Blogbeitrag

Bild von Markus Spiske auf Pixabay

Nicht mehr ausgegrenzt

8. Februar 2024

Sonntagsbotschaft zum 11. Februar 2024, dem 06. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B). 

Ansteckende Krankheiten gab es schon immer. Manche davon gerieten zur Katastrophe. Immer wieder gaben sie auch Anstöße zur Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung – mit dem Bestreben, die Menschheit künftig möglichst vor solchen Krisen zu bewahren.

Seit der Antike wurden viele Hautkrankheiten als „Aussatz“ zusammengefasst; man konnte nicht zwischen den verschiedenen Erkrankungen unterscheiden. Ob ein „Aussätziger“ z. B. an der nicht ansteckenden Schuppenflechte oder tatsächlich an Lepra erkrankt war, blieb unklar. Ansteckung durch „Aussatz“ war aber verbreitet und ein bekanntes und gefürchtetes Phänomen. Da der Zeitraum zwischen der Ansteckung und dem Auftreten von Symptomen, also die Inkubationszeit, bei Lepra viele Jahre betragen kann, waren die Infektionswege so unübersichtlich, dass meistens die Ursache für die Erkrankung ziemlich willkürlich gedeutet wurde. Um sicher zu gehen und zum Schutz der Allgemeinheit wurde im Zweifelsfall „Aussatz“ diagnostiziert.

In Israel war man von Gottes Willen überzeugt, dass die Menschen heil, geschützt und gesund leben sollen. In der Krankheit sah man eine Strafe Gottes; man war überzeugt, die Aussonderung der Aussätzigen sei von Gott gewollt. Nach Maimonides, dem bedeutenden jüdischen Philosophen, Rechtsgelehrten und Arzt des 12. Jahrhunderts, bezeichnet in der hebräischen Bibel das Wort Zaraat (צרעת) – für „Aussatz“ – eine Krankheit, die zeigt, dass der von ihr Befallene der üblen Nachrede, der Verleumdung oder eines ähnlichen Verhaltens schuldig sei und dafür – von Gott – mit der Krankheit bestraft werde.

Die Menschen in der Umgebung eines Aussätzigen fürchteten jedenfalls, sich bei ihm anzustecken. Also wurden an „Aussatz“ Erkrankte aus der Gemeinschaft ausgestoßen, um jeden Kontakt mit ihnen zu vermeiden. Sie mussten außerhalb der Dörfer und Städte leben, sie waren „ausgesetzt“. Das Aufenthaltsrecht im menschlichen Gemeinwesen wurde ihnen verweigert.

Von der Begegnung zwischen Jesus und einem „Aussätzigen“ erzählt der Bibelabschnitt aus dem Markus-Evangelium, der an diesem Sonntag zur „froh machenden Nachricht“, zum „Evangelium“ werden will.

Es geht darum, wie wir uns verhalten in einem Geflecht von Menschen, in dem wir nicht sicher sind, wer uns und wen wir mit dem Corona-Virus anstecken könnte oder auch mit dem Virus irgendeiner Verschwörungstheorie oder eines rechtsextremen Populismus oder einer anderen Kultur oder oder …

Ob die Erzählung aus dem Markus-Evangelium zu einem heilsamen Impuls werden kann?

In jener Zeit
kam ein Aussätziger zu Jesus
und bat ihn um Hilfe;
er fiel vor ihm auf die Knie
und sagte: Wenn du willst,
kannst du mich rein machen.
Jesus hatte Mitleid mit ihm;
er streckte die Hand aus,
berührte ihn
und sagte: Ich will – werde rein!
Sogleich verschwand der Aussatz
und der Mann war rein.
Jesus schickte ihn weg,
wies ihn streng an und sagte zu ihm:  
Sieh, dass du niemandem etwas sagst,
sondern geh, zeig dich dem Priester
und bring für deine Reinigung dar,
was Mose festgesetzt hat –
ihnen zum Zeugnis.
Der Mann aber ging weg
und verkündete bei jeder Gelegenheit,
was geschehen war;
er verbreitete die Geschichte,
sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte;
er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf.
Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm.
(Markus 1,40-45)

„Mitleid“ darf Jesus ja mit ihm haben. Das ist nicht verboten, wenn auch „speziell“, da doch am Zustand dieses Mannes zu sehen ist, dass er sich irgendwie schuldig gemacht hat, so dass er diesen Zustand auch verdient hat.

Aber Jesus streckt die Hand aus und berührt ihn. Das ist verboten! Dadurch kann er sich anstecken und selber zur Ansteckungsgefahr für andere werden!

Durch sein Verhalten macht Jesus sich Gegner. Und da er sich zu seiner Rechtfertigung immer wieder auf Gott beruft und da viele Menschen in seinem Verhalten Gott am Werk sehen, sehen seine Gegner sich schließlich dazu gezwungen, Jesus aus dem Verkehr zu ziehen.

Umso deutlicher setzt er dagegen: Gott will das so!

Was ist das, was Gott da will? Was sagt die Erzählung?

In der Geschichte geht es erst einmal um das, was der leidende Mensch in seiner Sehnsucht will, und um sein Zutrauen zu Jesus und seiner Solidarität mit ihm: „Wenn – auch – du willst, …“

Aber wie kommt er dazu, ihm auch zuzutrauen, dass er ihn „rein“ machen kann – zuverlässig, also auch „offiziell“? Das geht aus dem Text nicht hervor.

