Blogbeitrag

2020-07-05 Licht und Schatten

Schatten und Licht

3. August 2023

Sonntagsbotschaft zum 6. August 2023, dem Fest der Verklärung Christi. 

Moment mal! „Schatten und Licht“? Normalerweise heißt das „Licht und Schatten“! Das ist wie mit „Nacht und Tag“: Irgendwie irritiert das; üblich ist doch die Redewendung in der Reihenfolge „Tag und Nacht“!

Wahrscheinlich ist das bedeutungslos, ja. Aber es fällt mir schon auf. Und ich frage mich, ob das etwas zu tun hat mit der Botschaft des Festtags am 6. August.

6. August – Festtag ? „Fest der Verklärung Christi“ – Haben Sie schon mal davon gehört? Feiern Sie das gar?

Ehrlich gesagt: Auch mir fällt beim Datum „6. August“ erst mal was ganz Anderes ein: das Massaker an der Bevölkerung von Hiroshima mit dem ersten Atombombenabwurf am 6. August 1945! Dieses zerstörerisch blendende Licht – was für ein Schatten über unserer Weltgeschichte!

Wie geht es Ihnen mit dem Wortpaar „Schatten und Licht“ – oder auch „Licht und Schatten“? Kommt Ihnen das in den Sinn, wenn es um etwas besonders Helles, Lichtvolles geht? Oder vielleicht eher, wenn etwas Finsteres Sie verunsichert?

Nach meinem Eindruck verwenden Menschen diese Redewendung, wenn etwas eigentlich Wertvolles sich mit seinem finsteren Gegenteil vermengt, seine „Schattenseiten“ entfaltet, im schlimmsten Fall „Kollateralschäden“. Manchmal zum Trost, manchmal um zu beschwichtigen, sagt jemand: „Wo Licht ist, gibt es auch Schatten.“

Warum eigentlich ist es völlig unüblich, auch umgekehrt herum zu sagen: „Wo ein Schatten fällt, gibt es auch eine Lichtquelle.“?

Wenn doch jemand so reden wollte, wäre klar: Da geht es um ein düsteres Geschehen. Aber die Hoffnung auf einen lichtvollen Sinn will darin einen Schatten sehen, der eigentlich durch eine Lichtquelle geworfen wird, der sich aber in diesem Fall etwas entgegenstellt.

Ein trüber, verregneter, depressiv stimmender Tag mag manchem, der Trost sucht, zum Anlass werden, von der Sonne über den Wolken zu reden und dass irgendwann die Wolken auch wieder weg sein werden.

Nach dem Krieg sang die kleine Cornelia – die spätere Connie Froboess:

„Lieber Gott, lass die Sonne wieder scheinen
für Papa, für Mama und für mich …“

Oder wenn ich einer Person begegne, für die im Moment alles düster aussieht, dann frage ich mich vielleicht: Was kann ich tun, um ihr die Stimmung aufzuhellen?

Wie ist das grundsätzlich? Geht das: Licht ohne Schatten? Glücklich und zufrieden sein – ohne jede Eintrübung oder Begrenzung? Froh sein über Erfolg, Gesundheit, Gelingen – sozusagen als selbstverständlicher Normalfall oder als Dauerzustand – ohne Momente entgegengesetzter Erfahrungen?

Selbst wenn es das gäbe: Dann wäre ja dieser Normalzustand nichts Besonderes. Das könnte mich dann weder enttäuschen oder belasten noch zufrieden stimmen oder gar glücklich machen!

