Blogbeitrag

1996.3611 Mummelsee Kapelle Glasfenster

Schmeckt nach Liebe

26. Oktober 2023

Sonntagsbotschaft zum 29. Oktober 2023, dem 30. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A). 

Auf Google-Suche nach „typisch christlich“ fand ich die Aussage „Vor 2000 Jahren zog ein Wanderprediger namens Jesus von Nazareth aus, um die Lehre von der Liebe zu verkünden.“ Und dann der Titel „Jesu Botschaft: Nächstenliebe“.

Ja, „Liebe“ oder „Nächstenliebe“ sei das Wesentliche in der christlichen Lehre und Botschaft, das sagen viele.

Ist Liebe auch die typische Erfahrung mit den Christen – und die Erfahrung der Christen selber? Von Liebe reden ist ja noch lange nicht „lieben“. Jedenfalls ist die Erfahrung von Liebe kein Alleinstellungsmerkmal der Christen; Liebe gibt es natürlich auch bei Nicht-Christen. Vielleicht manchmal sogar mehr?

Inwiefern ist Liebe „typisch christlich“?

Was ist da mit dem Wort „Liebe“ gemeint? Geht es da um das, was ich für mich und für die ganze Welt suche und schätze, wenn ich „Liebe“ sage?

Liebe geschieht ja nicht dadurch, dass ich die Forderung nach Liebe anderen um die Ohren schlage!

Wie macht man das – lieben? Was tue ich da? Geliebt werden – was erlebt man da? Wie geht es mir da? Mit welchen anderen Worten lässt sich das beschreiben, was da geschieht, wenn Menschen sich geliebt erfahren und wenn sie lieben?

In katholischen Gottesdiensten an diesem Sonntag trifft die erste Lesung aus der Bibel voll ins Schwarze! Finde ich jedenfalls. Das Wort „Liebe“ kommt da zwar kein einziges Mal vor. Aber die Einstellung zu einem menschlichen Miteinander, wie dieser Text sie atmet, das regt meine Sehnsucht an.

Wovon ist da die Rede? Worum geht es im Zusammenhang?

Mit „Du“ angesprochen ist hier die Gemeinschaft des Volkes, deswegen auch immer wieder abwechselnd mit „ihr“. Ausgangspunkt ist die Beziehung zwischen dem Volk und seinem Gott. Das ist ja nicht wie bei den anderen Völkern, wo einer herrscht und das Volk muss gehorchen. Zwischen Israel und seinem Gott besteht stattdessen ein Vertrag, den sie miteinander geschlossen haben – ein „Bund“, wie die Bibel das nennt. Das Buch Exodus, das 2. Buch des Mose, dokumentiert in den Kapiteln 20 bis 24 die Vereinbarung und wie sie zustande kommt. Da verpflichten sich beide Seiten gegenseitig auf ein Zusammenwirken für den Weg des Volkes in eine gute Zukunft.

In diesem „Buch des Bundes“ – wir nennen so etwas heute „Grundgesetz“ oder „Verfassung“ – sind grundlegende Regeln zusammengestellt, die man im Volk einhalten muss, damit Gott sie auf ihrem gemeinsamen Weg durch die Zeit gut führen kann. Zu allen Zeiten ist das eine besondere Herausforderung, wenn Interessenskonflikte im Volk das gute Miteinander behindern. Da widmet das „Buch des Bundes“ besonderes Augenmerk dem Schutz der Würde, der Rechte und der Freiheit von allen Beteiligten.

Ein Teil daraus ist der Lesungsabschnitt dieses Sonntags:

So spricht der Herr:
Einen Fremden
sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten,
denn ihr selbst
seid im Land Ägypten Fremde gewesen.

Was ist der Zusammenhang, der hier mit dem Wort „denn“ gemeint ist? Was hat er damals mit „uns“ gemacht?

Zu Beginn dieses Bundesbuches hat er sich selber vorgestellt: Ich bin der, der dich aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, aus der Sklaverei zum Leben befreit hat. Ihr wisst ja also, wie das ist, wenn man als Fremde in einem Land abhängig ist vom Wohlwollen der Einheimischen und wenn man sich dann zur Anpassung an ihre Erwartungen gezwungen sieht. Da könnt ihr ja gut mitfühlen und eure damalige Erfahrung heute mit den Fremden bei euch solidarisch und einfühlsam teilen!

Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen.
Wenn du sie ausnützt
und sie zu mir schreit,
werde ich auf ihren Klageschrei hören.

Ihr erinnert euch ja: Zu Mose habe ich damals am Dornbusch gesagt „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und sein Schreien um Hilfe gehört. Deshalb sollst du sie herausführen.“

Und wie ich damals für euch gegen den Pharao gekämpft habe, so werde ich auch heute und allezeit wieder handeln, wenn „Witwen und Waisen“ ihre Würde und ihr Recht verletzt wird. Wenn ihr so etwas zulasst und so Menschen aus der Erfahrung des Bundes mit mir ausgrenzen wollt, dann könnt ihr euch darauf verlassen: Ich lasse das mit der Kraft meiner Liebe nicht zu:

Mein Zorn wird entbrennen
und ich werde euch mit dem Schwert umbringen,
sodass eure Frauen zu Witwen
und eure Söhne zu Waisen werden.

Für ein Volk mit einer Kultur, das sich nur durch Drohung mit Gewalt überzeugen lässt, eine drastische Art, die zuverlässig eintretende Konsequenz vor Augen zu führen, wenn eine solche Grundregel verletzt wird!

Wenn ihr bei euch nicht dafür sorgt, müsst ihr im gegebenen Fall damit rechnen, dass für euch selber nicht vorgesorgt ist!

Die aber den Bund einhalten, werden alle das Recht und die Würde der auf Hilfe Angewiesenen ebenso achten wie ihr Gott, von dessen Führung im Bund mit ihm sie auch für sich selber alles Gute erhoffen können.

Und:

Leihst du einem aus meinem Volk,
einem Armen, der neben dir wohnt, Geld,
dann sollst du dich gegen ihn nicht
wie ein Gläubiger benehmen.
Ihr sollt von ihm keinen Zins fordern.
Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand,
dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben;
denn es ist seine einzige Decke,
der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt.

Dieser Gott hat nicht einfach seine Lust daran, Gebote zu setzen und ihren Gehorsam einzufordern, sondern der Grund, warum sie sich daran binden, liegt im Sinn des Ganzen und der dazu gehörigen Blickrichtung: Vorrang hat da nicht der Rechtsschutz des Gläubigers, dem es sowieso gut geht und der keinen zusätzlichen Beistand braucht, sondern noch wichtiger ist der Blick für das elementare Recht des Armen. Und dieser Blick soll auch unser Blick sein, mit dem Menschen einander begegnen – jedenfalls bei den Menschen, die als sein Volk aus der Hoffnung auf den Bund mit ihm leben.

Worin soll er sonst schlafen?
Wenn er zu mir schreit,
höre ich es,
denn ich habe Mitleid.
(Exodus 22,20-26)

Als Befreier aus der Sklaverei haben sie ihn kennengelernt. Auf einen dauerhaften Bund mit ihm haben sie sich deshalb eingelassen: „Ich euer Gott, ihr mein Volk!“ Und sie haben geantwortet: „Ja, wir wollen!“ In der Sprache der Oster-Liturgie und auch der Tauf-Liturgie ist das das gemeinsam gerufene „Amen, ich glaube!“

Wo Menschen sich in freier Entscheidung und gemeinsam dem Bund mit IHM anvertraut haben, werden sie mit der gleichen Aufmerksamkeit wie ER einfühlsam aufeinander achten:

„Da ich euch liebe, werde ich Klagen und Seufzen hören und abhelfen.“ „Und da wir dich lieben, werden wir diese deine Liebe zu allen mit dir teilen und uns zu eigen machen. Deine Freunde sind auch unsere Freunde“.

