Blogbeitrag

Oster-Wirrnis

1. April 2018

Predigt von Rainer Petrak in der Osternachtfeier 2018

Oster-Wirrnis. Hin- und hergerissen: Auf der einen Seite die schmerzliche Erfahrung, dass mit Jesus nun alles am Ende ist. Auf der anderen Seite die alles Bisherige sprengende Botschaft von seiner Auferstehung.

Die Versuchung ist groß zu verschweigen, dass der erste Impuls in der Ostererfahrung ein Tohuwabohu ist wie vor dem ersten Schöpfungstag. Kein Wunder: Es geht ja um neue Schöpfung.

In der Halbherzigkeit, die auch der Kirche in ihrem praktischen Verhalten immer wieder zu eigen ist, hat sie sich bei der Festlegung der Leseordnung nicht getraut, den letzten Vers des Markus-Evangeliums als Abschluss seiner Osterbotschaft zu verkünden. Das Eingeständnis, dass im Leben des Menschen, in dem die Auferstehung Christi das Ruder übernommen hat, Gottes schöpferisches Handeln mit solcher verstörenden Wirrnis beginnt – das wird einfach weggelassen (Markus 16,8). Dabei wird hier doch nur klar, dass die Erneuerung fundamental ist. Aber genau hier liegt die Versuchung: Sich einer solchen fundamentalen Neuorientierung nicht zu überlassen. Man sollte da ja auch vorsichtig sein: Schließlich heißt „verwirren“ auf Griechisch „diabolein“. Und der „Diabolos“ ist Gottes Gegenspieler. Allerdings ist die Verwirrung dieser Art vielleicht eben das Symptom, das den Zustand beginnender Neuschöpfung anzeigt, durch die Gott die neue Ordnung herbeiführt – oder auch einfach die „alte“, die eigentlich gemeinte Ordnung heilt und wiederherstellt.

Diese Frauen am leeren Grab von Jesus sind zwei von uns. An ihnen wird unsere Situation deutlich. Total verwirrt. Auf welcher Seite wollen sie jetzt stehen und starten und das Leben finden?

Auf der einen Seite, was Jesus ihnen eingepflanzt hat – die Gewissheit: Das höchste Gut auf dieser Erde ist deine Würde – ebenso wie die aller anderen Menschen. Sie zu pflegen, zu fördern, zu heilen und zu vollenden, war ja die Offenbarung seines Lebens – die reale Wahrheit, die zu bezeugen ER in diese Welt gekommen ist. (vgl. Johannes 18,37)

Und auf der anderen Seite die nicht minder reale Gewalt derer, die in ihm den Gotteslästerer und den Feind schlechthin sahen und denen es gelungen war, ihn mit dem Recht des Stärkeren zu besiegen.

Was ER ihnen eingepflanzt hatte, war so wunderbar! Sie konnten es ja erleben, wie er neu anfing, diese Wahrheit zu leben und so eine neue Welt zu begründen. Doch das soll jetzt alles nichts gewesen sein?

Worauf kommt es jetzt an, wenn das alles doch wahr werden soll? Wenn es jetzt geschehen soll – diese Wahrheit, für deren Realisierung Jesus zum König, also zur herrschenden Kraft bestellt ist?

Menschen, die all ihre Sehnsucht an dieser Seite festmachen, sind einen neuen Bund eingegangen:

Wo immer Gruppen-Interessen der Einen der Würde des Menschen und seinem Recht entgegenstehen, da wissen sie aus Erinnerung, aus Erfahrung und Vertrauen: Gott hat eine Vorliebe für die, die untergebuttert werden. Deswegen steht er immer für die ein, die sich nach Befreiung von irgendwelchen Unterwerfungen durch Stärkere sehnen.

Für alle, die an Jesus Maß nehmen, ist dann klar: Diese heilige Würde gilt immer. Unabhängig von Stärke oder Schwäche. Unabhängig von Krankheit oder Gesundheit. Unabhängig von Schuld oder Unschuld. Unabhängig von Leistung in Frömmigkeit und Moral oder Beruf und Politik. Und das ohne dafür zu bezahlen!