Ich erinnere mich an die Zeit um den Contergan-Skandal Anfang der Sechziger Jahre: Davor rechneten eigentlich alle werdenden Eltern damit, dass ihr Kind mit vollständig ausgebildeten Gliedmaßen zur Welt kommt. Wenn das dann auch – wie erwartet – der Fall war, war das kein Anlass für eine übermäßige Freude; das war ja sozusagen „normal“. Wenn allerdings wirklich mal etwas fehlte, war die Bestürzung groß! Ganz anders war das, als alle Mütter, die während der Schwangerschaft Contergan eingenommen hatten, nun fürchteten, dass auch ihrem Kind Beine oder Arme halb oder ganz fehlen könnten! Wie groß war bei ihnen allen die überschwängliche Freude, wenn sie ausrufen konnten: „Es ist alles dran!“

Was für ein Unterschied im gleichen Geschehen! Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt oder einfach mit der Schulter zucken – ganz und gar abhängig davon, was als gefühls-neutraler „Normalfall“ die Sichtweise bestimmt!

Irgendwie mit Erfahrungen und Sichtweisen solcher Art zu tun hat – so scheint mir – dieser Festtag der Verklärung Christi und sein düsterer Anlass, den seine Botschaft in ein zu feierndes Fest verwandelt.

Immer wieder steht ja im Neuen Testament die grundsätzliche Frage im Raum: Jesus, mit seinen Bemühungen, die Menschen zu einer Lebensweise zu befreien, in der auch alle bisher Benachteiligten aufleben können zu einem erfüllten Leben – ist er damit gescheitert? Oder hat er gerade mit dem aufopferungsvollen Einsatz seines Lebens ein menschenwürdiges Leben aller grundlegend neu in die Wege geleitet, so dass man ihn nur dankbar bewundern, ja feiern und anbeten kann und seine Einstellung, seinen Geist zur Seele des eigenen Lebens macht?

Großer Verlierer? Oder Türöffner für eine neue Zeit gottgewollter Menschlichkeit?

In dieser Frage zu einer klaren Antwort zu kommen, das wurde damals für die ersten, die mit ihm gingen, zunehmend bewusst zu einem Prozess, mit dem sie über die Ausrichtung ihres eigenen weiteren Lebensweges entschieden. Bis zum Ende war das immer wieder ein Hin-und-Her-Schwanken zwischen Protest, Verleugnung, Verzweiflung, … und beglückter Begeisterung, feuriger Zustimmung, selbstvergessener Mitwirkung, …

In welche der entgegengesetzten Richtungen ihr Pendel jeweils ausschlug, kam immer darauf an, in welchem Licht sie die Entwicklungen und Ereignisse und sich selber darin involviert sahen:

Wenn ihnen in dem, was sie mit Jesus erlebten, der herrliche Beginn von Gottes Herrschaft unter den Menschen aufleuchtete, dann wollten sie gleich seine „Minister“ werden. Wenn Jesus ihnen aber das Schlaglicht seiner abzusehenden Verurteilung und Hinrichtung zumutete, protestierten sie: „Gott bewahre!“

Wenn sie Zeugen wurden vom Neubeginn des Lebens, den Erniedrigte, Gelähmte, Ausgestoßene, … in der Begegnung mit Jesus erfuhren, ließen sie sich gerne aussenden, es ihm gleichzutun. Aber wenn er sie darauf aufmerksam machte, dass das für sie mehr als nur unbequem würde, bekamen sie Angst um die eigene Haut.

Wiederholt erinnert Jesus seine Leute damals – wie auch das ganze Neue Testament die Christen aller Zeiten – an die Erfahrungen und Einsichten, die schon das ganze Alte Testament mit „Gesetz und Propheten“ von Gottes Wegen mit den Menschen bezeugt. Jesus geht davon aus: Die es mit ihm halten und mit Gottes Liebe zu den Menschen, die werden dann sich für ein Leben mit ihm entscheiden, wenn sie das, was um sie herum geschieht, im Licht von all dem anschauen, wie Gott schon immer sich Menschen mitgeteilt hat, die dafür aufgeschlossen waren – im Licht von „Gesetz und Propheten“, von „Mose und Elija“.

Als er gekreuzigt war und seine Leute auseinandergingen, sahen sich die beiden Männer, die total niedergeschlagen nach Emmaus gingen, irgendwie dazu veranlasst, das Erlebte noch einmal zu bedenken – nicht im Licht der von den Herrschenden geprägten öffentlichen Meinung, die Jesus als endlich ausgeschaltet und überwunden ansah, sondern im Licht dessen, was schon „ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht“ – wie es im Lukas-Evangelium heißt.

