Blogbeitrag

altrömischer Silberdenar

Gott und die Politik

19. Oktober 2023

Sonntagsbotschaft zum 22. Oktober 2023, dem 29. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A).

Pressemedien berichten täglich über Ereignisse aus der Politik. Sehr unterschiedlich. Nicht nur die Auswahl, worüber sie berichten und was sie stärker hervorheben als andere Ereignisse, sondern auch die Zusammenhänge und Hintergründe, die sie dabei berücksichtigen, können sehr verschieden sein. Jeder Bericht hängt in seiner Gestalt und seinen Akzenten und Bewertungen von der eigenen Sichtweise ab, aus der heraus ausgewählt und berichtet wird.

In diese Vielfalt hinein bringt die Bibel immer wieder aus der ihr eigenen Sichtweise noch eine ganz andere Art, auf politische Ereignisse zu schauen. Durch sie wird die Palette der möglichen Kommentare und Meinungen durch eine Facette bereichert, wie Menschen, die für Gottes Wort, Sicht und Geist aufgeschlossen sind, eine entscheidende Lösung von Problemen entwickeln oder gar erkennen.

Ein Beispiel dafür ist in den Gottesdiensten dieses Sonntags zu hören – sicher als Anregung für eine eigene Sichtweise auch auf Ereignisse von heute:

Es war das Jahr 538 vor Christus. Die führende Schicht des Volkes Israel war in die Verbannung nach Babylonien deportiert worden. Dort lebten sie jetzt schon seit Jahrzehnten. Sie konnten nicht mehr in Gemeinschaft ihren Glauben leben. Sie mussten sich halt den Gepflogenheiten anpassen, die in Babylonien herrschten.

Aber dann geschah etwas: Der persische König Kyrus eroberte Babylonien. Um bei den unterworfenen Völkern Sympathien zu wecken, erlässt er eine Amnestie: Alle, die dort in der Verbannung leben, werden freigelassen. Auch die Israeliten dürfen zurückkehren in ihr Land. Und König Kyrus verkündet Religionsfreiheit: Die Israeliten dürfen wieder ihre eigene Religion praktizieren. Sie dürfen sogar in Jerusalem den zerstörten Tempel neu aufbauen.

Ein Stück Weltgeschichte, könnte man sagen, ein Stück Politik. Aber der Prophet Jesaja sieht das ganz anders: Für ihn hängen Gottes Herrschaft und diese Politik zusammen.

So spricht der HERR
zu seinem Gesalbten, zu Kyrus:
Ich habe ihn an seiner rechten Hand gefasst,
um ihm Nationen zu unterwerfen;
Könige entwaffne ich,
um ihm Türen zu öffnen
und kein Tor verschlossen zu halten:
Um meines Knechtes Jakob willen,
um Israels, meines Erwählten, willen
habe ich dich bei deinem Namen gerufen;
ich habe dir einen Ehrennamen gegeben,
ohne dass du mich kanntest.
Ich bin der HERR und sonst niemand;
außer mir gibt es keinen Gott.
Ich habe dir den Gürtel angelegt,
ohne dass du mich kanntest,
damit man vom Aufgang der Sonne
bis zu ihrem Untergang erkennt,
dass es außer mir keinen Gott gibt.
Ich bin der HERR und sonst niemand.
(Jesaja 45, 1.4-6)

Ein eigenartiger Unterschied in den Sichtweisen zwischen der des Perserkönigs Kyrus und seiner Zeitgenossen und der des Propheten und seiner übriggebliebenen Volksgenossen, die noch an den Gott Israels glaubten! Eine Sicht eigener Art.

Ob sie zutrifft? Ob sie relevant ist? Weder dafür noch dagegen gibt es „objektiv“ verfügbare Belege oder Beweise oder andere zwingende Begründungen.

Für welche Sichtweise ich mich entscheide? Das hängt ab von meiner grundlegenden Orientierung, mit der ich in dieser Welt leben will. Und daraus ergibt sich dann mein eigenes Verhalten und mein Einwirken auf die weitere Entwicklung der Dinge.

Das ist auch die Situation, wie sie das Evangelium des Sonntags aufgreift: Da geht es um die Frage, woran Menschen ihr Verhalten orientieren wollen oder sollen, wenn die Mächtigen in der Politik sich und ihre Gesetze zum alles beherrschenden Gott machen und wenn sie dabei elementare Regeln verletzen wie etwa das göttliche Gebot, dass alles Miteinander – auch in der Politik – sich vorrangig nach den Erfordernissen der Menschlichkeit richten muss.

Im Israel der Zeit von Jesus stritten sich die Parteien, wie die jüdische Bevölkerung sich gegenüber der römischen Besatzungsmacht verhalten sollte.

Für die Pharisäer galt es als Sünde, mit dem römischen Geld zu bezahlen, vor allem auf dem Markt im Tempelvorhof. Denn auf den Münzen war ja – entgegen Gottes Bilderverbot – Caesar, der Kaiser, abgebildet und noch dazu – in der eingeprägten Inschrift – als „göttlich“ bezeichnet!

Die Partei der Herodianer aber beharrte darauf, um dem Volk nicht auch noch die letzten ihm verbliebenen Rechte zu gefährden, müsse man sich den gegebenen Machtverhältnissen realpolitisch-pragmatisch unterwerfen. Also dürfe man – wenn auch zähneknirschend – mit der verhassten Münze seine Rechnungen und Schulden und die Steuern bezahlen. Es gab ja schließlich kein anderes öffentlich anerkanntes Geld. Lediglich im Tempelvorhof – also ganz intern – hatten sie die Möglichkeit, die dort angebotenen Opfertiere mit eigenem Tempelgeld zu bezahlen. Dafür gab es dort ja die Geldwechsler, die Jesus vertreiben wollte, weil aus dem Tempel eine Markthalle von Konsum, Kommerz und Kapital geworden war.

Dieses konfliktbeladene Feld nutzten nun die beiden miteinander verfeindeten Parteien und taten sich zusammen gegen Jesus. Angesichts der Logik der verschiedenen Positionen gab es für ihn keine Chance, diese problematische Frage unbeschadet zu beantworten:

Wenn er sich in ihrer Streitfrage auf die Seite der realpolitischen Herodianer schlägt, haben die Pharisäer einen Grund, ihn vor dem jüdischen Religionsgericht anzuklagen – wegen des mit der Todesstrafe bedrohten Vergehens, zum Abfall von dem einzigen Gott aufzurufen.

Wenn er aber die Position der Pharisäer übernimmt, haben die Anhänger des Herodes einen Grund, ihn beim römischen Statthalter anzuklagen – wegen des todeswürdigen Vergehens, zum Aufruhr gegen den Kaiser aufzurufen.

Dieses Dilemma nutzen sie jetzt aus – in der gemeinsamen Hoffnung, Jesus endlich loszuwerden. Also führen sie ihn aufs Glatteis. Wie wird er sich verhalten?

In jener Zeit
kamen die Pharisäer zusammen
und beschlossen,
Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen.
Sie veranlassten ihre Jünger,
zusammen mit den Anhängern des Herodes
zu ihm zu gehen und zu sagen:
Meister, wir wissen,
dass du die Wahrheit sagst
und wahrhaftig den Weg Gottes lehrst
und auf niemanden Rücksicht nimmst,
denn du siehst nicht auf die Person.

Sie schleimen sich ein – in der Hoffnung, er merkt dann vielleicht nicht, dass sie ihn aufs Glatteis führen wollen.