Die Bibel ist voll von dieser Botschaft und der dazugehörigen Logik:

Immer wieder bezeugen da Menschen Gottes wunderbares Tun an ihnen: „Mich umfingen die Fesseln des Todes, … In meiner Not rief ich zum Herrn und schrie zu meinem Gott. … Er griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern. Er entriss mich meinen mächtigen Feinden, die stärker waren als ich … Sie überfielen mich am Tag meines Unheils, doch der Herr wurde mein Halt. Du führst mich hinaus ins Weite. …“ (Psalm 18) „Du entreißt den Schwachen dem, der stärker ist, und den Armen dem, der ihn ausraubt.“ (Psalm 35)

Menschen, denen ihr fundamentales Recht vorenthalten wurde, bekennen sich in der Bibel immer wieder zu dem Gott, der ihnen Recht verschafft, Anerkennung ihrer Würde. In vielfachen Wiederholungen preisen sie Gott voller froher Hoffnung mit Worten wie: „Recht verschafft er den Unterdrückten, den Hungernden gibt er Brot; der Herr befreit die Gefangenen. … Der Herr beschützt die Fremden und verhilft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht“ (Psalm 146). Er „liebt die Fremden, gibt ihnen Nahrung und Kleidung …“ (Deuteronomium 10,18). „Er wird Recht verschaffen den Gebeugten im Volk, Hilfe bringen den Kindern der Armen, …“ (Psalm 72)

Natürlich umfasst diese Wiederherstellung von Würde und Recht des Menschen auch alle die Situationen, in denen Menschen sich durch eigene Schuld disqualifiziert haben und darunter leiden. Jesus verkörpert geradezu Gottes Vorliebe für die „Sünder“ und ihre Heilung. Die als verloren gelten und sich nicht mehr selber aus dem Schlamm ziehen können, um derentwillen lässt er auch 99 sogenannte „Gerechte“ allein, um den einen wegen seiner Schuld und Sünde Leidenden zu suchen und zu heilen (vgl. Lukas 15). Vorrang hat einfach für ihn die Zuwendung zu den Schwächeren aller Art.

Und dieses „Recht“ kommt allen Menschen zu – nicht nur denen in Gottes Volk: „… Mein Arm verschafft den Völkern [anders übersetzt: ‚den Heiden‘] ihr Recht (Jesaja 51,5) … auf meinen Knecht habe ich meinen Geist gelegt, er bringt den Völkern das Recht.“ (Jesaja 42,1)

Und so wächst sich dieses Menschen-Recht zum internationalen Frieden aus:

„…Er spricht Recht im Streit der Völker, … Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.“ (Vgl. Jesaja 2,4; Micha 4,3)

Aber was da alles dem entgegensteht! Auch da, wo an ihn glaubende Menschen miteinander wirklich Kirche sind! Schließlich leben wir ja in dieser Welt – in einem unübersichtlichen Geflecht vielfältiger Einflüsse, die auf uns einwirken und uns in alle möglichen Richtungen hin bewegen wollen. Das ist doch unser Lebensraum, in dem wir uns entfalten und diese Welt gestalten wollen! Davon werden wir uns doch nicht abkoppeln!

Wenn wir also wissen, zu unseren Lebzeiten realisieren wir das alles immer nur gebrochen, worauf kommt es dann an, wenn wir unter Seinem Einfluss leben wollen?

 Das Wichtigste dürften zwei Dinge sein: Dass wir uns klar machen und wissen, was wir wollen – als Grund, in dem wir verwurzelt sind, auch wenn wir immer wieder in Widersprüche geraten und vom Weg abweichen. Und das Zweite: Dass wir bewusst wahrnehmen, wozu diverse Kräfte und Einflüsse uns bewegen wollen.

Dann können wir immer wieder neu – ohne uns durch das „schlechte Gewissen“ wegen unseres abweichenden Verhaltens lähmen zu lassen – zurückkommen zu unserem eigentlichen Selbstverständnis, zum Kern unserer Identität, unserer Person. Wir wissen dann jeweils in erneuerter Klarheit, wer wir sind: von Gott beatmet, Glieder an seinem Leib, seine geliebten Kinder.

Gemeinsam machen wir das in dieser Osternacht wieder klar: Allem, was Recht und Würde des Menschen verletzt, widersagen wir und bekennen uns zum Glauben an einen anderen Gott, der für uns der einzige Gott ist: den Jesus verkörpert, in dessen glorreicher Auferstehung aus dem Verbrechertod sogar die Drohung mit dem Tod ins Leere läuft.

Das bestärkt uns in der Gewissheit: Schrecken und Entsetzen der Frauen am Grab verwandelt alle Diktatur der Ketten in radikalen Neuanfang, definitives Ende wird zum neuen Leben in Humanität, Schuld zum Freispruch, Nacht zum Licht. Die Toten werden neu beatmet und dieser Geist wird es schaffen: Die Gräber der verkrusteten Welt brechen auf und das Antlitz der Erde wird neu!

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