„Ich werde euch lieben, achten und ehren – in guten und in schlechten Zeiten.“ Ja, die Bibel vergleicht das immer wieder mit der Liebe in der Ehe:

„Wie der Bräutigam sich an der Braut freut,
so freut sich dein Gott an dir! …
Ich werde zu euch sagen ‚Meine Wonne!‘“
(Jesaja 62,4-5)

„Und wir werden es halten wie du.“

Solche dialogische Logik wirklicher gegenseitiger Liebe ist vergleichbar mit der Sprache in einem Ehe-„Vertrag“: „Ich will …, also: ich werde, du kannst dich darauf verlassen …“ – „Und auch ich will …“ –

„Du wirst …“ – „Und du wirst …“ Ein in verlässlicher Liebe geschlossener Bund solcher Art eröffnet einen Weg in erfülltes Leben!

„Ich verlass mich drauf, du wirst … und ich weiß, ich muss …“ „Du sollst mit mir glücklich werden!“ – „Und du sollst mit mir glücklich werden!“

Die Unterscheidung in der deutschen Übersetzung zwischen „soll“ und „will“ und „werde“ kann allerdings die Perspektive des Liebesbundes schwuppdiwupp umfunktionieren und zu einer gesetzesartigen Serie von moralischen Geboten verfremden – und in der Verbindung mit „nicht“ zu einem System von Verboten. Macht und Pflicht treten dann an die Stelle von Liebe und Vertrauen. Die englische Sprache mit ihrem “I will / I shall …“ – für „ich werde …“ –  atmet da eher eine Verlässlichkeit, wie sie eben einem Vertrag entspricht.

In diesem „Bund“ mit „seinem Volk“, mit dem Volk aus den Menschen, die diesen Bund mit ihm geschlossen haben, legt Gott sich fest:

„Ich werde …“ – und er verspricht beispielhaft: „Mitleid haben“, „den Klage-Schrei hören“, „aktiv werden voller Zorn über das Unrecht an euch Armen“ …

Den so Geliebten wird das ein Jauchzen entlocken wie in Psalm 18:

Ich will dich lieben, Herr, …
Er zog mich heraus aus gewaltigen Wassern …
er entriss mich der Hand meiner Feinde,
die stärker waren als ich …“
(Psalm 18,2.17-18)

Verse aus diesem Psalm werden uns übrigens heute in Herz und Mund gelegt als Antwort der Gottesdienst-Feiernden auf die 1. Lesung dieses Sonntags!

Es liegt Jesus am Herzen, diesen Bund zu erneuern. Deswegen stellt er sich der Begegnung mit allen, denen der Sinn für das Ganze abhandengekommen ist. Alle mögen doch von neuem den Geschmack am Bund mit Gott wieder entdecken, den Geschmack der Liebe, einer Liebe, die alle Sehnsucht erfüllt.

In jener Zeit,
als die Pharisäer hörten,
dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte,
kamen sie am selben Ort zusammen.  
Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer,
wollte ihn versuchen
und fragte ihn: Meister,    
welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
Er antwortete ihm:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele
und mit deinem ganzen Denken.
Das ist das wichtigste und erste Gebot.
Ebenso wichtig ist das zweite:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
An diesen beiden Geboten
hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
(Matthäus 22, 34-40)

Und gibt es wenigstens bei den Christen oder in ihrem gelebten Glauben wirkliche Chancen, diese Liebe zu finden und zu erleben?

Eigentlich ja, denn die Erfahrung, geliebt zu sein, als nötige Voraussetzung für wirkliche Liebe in einem liebenden Verhalten – diese Erfahrung gibt es nirgends sonst so zuverlässig wie in Gottes liebender Zuwendung!

Und wenn das so ist, lohnt es sich sogar, dafür Verbindung aufzunehmen mit Christen und dem christlichen Glauben. Von dem Gott, den die Christen meinen, heißt es sogar in der Bibel: „Gott ist die Liebe.“

Liegt hier die Lösung und Antwort auf alle Defizite und enttäuschte Sehnsucht nach Liebe, wovon die Welt so voll ist?

Auch in unserer Zeit will er mit uns Menschen die Welt so gestalten, dass in ihr die Liebe die herrschende Kraft ist. Muster, Maß und Möglichkeit dafür
hat er „uns“ vorgemacht und vorgegeben.

 

In meinem Beitrag „Wer liebt, ist solidarisch“ (die entsprechende „Sonntagsbotschaft“ von 2020) habe ich die Schlussfolgerung so dargestellt: 

Hier können Sie meinen Beitrag weiter empfehlen: