Blogbeitrag

Spinalonga

Quarantäne

9. Februar 2021

Sonntagsbotschaft zum 14. Februar 2021 (6. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B)

 Und / oder zum (Mit-)Lesen:

Ansteckende Krankheiten gab es schon immer. Manche davon gerieten zur Katastrophe. Und immer wieder gaben sie auch Anstöße zur Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung. Die Menschheit ist sehr unterschiedlich mit ihnen umgegangen.

In der aktuellen Ratlosigkeit gegenüber der Corona-Pandemie richten sich die Erwartungen vor allem auf einen kleinen Teil der Gesellschaft: auf die Wissenschaft. Erwartungen an das Verhalten aller zur Beteiligung an der Lösung der Probleme stoßen auf gebremste Zustimmung. – Gibt es da auch Erwartungen an Gott?

Seit der Antike wurden viele Hautkrankheiten als „Aussatz“ zusammengefasst; man konnte nicht zwischen den verschiedenen Erkrankungen unterscheiden. Ob ein „Aussätziger“ z. B. an der nicht ansteckenden Schuppenflechte oder tatsächlich an Lepra erkrankt war, blieb unklar. Ansteckung durch „Aussatz“ war aber verbreitet und ein bekanntes und gefürchtetes Phänomen. Da der Zeitraum zwischen der Ansteckung und dem Auftreten von Symptomen, also die Inkubationszeit, bei Lepra viele Jahre betragen kann, waren die Infektionswege so unübersichtlich, dass die Ursache für die Erkrankung unterschiedlich und willkürlich gedeutet wurde. Um sicher zu gehen und zum Schutz der Allgemeinheit wurde im Zweifelsfall „Aussatz“ diagnostiziert.

In Israel war man von Gottes Willen überzeugt, dass die Menschen heil, geschützt und gesund leben sollen. In der Krankheit sah man eine Strafe Gottes und die Aussonderung der Aussätzigen sei von Gott gewollt. Nach Maimonides, dem bedeutenden jüdischen Philosophen, Rechtsgelehrten und Arzt des 12. Jahrhunderts, bezeichnet in der hebräischen Bibel das Wort Zaraat (צרעת) – für „Aussatz“ – eine Krankheit, die zeigt, dass der von ihr Befallene der üblen Nachrede, der Verleumdung oder eines ähnlichen Verhaltens schuldig sei und dafür – von Gott – mit der Krankheit bestraft werde.

Die Menschen in der Umgebung eines Aussätzigen fürchteten jedenfalls, sich bei ihm anzustecken. Außerdem wollten sie sich vor der „Ansteckung“ zu solchem mit Aussatz bedrohten Verhalten schützen. Also wurden an „Aussatz“ Erkrankte aus der Gemeinschaft ausgestoßen, um den Kontakt mit ihnen zu vermeiden. Sie mussten außerhalb der Dörfer und Städte leben, sie waren „ausgesetzt“. Das Aufenthaltsrecht in menschlicher Gesellschaft wurde ihnen verweigert.

Die letzte Lepra-Kolonie in Europa, auf der Kreta vorgelagerten Insel Spinalonga oder Kalydon, wurde erst 1957 aufgelöst. Sie ist bis heute unbewohnt, erfreut sich aber zunehmender Beliebtheit bei Touristen.

Von der Begegnung zwischen Jesus und einem „Aussätzigen“ erzählt der Bibelabschnitt aus dem Markus-Evangelium, der für uns heute „die froh machende Nachricht“, „das Evangelium“ werden will. An diesem Sonntag, an dem uns alle die Frage beschäftigt, wie wir uns verhalten werden in einem Geflecht der Menschen, von denen wir nicht wissen, wer uns und wen wir mit dem Corona-Virus anstecken könnten.

Ob die Erzählung aus dem Markus-Evangelium (1, 40-45) uns da weiterbringt, gar eine erlösende Antwort gibt?

In jener Zeit
kam ein Aussätziger zu Jesus
und bat ihn um Hilfe;
er fiel vor ihm auf die Knie
und sagte: Wenn du willst,
kannst du mich rein machen.
Jesus hatte Mitleid mit ihm;
er streckte die Hand aus,
berührte ihn
und sagte: Ich will – werde rein!
Sogleich verschwand der Aussatz
und der Mann war rein.
Jesus schickte ihn weg,
wies ihn streng an und sagte zu ihm:
Sieh, dass du niemandem etwas sagst,
sondern geh, zeig dich dem Priester
und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat –
ihnen zum Zeugnis.
Der Mann aber ging weg
und verkündete bei jeder Gelegenheit, was geschehen war;
er verbreitete die Geschichte,
sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte;
er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf.
Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm.

Was bei Markus nicht steht, was sich aber aus der damaligen Logik zwingend ergibt:

„Mitleid“ darf Jesus ja mit ihm haben. Das ist nicht verboten, wenn auch „speziell“, da doch am Zustand dieses Mannes zu sehen ist, dass er sich irgendwie schuldig gemacht hat, so dass er diesen Zustand auch verdient hat.

Jesus streckt die Hand aus und berührt ihn. Das ist verboten! Dadurch kann er sich anstecken und selber zur Ansteckungsgefahr für andere werden!

