Sonntagsbotschaft zum 17. März 2024, dem 5. Sonntag auf dem gemeinsamen Weg zum diesjährigen Osterfest (Lesejahr B).
Noch zwei Wochen bis Ostern. Die 40 Tage des Weges von Galiläa nach Jerusalem hatten wir mit der Asche unserer Tage angefangen.
Ob daraus etwas wird, wie es gemeint ist mit dem festlichen Jubel, der alles Finstere dieser Tage in neues Lebensfeuer verwandelt? mit der Osterfreude an Jesus Christus, dem Feuer, das alle Nacht erhellt?
Nehmen wir mal an: Christus, der uns auf dem Weg liebevoll begleitet, will uns aufmerksam machen für Aspekte, auf die wir mehr achten sollten, damit unsere Chancen auf ein erfülltes und frohes Osterfest wachsen. Was will er uns da ans Herz legen, vermittelt durch die Lesungs-Abschnitte aus der Bibel, die für diesen Sonntag vorgesehen sind?
Aus dem Buch des Propheten Jeremia spricht mich da das Wort von dem Bund an, den Gott mit seinem Volk neu schließen will.
… Er ist nicht wie der Bund,
den ich mit ihren Vätern geschlossen habe
an dem Tag, als ich sie bei der Hand nahm,
um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen.
Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, …
Sondern so wird der Bund sein, …
Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben
und werde sie auf ihr Herz schreiben.
Ich werde ihnen Gott sein
und sie werden mir Volk sein.
Keiner wird mehr den andern belehren,
man wird nicht zueinander sagen:
Erkennt den HERRN!,
denn sie alle, vom Kleinsten bis zum Größten,
werden mich erkennen –
Spruch des HERRN.
(Jeremia 31,31-34)
Ein Herzensanliegen für uns alle? Ja, hoffentlich gelingt das!
Und dann der knappe Text aus dem Hebräerbrief, mit dem auch ich staunen kann, wie viel menschliches Leid der unseretwegen auf sich nimmt, den doch auch ich als Gottes Sohn bekenne!
Und schließlich im Johannes-Evangelium die Worte von Jesus, mit denen er von seinem bevorstehenden Sterben spricht: „Weizenkorn“, „Verherrlichung“, „ihm nachfolgen“. Schwergewichtige Sätze voller tiefsinniger Bedeutung. Die Kraft der Aussagen, die sie in sich tragen, will ausgegraben, freigelegt, aufgenommen werden.
Wenn auch in den vergangenen drei Jahren vieles anders geworden ist – sowohl in unserer Welt als auch in meinem Leben – , ist doch die Herausforderung, vor die ich mich da gestellt sehe, grundsätzlich die gleiche, wahrscheinlich sogar noch verstärkt.
Vor drei Jahren habe ich, was ich von IHM in den Texten dieses Sonntags hörte und verstand, so zum Ausdruck gebracht, um es mit anderen zu teilen:
Das Johannes-Evangelium erzählt von den letzten Tagen, die Jesus in Jerusalem verbringt. Pilgermassen füllen den Tempelvorhof.
In jener Zeit
gab es auch einige Griechen unter den Pilgern,
die beim Paschafest in Jerusalem Gott anbeten wollten.
Diese traten an Philíppus heran,
der aus Betsáida in Galiläa stammte,
und baten ihn: Herr, wir möchten Jesus sehen.
Philíppus ging und sagte es Andreas;
Andreas und Philíppus gingen und sagten es Jesus.
Jesus gibt eine Antwort: Auf das Anliegen eines physischen Zusammenkommens mit ihm geht er gar nicht ein. Er kommt gleich zur Sache: worauf es ankommt, wenn man Interesse an ihm entwickelt hat. Das können ja Philippus und Andreas dann den fragenden Leuten weitersagen.
Auch wir Menschen von heute, die sich so etwas zu Gemüte führen wie eine Sonntagsbotschaft aus dem Evangelium, gehören vermutlich zu denen, die Jesus näher kennenlernen wollen. Also können auch wir unseren Appetit von der Antwort ernähren lassen, mit der er die an ihm Interessierten auf das Wesentliche hinweist.
Also kommen wir – mit ihm – zur Sache.
Seine Antwort:
Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird.
