis dieses Miteinanders mit den anderen war dann aber für mich so, dass ich auch an allen anderen Sonntagen gerne und ohne Widerstreben dabei war – außer an einem Sonntag, an dem ich verreist war. Es war einfach eine schöne Sache. Ich habe erkannt: Es hat sich gelohnt.

Und ein junger Mann aus unserer Gemeinde hatte lange Zeit hindurch immer nur von der Empore aus an den Gottesdiensten teilgenommen. Immer wieder, wenn ihm gesagt wurde, er soll doch nach unten und nach vorn zu den anderen dazukommen, wehrte er sich mit Händen und Füßen. Alle Gründe, mit denen um ihn geworben wurde, lehnte er für sich rundherum ab. Eines Tages – er hatte einen bestimmten aktuellen Anlass dazu – nahm er in einer der vordersten Bänke Platz. In den Wochen danach sagte er zu mehreren anderen in der Gemeinde immer wieder mit freudigem Lachen, wie gut es sei, dass er doch einmal in den vorderen Banken gewesen ist. Da könne man den Gottesdienst ganz anders erleben. Seither ist er immer da zu finden. „Vorn bei den anderen, da hat man viel mehr vom Gottesdienst“, sagt er. Das einladende Wort im Namen von Jesus, mehr Nähe aufzunehmen, wurde ihm tatsachlich – geteilt mit den anderen – zum Brot für mehr Leben.

Solche gelungenen Beispiele können vielleicht zeigen, wie nahe am alltäglichen Leben das Thema liegt, um das es hier geht. Aber solches Loslassen und Verändern von Gewohnheiten – das sind ja nur harmlose Beispiele aus dem Vorfeld der Brisanz, um die es hier eigentlich geht. Allerdings sieht Jesus auch in dem, worüber die Leute damals murren, auch nur das Vorfeld zu dem, worum es ihm im Wesentlichen geht: „Wenn ihr schon daran Anstoß nehmt,“ sagt er, „was werdet ihr dann erst sagen, wenn ihr den Menschensohn aufsteigen seht, …?!“

Was meint er mit „aufsteigen“? „dorthin, wo er vorher war“?

Wenn seine im Neuen Testament immer wieder so genannte „Erhöhung zur Rechten des Vaters im Himmel“, also seine Einsetzung zum Herrn der Welt, dadurch geschehen soll, dass er auf erniedrigendste Weise umgebracht und ausgeschaltet wird, – was werden sie dann erst sagen?! – Sie. Und wir – was machen wir damit?

Dieses Geschehen, das sich aber schon längst abzeichnet und zu dem er bereit ist – wissend wofür – , das soll sich erweisen als Neustart der Menschheit. Dieser sein „Aufstieg“ schließt das Leben auf. Und sein dabei hingegebenes Leben wird zum Brot für so viele, die alle satt werden, ja zum Festmahl mit Brot und Wein in der Freude an Frieden und Gerechtigkeit für alle, die das miteinander teilen.

Wer mein hingegebenes Leben „isst“, wer sich mich einverleibt als Brot vom Himmel, – wer diese Investition Gottes ins eigene Leben annimmt – wird leben!

Und das auf diesem Weg! Was werdet ihr erst dazu sagen? „Wer mein hingegebenes Fleisch und Blut isst und trinkt, nährt sein Leben“. Das Brot, das ich geben werde – in meinem Sterben – , ist mein Fleisch und Blut, hingegeben für das Leben der Welt, investiert in das Leben der Welt.

Setzt die Hingabe meines Lebens in Beziehung zu euch selber! Und dann auch zu allen anderen! Nehmt teil an meinem Geist; Anteil an meinem Fleisch und Blut! an meiner Hingabe: zu leben, – zu dienen, – zu wirken, – zu lieben, …

Nehmt und teilt mich auf unter euch! Atmet mich ein! Esst und trinkt mich!

Verleibt mich euch ein! Nehmt mich in euer Leben auf, ernährt euch von mir, empfangt mich – und dann bringt mich zur Welt! Meine – selbst zum Tod bereite – Investition meines Lebens nährt die Welt, speist das Leben aller Welt!

Gerade als – wie man so sagt – „praktizierender Katholik“ oder als „gläubiger Christ“, der viele Worte der Bibel auswendig kennt und der vieles sich zur Gewohnheit gemacht hat, manches davon oberflächlich, ohne sich dessen bewusst zu sein, was ich da tue, manches als Routine – , da tut es gut – wenn auch erst mal vielleicht erschütternd – , sich von neuem bewusst in Beziehung zu setzen – zu ihm und zu seinem Wort:

Du bist längst da. Du willst bei mir ankommen.
Ich bin beschäftigt. Mein Kopf ist voll … Mein Herz ist voll … Meine Hände …

Gut so, sagst du; ich meine dich ja mit all dem, was dich beschäftigt und bewegt.
Wenn du es zulässt, dass ich zu deinem ganzen Leben in Beziehung komme,
dann speist vielleicht mein Blick auch deine Sichtweise …
dann wandelt sich vieles in deiner Perspektive …
dann erkennst du Wege …
Veränderungen ergeben sich …
Mit deinem Atem und deinem Herzen nimmst du mich auf in deinen menschlichen Stoffwechsel …
Du weißt doch: Alles habe ich dafür getan und gegeben!
Ja, als Lebens-Mittel gegen allen Lebens-Hunger in der ganzen Welt habe ich mein Leben eingesetzt –
als Brot, das ihr in euch aufnehmen und euch einverleiben könnt,
so dass ihr eins werdet mit Gott! –

Gottes Investition seines Fleisch gewordenen Wortes, das wir empfangen und selber wiederum leibhaftig zur Welt bringen können!

Auf die Frage an die Zwölf, wie sie denn zu ihm und zu seiner provozierenden Botschaft stehen, ob vielleicht auch sie gehen wollen, vertraut Simon Petrus sich ganz und gar an:

„Herr, zu wem sollen wir gehen?
Du hast Worte des ewigen Lebens!“
Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt:
Du bist der Heilige Gottes.

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