Denkbar wäre, dass er sich zu Unrecht für aussätzig, also für „unrein“ erklärt wähnt – vielleicht ja sogar nur, weil er es einfach nicht wahr haben will und jetzt darauf hofft, dass Jesus ihm zu seinem Recht verhilft – oder zu dem, was er für sein Recht hält.

Denkbar ist auch, dass der Evangelist deutlich machen will: Da gibt es Menschen, die dem Jesus eine Kraft zutrauen, sogar vom Aussatz zu heilen – eine Kraft, die doch höchstens Gott zuzuschreiben ist. Der aber ihn doch mit dem Aussatz „bestraft“ hat!

Jesus geht auf das Zutrauen des Aussätzigen ein. Er zeigt – prägnant bis in die Wortwahl – , dass es ihm genau darum geht, die Sehnsucht des leidenden Menschen zu erfüllen: „Ich will!“ und „Werde rein!“

Jesus handelt hier wie ein … – ja, wie ein was denn?

Wie ein Wunderheiler? Dann hätte der Erzähler, wie bei damaligen Geschichten von Wunderheilern üblich, im Einzelnen die magischen Worte und Gesten beschrieben, wie Jesus das so toll gemacht hat. Stattdessen lenkt aber Jesus selber in der Erzählung die Aufmerksamkeit von sich weg und hin auf die bei den Priestern einzuholende Verfügung – wir würden heute sagen: auf die beim Gesundheitsamt einzuholende Bescheinigung. Mit der in der Hand, ist der Mann befreit aus seiner Isolation in der Dauer-Quarantäne; er darf wieder unter die Leute!

Oder handelt Jesus hier wie ein Anarchist, der die Menschen in ihrem Egoismus ermutigt, gegen die gesetzlichen Regelungen zu verstoßen, die zum Schutz von Recht und Freiheit der Allgemeinheit erlassen sind? Dem widerspricht, dass Jesus den Mann auffordert, den Regelungen der Ordnung nachzukommen, indem er sich sein „Rein“-Sein attestieren lässt und das vorgesehene Dankopfer dafür darbringt.

Als was oder wie wer handelt Jesus also hier? Mir scheint, der Evangelist will eine Antwort auf diese Art der Frage gerade ausschließen: Was Jesus da tut, lässt sich nicht einordnen in irgendeine Kategorie bekannter, erklärbarer Verhaltensweisen. Es ist einmalig: Jesus zeigt, worauf es Gott ankommt, und er setzt sich damit in Widerspruch zu den Bildern von Gott und vom Menschen, die sich eingebürgert haben. Er fängt neu an – mit dem „Reich Gottes“: Alle sollen zu einem erfüllten Leben finden! Alle. Davon darf keiner ausgegrenzt werden! Zu einer solchen Haltung sollen sie alle umkehren.

Seine Gegner aber, die am Alten festhalten und sich nicht wirklich mit ihm darüber auseinandersetzen wollen, sie werden ihn schließlich dafür ans Kreuz bringen.

Jesus stellt sich dem Konflikt, und auch der drohende Tod kann ihn nicht davon abbringen. Das Leben der Menschen zu erneuern – in einer großen Transformation der allgemein herrschenden Mentalität – , das ist ihm wichtiger, als das eigene Leben zu bewahren.

Diesen Weg beschreibt Markus. Immer wieder wurde deshalb die Wesensart seines Evangeliums charakterisiert als „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“. Er legt den Weg dar, der Jesus ans Kreuz bringt.

Der für diesen Sonntag vorgesehene Abschnitt daraus illustriert – wie auch die folgenden Abschnitte – , wozu er sein Buch über diesen Weg von Jesus geschrieben hat: Das ist der „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ Mit diesen Worten hat er es überschrieben. Ja, so hat es angefangen. Das bezeugt er.

Und so will es jetzt weitergehen: das Reich Gottes, in dem Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, der jetzt unter uns wirkt – wie in diesem Beispiel mit dem Aussätzigen, das uns heute vor Augen gestellt wird.

Einfühlsam bietet die Liturgie der Kirche als Wegweisung in eine solche Einstellung hinein die Worte des Tagesgebetes für diesen Sonntag an:

Gott, du liebst deine Geschöpfe,
und es ist deine Freude,
bei den Menschen zu wohnen.
Gib uns ein neues und reines Herz,
das bereit ist, dich aufzunehmen.

Da stellt sich halt die Frage: Wann wird man das bei uns erleben können? Wann werden wir sichtbar als Söhne und Töchter Gottes in seinem Reich?

Du, Gott,
Freundin der Menschen,
Freund dieser Erde,
wann werden wir sichtbar,
Gott,
als Töchter und Söhne
in deinem Reich,
Gott, …

Text und Melodie aus: Heidi Rosenstock, Hanne Köhler: Du Gott, Freundin der Menschen. Neue Texte und Lieder für Andacht und Gottesdienst (1991)
Gesangsausschnitt (Kanon) aus Gottesdienst in Herz Jesu Frankfurt-Fechenheim am 6.2.1994

Hier können Sie meinen Beitrag weiter empfehlen: