Blogbeitrag

05.02.2024 Frankfurt für Demokratie

Nie wieder – oder doch?

15. Februar 2024

Sonntagsbotschaft zum 18. Februar 2024, dem 1. Sonntag auf dem gemeinsamen Weg zum diesjährigen Osterfest (Lesejahr B). 

Durch Jahrhunderte hindurch wurde zunehmend eine Einseitigkeit gepflegt: Schuld und Sünde wird mit Vorliebe den einzelnen Menschen angelastet. Wenn es um das Scheitern von Beziehungen geht zwischen Menschen oder zwischen Völkern. Ebenso auch bei der Gefährdung des Lebensraums von Mensch und Tier auf dieser Erde. Eigentlich bei allem, was schief läuft. Eine Wahrnehmung gemeinschaftlich getragener Schuld wird immer wieder vermieden und ausgeblendet. Auch in der Kirche. Warum?

Es ist wohl einfach zu verführerisch, wenn sich aus der realen Verteilung der Macht Gelegenheiten ergeben, Schuld an unmenschlichen Entwicklungen den Gliedern zuzuweisen, die sich am wenigsten dagegen wehren können. So werden die jeweiligen Gemeinwesen entlastet und die für ihre Leitung Verantwortlichen davon freigehalten.

Einen starken Impuls, diese Einseitigkeit zu korrigieren und solchem Machtmissbrauch gegenzusteuern, setzte das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965).

Bei den meisten Katholiken kam zwar als willkommene Entlastung an, man müsse jetzt nicht mehr einzeln seine Sünden beichten, um bei Gott Vergebung zu finden; die Teilnahme an einem „Bußgottesdienst“ täte das auch.

Aber die Grundidee bei der Einführung von „Bußgottesdiensten“ war eine ganz andere: Es war die auf dem Konzil gewonnene Einsicht, dass „die Sünde des Menschen“ gemeinschaftlich zu verantworten ist; dass es – unbeschadet der Beteiligung der Einzelnen – für eine effektive Umkehr eines bewussten gemeinschaftlichen Weges bedarf.

Dass dieser Wandel in der Perspektive nicht wirklich gelungen ist, liegt sicher auch an einem sprachlichen Problem: Statt des biblischen Wortes der „Umkehr“ beharrte ja der Sprachgebrauch auf dem deutschen Wort „Buße“. Das aber war ja – in Gestalt des „Bußgeldes“ – längst besetzt von der Bedeutung individuell zu tragender Strafzahlung für „Verkehrs“-Verstöße und dergleichen.

Wenn die – biblisch verstandene – „Umkehr“ gelingen soll, wenn die Transformation aller gottwidrigen Unmenschlichkeiten in dieser Welt hin zum wirklichen „Reich Gottes“ gelingen soll, dann muss „Adam“, „der Mensch“, der die stärkste Macht seines Unwesens in den Gemeinwesen der Menschheit entfaltet, umkehren zu seinem eigenen Wesen, das er seinem Schöpfer und dem Schöpfer seiner Lebenswelt verdankt.

Das Urbild dieses „erneuerten“ Menschen bezeugt die Bibel in Jesus. Besonders der Apostel Paulus spricht diese Sprache. Etwa wenn er dazu aufruft:

„Zieht den neuen Menschen an,
der nach dem Bild Gottes geschaffen ist!“
(Epheser 4,24)

Jesus ist es, in dem – wo immer er auf Menschen einwirken kann – die ursprüngliche „Würde des Menschen wunderbar wiederhergestellt“ wird. So formuliert es die Liturgie am Weihnachtstag.

Am Anfang des Weges der „Umkehr“, der zu einem neu gefeierten Ostern hinführt, stellt die Bibel Jesus in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit:

Wo die Menschen sich am Jordan um den Täufer Johannes versammeln, macht ER es vor, indem er sich einfügt.

Und denen, die heute aus der Bibel Gott hören wollen, macht ER es vor, indem er sich vierzig Tage „Wüsten-Zeit“ gönnt. Da wird er sich der Einflüsse bewusst, die den Menschen mächtig bedrängen.

Schon das alte Gottesvolk Israel hat vierzig Jahre lang – abseits auf dem Weg durch Wüste – geübt, im Hören auf Gottes Stimme sich seines eigenen Wesens als „Mensch“ bewusst zu werden. Ebenso nutzt Jesus diese Zeit nachhaltig:

Da wird ihm klar, welche schädlichen Einflüsse auf dem Weg der Umkehr zum Reich Gottes auf ihn einwirken wollen. Ihm werden die Momente klar, in denen es darauf ankommt, sich anders zu entscheiden, um als „neuer Mensch“ frei zu werden für ein Leben in Gottes Reich, so dass wirklich sein menschenfreundlicher Wille zur entscheidenden Kraft wird.

In jener Zeit
trieb der Geist Jesus in die Wüste.
Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste
und wurde vom Satan in Versuchung geführt.
Er lebte bei den wilden Tieren
und die Engel dienten ihm.
Nachdem Johannes ausgeliefert worden war,
ging Jesus nach Galiläa;
er verkündete das Evangelium Gottes
und sprach: Die Zeit ist erfüllt,
das Reich Gottes ist nahe.
Kehrt um
und glaubt an das Evangelium!
(Markus 1,12-15)

Im Evangelium des 1. Sonntags auf dem Weg, der in diesen Wochen der „Umkehr“ zu einem echten Osterfest hinführt, verkörpert Jesus den Menschen, der „in allem wie wir“ versucht wird (Hebräerbrief 4,15) – Jesus, der neue Adam, der „neue Mensch“.

In den anderen beiden Lesejahren A und C stellen die Evangelisten Matthäus und Lukas sehr detailliert dar, wie Jesus anfängt, indem er sich der Versuchungen des Menschen bewusst wird und sich – wissend, warum – mit klaren Entscheidungen dazu in Beziehung setzt.

Da ist in seiner Person – wie das in der Vorstellungswelt der Bibel häufig geschieht – „der Mensch“ gemeint. Und an ihm und seinem Weg wird deutlich: „Der Mensch“ ist gefährdet durch eine Reihe von Versuchungen, die seinen Weg anders bestimmen wollen. Diesen Einflüssen gelingt es immer wieder, sich durchzusetzen, wenn sie sich zu anonymen Strukturen vernetzen, die man nicht benennen kann. So gelingt es ihnen, dem Menschen vorzugaukeln, sie dienten seinem Wohlergehen.

Die Bibel nennt das „Satan“.

Im Märchen sagt der Dämon: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!“ Und er verliert seine Macht in dem Moment, wo er identifiziert wird.

Ähnlich hat in einem Urteil (vom 15.05.2014 – Az. 8 A 2205/13) der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Einfluss beschrieben, der immer mehr Menschen sonntägliches Einkaufen schmackhaft macht. Statt die in Deutschland durch die Verfassung geschützte Sonntagskultur zu nutzen, geschehe damit eine zunehmende Kommerzialisierung von freien Zeiten, die früher der Familie oder dem Vereinsleben oder der Muße oder dem bürgerschaftlichen Engagement gewidmet werden konnten.

In Verflechtungen von Einflüssen ist „der Mensch“ auf sehr unterschiedliche Weise hinein verwoben und gemeinsam verantwortlich.

Jesus fügt sich solidarisch ein. Er bringt Klarheit und benennt die Kräfte. Für eine Befreiung zu neuem Menschsein ist das schon die halbe Miete. Wunder göttlicher Liebe! Jetzt kommt es noch auf uns an.

Alle sind füreinander und für das Ganze verantwortlich. Alle tragen bei zum Ganzen – durch ihr Tun, durch ihr Nichtstun, durch die Art ihre Tuns, …

Und „die Menschheit“ existiert nur in der Gestalt der vielen – respektiert unterschiedlichen – einzelnen Menschen und ihrer zunehmend globalen Vernetzung untereinander!

Neuanfang, Umkehr, Transformation, Buße … oder wie immer man das nennen will, braucht die Entfaltung eines neuen Bewusstseins: Was will der Mensch wirklich? Christen orientieren sich gerne an dem, dessen Wesen die Liebe ist: „Dein Wille geschehe!“

Aus einer Zeit, deren Kulturen diverse Götter im Kampf gegeneinander und gegen den Menschen sahen, griff das alte Israel eine uralt überlieferte Erzählung auf. Im Glauben an seinen Gott bezeugte es, dass ER für den Lauf der Geschichte etwas Anderes will: In seiner Neuauflage dieser Erzählung setzt er allen von Menschen verschuldeten Katastrophen ein Ende mit seinem dreifach ausgerufenen „Nie wieder!“ Für diesen Sonntag ist das als 1. Schriftlesung vorgesehen:

Gott sprach zu Noach
und seinen Söhnen, die bei ihm waren:
Ich bin es.
Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch
und mit euren Nachkommen nach euch
und mit allen Lebewesen bei euch,
mit den Vögeln, dem Vieh
und allen Wildtieren der Erde bei euch,
mit allen, die aus der Arche gekommen sind,
mit allen Wildtieren der Erde überhaupt.
Ich richte meinen Bund mit euch auf:
Nie wieder
sollen alle Wesen aus Fleisch
vom Wasser der Flut ausgerottet werden;
nie wieder
soll eine Flut kommen und die Erde verderben.
Und Gott sprach:
Das ist das Zeichen des Bundes,
den ich stifte zwischen mir und euch
und den lebendigen Wesen bei euch
für alle kommenden Generationen:
Meinen Bogen setze ich in die Wolken;
er soll das Zeichen des Bundes werden
zwischen mir und der Erde.
Balle ich Wolken über der Erde zusammen
und erscheint der Bogen in den Wolken,
dann gedenke ich des Bundes,
der besteht zwischen mir und euch
und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch,
und das Wasser wird
nie wieder
zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt.
(Genesis 9,8-15)

Wie aktuell – angesichts von Krisen und Katastrophen! „Nie wieder!“ Oder doch? Wie kommt’s? Schuld haben natürlich immer die Anderen. Oder eben Gott.

Ein Neuanfang mit besseren Chancen braucht eine neue Haltung des Menschen, einen neuen Blick, ein neues Denken, bewussteres Wollen. „Meta-Noia“ nennt es die Bibel auf Griechisch, was dann mit „Buße“ oder „Umkehr“ übersetzt wird.

Wenn in der IT von „Meta-Daten“ die Rede ist, geht es um die Frage, wie mit den gegebenen Inhalten umzugehen ist. Ja, „der Mensch“ muss ein neues Bewusstsein entfalten von dem, was er tut und will und wie er damit umgeht.

Die biblische Botschaft auf dem Weg, auf dem „Ostern“ werden soll, also Auferstehung und neues Leben, gibt Impulse dafür.

Ob damit erlösende „Transformation“, „Umkehr“, „Buße“ gelingt?

Hindernde Lähmungen durch Mühlsteine um den Hals und durch Klötze am Bein nimmt Gott selber weg. Das tut er durch Jesus. So die Erfahrung von Christen seit der ersten Zeit. Mit dem Einsatz seines Lebens löst er die zwingende Logik des Zusammenhangs zwischen Schuld und ihren Folgen und setzt an ihre Stelle die befreiende Logik göttlicher Liebe – für alle, die das annehmen, und trotz allen, die sich dem entgegenstellen.

Die sich mit dieser grundlegenden Transformation des Lebens beschenken lassen, feiern dann Befreiung.

In der Kraft dieser Zuversicht widersetzen sie sich allen entgegengesetzten Versuchungen und gehen gemeinsam den Weg in die Zukunft und gestalten ihn als Weg für alle.

Also: Neu zusammentun! Damit der Weg gelingt!

Nachtrag: In der „Frankfurter Rundschau“ vom 21.02.2024 wird das Problem der einseitigen Zuschreibung von Schuld auf die Einzelnen am Beispiel der Klimawende dargestellt in dem empfehlenswerten ausführlichen Beitrag „Wir verlieren uns in Debatten über Schuld und Scham“: https://www.fr.de/politik/klima-experte-gabriel-baunach-fussabruck-co2-handabdruck-klima-heizungsgesetz-92843607.html

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