Und schon am Anfang ihrer gemeinsamen Zeit, im Zusammenhang ihres gemeinsamen Weges aus Galiläa nach Jerusalem, in die Höhle des Löwen, wo ihnen allen die bedrohliche Spannung klar geworden ist, in der sie sich gemeinsam mit Jesus befanden, da geschah das, wovon die Bibel in den Gottesdiensten dieses Festtags spricht.

In jener Zeit
nahm Jesus
Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite
und führte sie auf einen hohen Berg.
Und er wurde vor ihnen verwandelt;
sein Gesicht leuchtete wie die Sonne
und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, es erschienen ihnen Mose und Elia
und redeten mit Jesus.
(Matthäus 17,1-9)

Jesus veranlasst sie auf dem Berg, sein ihm in Jerusalem bevorstehendes Ende – so ist im Lukas-Evangelium (9,30-31) das Thema genannt – im Licht dessen zu betrachten, was Mose und Elija schon über Gottes Absichten vorausgesehen hatten und was sich nun erfüllen würde.

Die deutschsprachige Tradition verwendet dafür das Wort „Verklärung“. Wenn man aber bedenkt, dass im allgemeinen Sprachgebrauch ein „verklärter“ Blick eher eine unrealistische Verschleierung meint als ein Mehr an wirklicher Klarheit, dürfte es hilfreich sein, ins griechische Original zu schauen. Da steht: „μετεμορφώθη έμπροσθεν αυτών“: „da verwandelte sich ihnen gegenüber das Aussehen seiner Gestalt“. Im Deutschen kennen wir das Fremdwort „Metamorphose“. Das verwenden wir zum Beispiel für die Umwandlung einer kriechenden Larvenraupe in einen fliegenden Schmetterling. Hier nimmt Jesus für ihre Augen sichtbar die Gestalt himmlischer Herrlichkeit an.

Und sie hören Gott dazu sagen: „An ihm habe ich Wohlgefallen gefunden; er handelt ganz und gar in meinem Sinn! Das ist er: mein geliebter Sohn!“ Da wird ihnen klar: Auf ihn sollen sie hören! Nicht auf die Gegenstimmen!

Sie sollen sich nicht ins Bockshorn jagen lassen durch alle möglichen Stimmen – die äußeren wie die inneren – , die ihnen Angst machen oder einreden wollen „Ihr seht ja, das bringt doch alles nichts!“

Zur Hilfestellung für eine Entscheidung, auf Jesus zu vertrauen und sich vom Weg mit ihm nicht abbringen zu lassen, wird ihnen diese Erfahrung mit ihm auf dem Berg. Da sehen und begreifen sie die Ereignisse neu – im herrlichen Licht der alten Botschaft, die diesen Weg mit dem, der Gott verkörpert, bereits kennt und in Aussicht gestellt hat: Sein sich in Jerusalem erfüllendes Ende! Nicht Gottes Scheitern am Widerstand der Mächtigen, sondern Erfüllung der Zusage seiner grenzenlosen Liebe zu den Menschen, die nicht einmal dann Halt macht, wenn Gott selber unterzugehen droht!

In diesem Licht betrachtet, sieht alles ganz anders aus! Da kann noch so vieles die Hoffnung verfinstern, – das ist nur der Schattenwurf des Widerstands, der sich dem Licht entgegenstellt – dem herrlich wachsenden Licht, in Gott geborgen, vor dem der Schatten wird fliehen müssen! Kraft zu einem Neuanfang!

So wie die Nacht flieht vor dem Morgen,
so zieht die Angst aus dem Sinn,
so wächst ein Licht, in dir geborgen,
die Kraft zum neuen Beginn.
(Refrain zum Lied „Ein Licht in dir geborgen“ – „Ein Funke aus Stein geschlagen“ –
Text und Melodie: Gregor Linßen, 1990)

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