Durch sein Verhalten macht Jesus sich Gegner. Und da er sich zu seiner Rechtfertigung immer wieder auf Gott beruft und da viele Menschen in seinem Verhalten Gott am Werk sehen, sehen seine Gegner sich schließlich dazu gezwungen, Jesus zu stoppen und ihn zu beseitigen. Das hält ihn aber nicht davon ab, weiterzumachen und zu sagen: Gott will das so!

Was ist das, was Gott da will?

Was sagt die Erzählung?

In der Geschichte geht es erst einmal um das, was der leidende Mensch in seiner Sehnsucht will, und um sein Zutrauen zu Jesus und zu seiner Solidarität mit ihm: „Wenn – auch – du willst, …“ Aber wie kommt er dazu, ihm auch zuzutrauen, dass er ihn „rein“ machen kann – zuverlässig, also auch „offiziell“?

Das geht aus dem Text nicht hervor.

Denkbar wäre, dass er sich zu Unrecht für aussätzig, also für „unrein“ erklärt wähnt – vielleicht ja sogar nur, weil er es einfach nicht wahr haben will und jetzt darauf hofft, dass Jesus ihm zu seinem Recht verhilft – oder zu dem, was er für sein Recht hält.

Denkbar ist auch, dass der Evangelist deutlich machen will: Da gibt es Menschen, die dem Jesus eine Kraft zutrauen, sogar vom Aussatz zu heilen – eine Kraft, die doch höchstens Gott zuzuschreiben ist. Der aber ihn doch mit dem Aussatz „bestraft“ hat!

Jesus geht auf das Zutrauen des Aussätzigen ein. Er zeigt – prägnant bis in die Wortwahl – , dass es ihm genau darum geht, die Sehnsucht des leidenden Menschen zu erfüllen: „Ich will!“ und „Werde rein!“

Jesus handelt hier wie ein …

– ja, wie ein was denn?

Wie ein Wunderheiler? – Dann hätte der Erzähler, wie bei damaligen Geschichten von Wunderheilern üblich, im Einzelnen die magischen Worte und Gesten beschrieben, wie Jesus das gemacht hat. Stattdessen lenkt aber Jesus selber in der Erzählung die Aufmerksamkeit von sich weg und hin auf die bei den Priestern einzuholende Verfügung – wir würden heute sagen: auf die beim Gesundheitsamt einzuholende Bescheinigung. Mit der in der Hand, ist der Mann befreit aus seiner Isolation in der Dauer-Quarantäne; er darf wieder unter die Leute!

Handelt Jesus hier wie ein Anarchist, der die Menschen in ihrem Egoismus ermutigt, gegen gesetzliche Regelungen zu verstoßen, die zum Schutz von Recht und Freiheit der Allgemeinheit erlassen sind? – Dem widerspricht, dass Jesus den Mann auffordert, den Regelungen der Ordnung nachzukommen, indem er sich sein „Rein“-Sein attestieren lässt und das vorgesehene Dankopfer dafür darbringt.

Als was oder wie wer handelt Jesus also hier?

Mir scheint, der Evangelist will eine Antwort auf diese Art der Frage gerade ausschließen: Was Jesus da tut, lässt sich nicht einordnen in irgendeine Kategorie bekannter, erklärbarer Verhaltensweisen. Es ist einmalig: Jesus zeigt, worauf es Gott ankommt, und er setzt sich damit in Widerspruch zu den Bildern von Gott und vom Menschen, die sich eingebürgert hatten.

Er fängt neu an – mit dem „Reich Gottes“:

Alle sollen zu einem erfüllten Leben finden! Davon darf keiner ausgegrenzt werden!

Seine Gegner aber, die am Alten festhalten und sich nicht wirklich mit ihm darüber auseinandersetzen wollen, sie werden ihn schließlich dafür ans Kreuz bringen. Jesus stellt sich dem Konflikt, und auch der drohende Tod kann ihn nicht davon abbringen. Das Leben der Menschen zu erneuern – in einer großen Transformation – , das ist ihm wichtiger, als das eigene Leben zu bewahren.

Diesen Weg beschreibt Markus. Immer wieder wurde deshalb die Wesensart seines Evangeliums charakterisiert als „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“. Er legt den Weg dar, der Jesus ans Kreuz bringt.

Der für diesen Sonntag vorgesehene Abschnitt daraus illustriert – wie auch die folgenden Abschnitte – , wozu er sein Buch über diesen Weg von Jesus geschrieben hat: Das ist der „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ Mit diesen Worten hat er es überschrieben. Ja, so hat es angefangen. Das bezeugt er.

Und so will es jetzt weitergehen: das Reich Gottes, in dem Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, der jetzt unter uns wirkt – wie in diesem Beispiel mit dem Aussätzigen, das uns heute vor Augen gestellt wird.

Einfühlsam bietet die Liturgie der Kirche als Wegweisung in eine solche Einstellung hinein die Worte des Tagesgebetes für diesen Sonntag an:

Gott, du liebst deine Geschöpfe,
und es ist deine Freude,
bei den Menschen zu wohnen.
Gib uns ein neues und reines Herz,
das bereit ist, dich aufzunehmen.

Da stellt sich dann wieder die Frage vom letzten Sonntag: Wann wird das an uns sichtbar werden? Wann wird alle Welt an uns Christen sehen können, dass wir alle – wenn wir uns seinem Reich, seiner Herrschaft anvertrauen – seine Töchter und Söhne sind?

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