Jetzt ist es so weit. Jetzt ist nicht der Moment für unverbindlichen smalltalk. Jetzt wird besiegelt, worum es bei allem geht.
Sich selbst bezeichnet er als „der Menschensohn“. Das ist in der Bibel der Mensch, der von Gott kommen wird und Gottes gute Absicht mit der Menschheit endgültig verwirklicht.
Aus dem Zusammenhang wird klar: Jesus spricht von der Hingabe seines Lebens, die schon bisher ihn beseelte und jetzt dazu führt, dass sie ihn umbringen werden.
Das befremdliche Besondere aber, das in seinen Worten liegt, ist: Er benennt seine Tötung als seine „Verherrlichung“. Was heißt das?
Das griechische Wort δόξα steht zunächst für das leuchtend strahlende Licht einer Lichtquelle. „In der doxa“ sein klingt wie „in der Sonne liegen“ oder wie „im Wasser schwimmen“ oder „durch die Luft fliegen“. „Doxa“ ist etwas wie eine Dimension, eine Atmosphäre oder Wesensart, von der alles abgeleitete oder reflektierte Licht seine Quelle und seine Strahlen hat.
Die Sprache der Bibel benutzt dieses Wort gerne als Bild für eine mit Worten nicht beschreibbare Dimension, in der Gott lebt. Ähnlich wie das Wort „Himmel“: Im antiken Weltbild steht ja „der Himmel über dem Himmel“ für eine räumliche Unbegrenztheit. Oder wie die alle Zeit umgreifende „Ewigkeit“.
Das, was „doxa“ meint, ist auch die goldene Farbe des Hintergrunds ostkirchlicher Ikonen, die die himmlische, ewige „doxa“ zeigt: den Lichtglanz, die „Herrlichkeit“, in der die dargestellte Person lebt und aus der sie sich – einem geöffneten Fenster gleich – dem Betrachter zeigt und nahe kommt.
Die „doxa“, im Deutschen meist übersetzt mit „Herrlichkeit“, ist sozusagen ein Element eigener Art für die Entfaltung des Lebens. Andere Sprachen übersetzen den enthaltenen „Glanz“ stärker bildhaft als die deutsche: „Glory“, „gloire“, „gloria“ … In diese „Herrlichkeit“ hinein versetzt und aufgenommen wird Jesus mit seinem Sterben am Kreuz. In diese „Herrlichkeit“ hinein wird er verwandelt, „vergoldet“.
Diese fremdartige, geradezu revolutionäre Sicht von seinem Tod will Jesus vermitteln mit seiner „Antwort“ auf das Interesse, ihn näher kennenzulernen.
Natürlich stößt er damit auf befremdetes Kopfschütteln und auf verärgerten Widerspruch. Als „Schwächling“ haben moderne Ideologen ihn abgetan, der nur sein Scheitern damit idealisiere, und haben so versucht, alle die lächerlich zu machen, die ihn lieben, ihm anhängen.
Jesus bemüht sich, mit Hilfe eines Bildes etwas leichter nachvollziehbar zu verdeutlichen, was er mit dem Wort von seiner „Verherrlichung“ sagen will.
Einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft – aber durchaus auch uns – ist ja der Werdegang eines Weizenkorns vertraut.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt,
bleibt es allein;
wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.
Ich schlüpfe also in die Identität eines Weizenkorns und spreche an seiner Stelle: Ich bin entstanden auf einem Getreidefeld, auf einem von vielen Halmen habe ich gelebt, bin ein Fruchtkorn geworden, eines von vielen in einer Ähre. Reif geworden, hat man mich mit den anderen gemäht, von Halm und Spreu getrennt. Und was wird jetzt aus mir?
Sehe ich nicht schön aus? Ich bin doch ein wunderbares Geschöpf! Meine Gestalt, mein Aussehen, meine Eigenschaften, all das Potential in meinen Genen! Sie werden mich doch hoffentlich schonend aufbewahren. Mein Wert soll schließlich Bestand haben.
