Blogbeitrag

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Liebe.Macht.Mündig

11. Mai 2023

Sonntagsbotschaft zum 14. Mai 2023, dem 6. Ostersonntag im Lesejahr A.

Wer führt wen warum wie wohin? Ein Thema, über das viel gestritten wird. In der Politik wie in der Kirche. Und in tausend anderen Zusammenhängen.

In den Wochen zwischen Ostern und Pfingsten geht es auch in den Bibeltexten immer wieder um dieses Thema. Anlass ist: Jesus hat drei Jahre hindurch die Männer und Frauen, die mit ihm gingen, durch Dick und Dünn geführt, um mit ihnen nach Gottes Art die Welt menschlicher und das Leben glücklicher zu machen. Aber jetzt ist er weg; umgebracht haben sie ihn. Ohne seine Führung stehen sie hilflos da.

An diesem Sonntag ist ein Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium vorgesehen mit Worten von Jesus, mit denen er seine Leute darauf vorbereitet. Er entwirft ihnen eine wesentliche Perspektive für ihren weiteren Weg. Auch für unsere Zeit?

Jesus sagte zu seinen Jüngern:
Wenn ihr mich liebt,
werdet ihr meine Gebote halten.
Und ich werde den Vater bitten
und er wird euch einen anderen Beistand geben,
der für immer bei euch bleiben soll, …

Die Liebe macht’s! Wen ich liebe, dessen Anregungen vertraue ich.

„Aber jetzt hat er mich alleine gelassen und ich muss alles selber machen und besorgen!“ Wie viele Witwen und Waisen haben schon so geklagt!

Von Jesus hören sie in der Situation seines Abschieds:

Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen,
ich komme zu euch.

Ich lasse euch nicht allein. Ich sorge für eine andere Art von Beistand für euch. Ich sitze dann nicht mehr vor euch und gebe euch Anweisungen, sondern ihr werdet auf euren eigenen Füßen stehen und ich stehe bei euch. Sehen und erkennen und anerkennen werdet ihr mich nicht mehr als euren „Vor-Sitz“, sondern als euren „Bei-Stand“. Nicht mehr meine Autorität ist die Kategorie, in der ihr dann die Beziehung zu mir vorrangig erlebt, sondern meine liebende Solidarität mit euch wird am wichtigsten. Und da ihr mich liebt, traut ihr mir als eurem Weg, als eurer Wahrheit, eurem Leben.

Im Rückblick auf den frühen Tod meiner Mutter sagte mir mal jemand: Und dann musstest du dir selber „Mutter“ sein.

Und aus dem Versuch, die Rezepte meiner Mutter nachzukochen, wurde im Lauf der Zeit und mit den immer wieder anderen Ressourcen mein eigener Stil.

Eine Herausforderung zur Mündigkeit, zur Freiheit und zur Verantwortung. Mit einem neuen Blick auf den ersehnten und wohltuenden und hilfreichen Beistand.

Der Jesus des Johannes-Evangeliums beschreibt den Beistand neuer Art als

den Geist der Wahrheit,
den die Welt nicht empfangen kann,
weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt.
Ihr aber kennt ihn,
weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. …
Nur noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr;
ihr aber seht mich,
weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.
An jenem Tag werdet ihr erkennen:
Ich bin in meinem Vater,
ihr seid in mir
und ich bin in euch.

Ehrlich gesagt: Mit diesem „in“ konnte ich lange Zeit nicht wirklich etwas anfangen. Dann verstand ich Schritt für Schritt. „Ihr seid in mir und ich bin in euch“ – was meint er damit?

Was meine ich denn damit, wenn ich sage „Ich bin in dem und dem Verein, in der XY-Partei, in der Kirche …“? Wer mich das so sagen hört, weiß dann: Ich bin Mitglied darin, ein Glied davon, eben Mit-Glied – bin mit dem Eigenen dieser Organisation oder dieses Organismus mehr oder weniger identifiziert, trage das Ganze mit – meistens nicht in einer Schlüsselfunktion, aber doch irgendwie, dass es zu meiner Identität gehört, zu meinem Selbstverständnis. Das gehört zu den Dingen, die ich benenne, wenn ich sagen will, wer ich bin.

Es geht um eine Haltung, um eine Sichtweise, eine Einstellung, eine Vorliebe, … Das ist einfach in mir da, ist ein Teil von mir geworden, gehört zu mir, das bin ich selber. Das prägt mich – mehr oder weniger, entweder als eines unter vielem oder es prägt mich ganz besonders.

Wenn ich mich dem, „in“ dem ich da bin, eng verbunden weiß – in Liebe, dann ergibt sich: Was sich da „gebietet“, das will ich!

Jesus beschreibt das mit den Worten

Wer meine Gebote hat und sie hält,
der ist es, der mich liebt;

und er setzt fort, was sich daraus außerdem ergibt:

wer mich aber liebt,
wird von meinem Vater geliebt werden
und auch ich werde ihn lieben
und mich ihm offenbaren.
(Johannes 14,15-21)

Was für eine Veränderung! Ohne diese Beziehung zu ihm kann ich das Neue, von dem er spricht, nicht sehen. Die sogenannte „Welt“ sieht ihn nicht, kann diesen anderen „Geist“ nicht erkennen oder erleben.

Aber in der Beziehung, in der ich zu ihm gehöre, in ihm bin und er in mir – eben in der Liebe – wird mir die alles verwandelnde Veränderung offenbar werden – nicht mehr verborgen bleiben, sondern wahr werden, von mir zuverlässig wahr-genommen.

Und wenn Menschen so „in“ ihm sind und er „in“ ihnen ist, dass sie ihre Lebensfreude daran gefunden haben, – wie kann es dann gelingen, diesen alles verwandelnden Veränderungs-Prozess zu stärken, zu fördern und auszubreiten?

Wenn Kirche der Organismus ist, der in ihm ist und in dem ER lebt, wie sieht dann der Stil aus, wovon ist dann der Geist geprägt, in dem da Menschen und menschliche Strukturen geführt werden? Geht das autokratisch? Oder demokratisch? Oder noch ganz anders?

Da werden wir uns wohl lösen müssen – und dürfen – von so manchen Gewohnheiten aus der sogenannten „nichtigen von den Vätern ererbten Lebensweise“, aus der Christus uns mit der Hingabe seines Lebens „freigekauft“ hat – so formuliert es die Sprache der Bibel, in der uns die Osterbotschaft vor drei Wochen ausgerichtet wurde (1 Petr 1,18 – Zweite Lesung in der Eucharistiefeier am 3. Sonntag der Osterzeit).

Der Auferstandene mutet denen, die ihn lieben, eine Mündigkeit zu, die Verantwortung übernimmt. Und aus dieser Mündigkeit seiner vielfältig unterschiedlichen Glieder und in ihrer abgestimmten Zuordnung zueinander lebt der Gesamt-Organismus seine Identität.

Ich erinnere mich noch an die Zeit bald nach dem Konzil, das diesen neuen Geist der Führung in der Kirche in vielfältiger Weise zu beschreiben suchte: Unter denen, die verstanden hatten, dass nicht nur geweihte Amtsträger in der Kirche Anteil am Geist und an seiner Kraft zur Führung haben, war der Ruf laut zu hören, dass die Bischöfe und die Pfarrer viele ihrer Zuständigkeiten an „Laien“ oder „Ehrenamtliche“ „delegieren“ müssten; und ich gehörte zu denen, die quasi mit Stolz sagten „Ich bin hier nur der Pfarrer in der Gemeinde!“, weil vieles in der Gemeinde bereits von ihren Gliedern getragen wurde.

Aber das kann nur ein erster Schritt auf dem Weg gewesen sein. Bis heute gibt es ja in der Kirche das weitverbreitete Missbehagen, dass lediglich wegen des Personalmangels an Priestern die Ehrenamtlichen jetzt vieles erledigen müssen, was immer noch eigentlich als Verantwortung der Amts-Träger gilt.

Das Bewusstsein, dass alle, die „in Christus“ sind, also alle Mit-Glieder an seinem leibhaftigen Organismus originale Subjekte in eigener Zuständigkeit sind und ihre entsprechende eigene Mitverantwortung anzuerkennen ist, das stößt noch allzuoft auf Zurückweisung – wie dieser Tage gehört: „Wer gibt Ihnen das Recht, den Pfarrer zu kritisieren?“

Es geht nicht nur um „De-legieren“ oder um eine Entlastung der sonst überforderten zu wenigen Priester oder um ein Zuarbeiten, das von ihnen kontrolliert wird.

Wenn die Messdiener Brot und Wein aus der Gemeinde zum Altar bringen, dienen sie nicht dem Priester, der das dann mit einer dankbaren Verneigung quittieren müsste, sondern sie dienen – wie in anderer Weise auch der Priester – der feiernden Gemeinde.

Lediglich wenn ich Ministranten nach meinem Händewaschen das Handtuch zurückgab, sagte ich ihnen unauffällig ein persönliches „Danke“ – wahrscheinlich mit einem gewissen unwillkürlichen Kopfnicken.

Auch offenbart unterschwellig ein sich zunehmend einbürgerndes Feedback am Ende eines Gottesdienstes, was für ein Verständnis ein Priester hat von seiner Beziehung zu den anderen Mitfeiernden: Es ist schon ein Unterschied, ob er ihnen – mehr oder weniger pflichtgemäß – dafür dankt, dass sie gekommen sind und mitgemacht haben, als ob sie ihm zuliebe gekommen wären; oder ob er – spürbar aus der Perspektive eines selbst Mitfeiernden – seine Freude darüber ausspricht, wie stark durch das Zusammenwirken vieler diese Feier geworden ist.

Die Wochen zwischen Ostern und Pfingsten können helfen, die Phase hinter uns zu lassen, in der unser lebenslanges Lernen von einer Haltung abhängiger Unmündigkeit geprägt ist.

Als neue Phase steht an, dass alle, die „in Christus“ leben wollen, sich seinem Geist öffnen und als Glieder unterschiedlicher Eigenheiten ihr Miteinander von diesem Geist prägen lassen. Was die Apostelgeschichte von „Pfingsten“ erzählt, von dem Ereignis, wo das geschieht, das wird dann die Welt auch von heute mit unsereins erleben können.

Wer die Veränderungen wirklich will, die das Reich Gottes unterscheiden von einer Vorherrschaft von Konsum und Kapital, von Vergeltung, Geltungssucht und Habgier, wer diese Veränderungen wirklich will, weil er das Leben liebt und die Menschen liebt, die ja leben sollen, der wird sich gerne immer mehr vertraut machen mit dem, was da jeweils geboten ist, damit wir vorwärtskommen auf dem Weg in Richtung auf dieses Ziel zu – und der wird natürlich auch die dazugehörigen Eigenheiten und Wesenszüge des dafür erforderlichen Stils in den Veränderungsprozessen als „Kirche“ „umzusetzen“ suchen – insbesondere wo immer es um das Managen, um das Führen und Leiten dieser Prozesse geht.

Hellsichtig formuliert das die offizielle kirchliche Liturgie im „Tagesgebet“ dieses Sonntags:

… lass uns die österliche Zeit
in herzlicher Freude begehen
und die Auferstehung unseres Herrn preisen,
damit das Ostergeheimnis,
das wir in diesen fünfzig Tagen feiern,
unser ganzes Leben prägt und verwandelt.

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