Wenn sie mich aber als Saatkorn nehmen und in die Erde legen, was wird dann aus mir? Ich werde meine Form verlieren. Mich selber wird man nicht mehr sehen und finden können. Mein Wesen wird vergehen und sich verbinden mit der umgebenden Erde und mit dem Regen und mit der Luft …
Andererseits wächst dann aus mir ein Halm und eine Ähre mit vielen neuen Körnern – dieselbe DNA. Meine Gene vervielfältigen sich dann, mein Potential entfaltet sich zu einem Vielfachen! –
Worin liegt jetzt das Wesentliche meiner Identität, die ich nicht verlieren möchte?
Und wie ist das eigentlich mit der Scheibe Weizenbrot, in die hinein ich möglicherweise aufgehen werde und die jemanden sättigt? Bin ich dann nicht – auf den Wegen des Stoffwechsels – in den Aufbau dieses Menschen hinein eingegangen? Und – anders herum mit Augenzwinkern gefragt: Wenn jemand allergisch auf Weizen reagiert, bin ich das dann nicht gewesen, der das hervorgerufen hat?
Jetzt kehre ich in mich selber zurück und versuche, die Analogie aus dem Bild vom Weizenkorn auf Jesus und sein Selbstverständnis zu übertragen.
Was ist seine Identität, die er – natürlich – bewahren will? Name, Geburtsort und -datum, Gesicht – wie unsere Papiere die Identität ausweisen – das reicht jedenfalls nicht. Was macht sein Eigenes aus?
Mit dem Bild vom Weizenkorn will er jedenfalls sagen: Zu seinem Wesen gehört es, dass er reiche Frucht bringt, so dass das gewaltige Potential, das in ihm steckt, sich auch verwirklicht, zum Beispiel das Potential, ganz viele Menschen „satt“ zu machen. Dieses Wesen verliert er nicht, das „ver-west“ nicht durch sein Sterben. Im Gegenteil: Sein Leben entfaltet sich erst richtig. Was – je nach Sichtweise – wie Scheitern aussehen mag oder als Verlust lebendiger Identität, das verwandelt sich in göttlichen Lichtglanz, in „doxa“. Herrlich!
In der Fortsetzung kehrt Jesus aus dem Bild vom Weizenkorn wieder zurück in Worte, die die Realität beschreiben. Was er bisher von sich gesagt hat, verallgemeinert er über seine Person hinaus:
Wer sein Leben liebt, verliert es;
wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet,
wird es bewahren bis ins ewige Leben.
Vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich wie mir mit diesen Worten: Ich fühle mich erst einmal abgestoßen mit meinem Selbstverständnis, auch mit meinem Glauben an den Gott, der mein Leben durchaus liebt und der mein Leben in dieser Welt will und schätzt.
Darin bestärkt sehe ich mich auch durch die Aufforderung von Jesus, meinen Nächsten zu lieben wie mich selbst. Mein Leben „nicht lieben“, sondern „gering achten“, kann doch nicht heißen, ich solle meinen Nächsten genauso „gering achten“ wie mich selbst!
Mit meinem Versuch, durch diesen anstößig klingenden Text hindurch Gottes Botschaft zu hören, setze ich am besten neu an:
Jesus meint ja nicht nur mich und uns Menschen überhaupt mit diesen Worten, sondern er spricht ja zunächst von sich selber. Also frage ich ihn: Du als Mensch damals in dieser Welt, hast du dein Leben geliebt oder hast du es geringgeachtet?
Die Antwort kommt sofort: Geliebt hast du an deinem Leben die dir eigene, in Gott selber wurzelnde Liebe zu den Menschen. Aus Unrecht, Unfreiheit, Hoffnungslosigkeit, aus lebensfeindlicher Unterdrückung und aus Toden aller Art hast du sie rausgeholt. Diese dir eigene Liebe – das war dein Leben! Das hast du keinesfalls geringgeachtet. Aber dabei Rücksicht auf dich selber zu nehmen, das hast du ganz hintenangestellt. Dass man dich für dein Engagement anfeindet, demütigt, ja umbringt, das hast du hingenommen. In diesem Sinne hast du dein eigenes Leben in der Tat sehr geringgeachtet!
(aus: Toccata aus der Suite Gothique op. 25 von Léon Boëllmann)
Seine Frage an mich:
Was an meinem Leben liebe ich so, dass ich unbedingt daran festhalten will? Woran in meinem Leben hänge ich so sehr, dass ich es mir auch nicht durch die Erfüllung einer wertvollen Lebensaufgabe kaputt machen will?
Wenn ich anfange, mich dieser Frage ehrlich zu stellen, merke ich die Versuchung zu beschönigen, mich nachsichtig zu schonen, … Eine klärende Auseinandersetzung steht da an.
Nun spricht Jesus ja dazu noch im selben Satz – lockend, werbend – eine verheißene Perspektive an. Ich formuliere seine Ausdrucksweise jetzt mal so um: Wer sich von Gott ansprechen lässt und danach seine Prioritäten im Leben setzt, der braucht keine Angst zu haben, verloren zu gehen. Vielmehr wird dieser Mensch das, was wesentlich ist an seiner Person und an seinem Leben, „bewahren bis ins ewige Leben.“
(aus: Toccata aus der Suite Gothique op. 25 von Léon Boëllmann)
Nun muss ich aber klarer sehen, was er mit diesem Wort mir verheißungsvoll vor Augen stellen will: „ewiges Leben“.
Ich möchte ja gerne, dass er – trotz meiner Widerstände – mich ganz gewinnen kann. Zumal ich ja eh schon ihn und seinen Geist als Orientierung leben will. Als Christ. Als sein „Jünger“, der nicht den Ideologien vom goldenen Kalb oder vom Vorrang einer menschlichen „Rasse“ nachfolgt, sondern ihm.
Also, Herr, was ist dieses „ewige Leben“, mit dem du mich liebevoll lockst?
Hier heißt es „bis ins ewige Leben“. Das klingt, als sei es etwas, was erst noch kommt. Aber am letzten Sonntag, im Gespräch mit Nikodemus, sagt Jesus wiederholt, dass jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat (Johannes 3,15.16). Was auch im 1. Johannesbrief wiederholt so gesagt ist: „dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat“ (5,11) und „damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, denn ihr glaubt …“ (5,13).
Und die Tür bleibt offen für eine weitere Vorstellung, in der sozusagen als eine weitere Dimension jenseits von Zeit und Raum und das alles umfassend und durchdringend „Ewigkeit“ sich ausbreitet: Gottes Dimension. Die er dem Menschen zugänglich macht, dem glaubenden Menschen schon jetzt eröffnet hat.
Bei Augustinus habe ich dieser Tage gelesen (in einer Abhandlung über Psalm 2 – Lesehore Fastenzeit 3. Woche Donnerstag / Jahr I):
… in der Ewigkeit gibt es nichts Vergangenes, als habe etwas aufgehört zu sein, und nichts Zukünftiges, als gäbe es etwas, was noch nicht ist. Es gibt nur Gegenwärtiges. …
Mich erinnert das auch an das Wort von Jesus in der Auseinandersetzung mit den Pharisäern; für sie steht anscheinend das verheißene Reich Gottes aus in einer „Ewigkeit“ von der Art eines Sankt-Nimmerleins-Tags. Sie streiten ab, dass Jesus der verheißene „Sohn Davids“ sei, mit dem das Reich Gottes beginnt. Jesus antwortet da:
„Wenn ich im Geist Gottes die Dämonen austreibe,
dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen.“
(Matthäus 12,28)
„Ewigkeit“ schon im Jetzt, im Heute. Die Gegenwart umfassend.
Jetzt höre ich schon mehr aus dem Wort von Jesus
… wer sein Leben in dieser Welt gering achtet,
wird es bewahren bis ins ewige Leben.
Und dann spricht Jesus direkt die an, die es mit ihm haben wollen:
Wenn einer mir dienen will,
folge er mir nach;
und wo ich bin,
dort wird auch mein Diener sein.
Wenn einer mir dient,
wird der Vater ihn ehren.
(Johannes 12,20-33; hier nur bis Vers 26)
Wenn ich zu ihm gehören will, wenn ich mit ihm zu dem beitragen will, was er herbeiführt, dann kann ich mich auf ihn, auf seinen Beistand und auf Gottes Anerkennung verlassen. Und wenn ich dabei bleibe, auch wenn mir noch so große Risiken drohen, dann gilt auch für mich – wie für ihn – die Perspektive von Erfüllung, von Erhöhung und Ewigkeit.