Sag uns also: Was meinst du?
Ist es erlaubt,
dem Kaiser Steuer zu zahlen,
oder nicht?
Jesus aber erkannte ihre böse Absicht
und sagte: Ihr Heuchler,
warum versucht ihr mich?
Zeigt mir die Münze,
mit der ihr eure Steuern bezahlt!
Da hielten sie ihm einen Denar hin.
Er fragte sie:
Wessen Bild und Aufschrift ist das?
Sie antworteten ihm: Des Kaisers.
Darauf sagte er zu ihnen:
So gebt dem Kaiser,
was dem Kaiser gehört,
und Gott, was Gott gehört!
(Matthäus 22, 15-21)

Der Denar. Mit dem Siegel des Kaisers, also sein Eigentum! Und sie bezahlen damit – auch ihre Steuern! Was fragen sie noch! Klar: Was dem Kaiser gehört, müssen sie ihm geben! Aber Jesus ergänzt, was sie vernachlässigt haben: „Und gebt Gott, was Gott gehört!!!“

Im Bibeltext endet der Abschnitt mit dem hier weggelassenen Vers

Als sie das hörten, staunten sie,
ließen ihn stehen
und gingen weg.
(Matthäus 22,22)

Die Jesus eine Falle stellen wollten, sind frustriert. Jesus hat ihnen und für alle anderen und für uns hier seine andere Sichtweise deutlich gemacht:

Einerseits sind natürlich auch gläubige Christen gegenüber dem Gemeinwesen verpflichtet, in das eingefügt wir leben. Wir müssen uns zu dessen Regeln in Beziehung setzen. Und das Gemeinwesen darf von uns erwarten, dass wir mit den jeweils eigenen Möglichkeiten beitragen zu einem guten Gelingen des Ganzen und uns beteiligen an seiner guten Gestaltung! Aber mindestens ebenso bindet uns, was Gott von uns erwarten darf.

Uns kommt es offensichtlich zu, dass wir verantwortlich sortieren: An welche grundlegenden Werte müssen sich auch die Regeln und Entscheidungen des öffentlichen Lebens halten? Sogar „der Sabbat“, eines der heiligsten Gesetze, ist für den Menschen da! Jesus sagt:

Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht,
nicht der Mensch für den Sabbat.
(Markus 2,27)

Ob es dem Wohlergehen des Menschen dient, daran muss sich alles messen. Das ist der Stempel, den gläubige Christen bei ihren Beiträgen zum Gestalten unserer Welt ihr einprägen wollen!

Zum Beispiel Entscheidungen um den Stellenwert des Wirtschaftswachstums oder um das Recht von Milliardären auf ihr Eigentum, wenn sie es einer Nutzung für das Allgemeinwohl vorenthalten und einer wirtschaftlichen Wertschöpfung verweigern.

Oder zum Beispiel auch, wenn es um den Schutz der EU-Außengrenzen geht – gegen Menschen, denen es so sehr an Lebensmöglichkeiten mangelt, dass sie mit dem Mut der Verzweiflung nach dem Strohhalm der lebensgefährlichen Flucht übers Mittelmeer greifen.

Wenn wir uns von Jesus und seinem Wort berühren lassen, werden wir nicht unberührt bleiben vom erbarmungslosen Schicksal von Millionen von Menschen.

Und deshalb werden wir auch nicht unberührt bleiben von den Konflikten, die Jesus ans Kreuz gebracht haben. Wir singen es ja immer wieder:

„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, …“

Wenn wir diesen Glauben leben; wenn wir auch Gott geben, was ihm gehört, dann hat das Auswirkungen auf die ganze Welt: Dann breitet er – missionarisch sozusagen – seine liebende Herrschaft aus über die ganze Welt! Wir können dazu beitragen!

 

(Tonaufnahmen aus Herz Jesu 18.10.1987 – Lektor: Robert Kretz)

 

Mein Blick auf die entsprechende „Sonntagsbotschaft“ von vor 3 Jahren findet sich unter dem Titel „Glaube von Christen verändert Politik“:

https://rainer-petrak.de/glaube-von-christen-veraendert-politik/

 

Hinweisen möchte ich hier auch auf das Buch des Alttestamentlers Walter Dietrich mit dem Titel „Jesaja und die Politik“ (Chr. Kaiser Verlag 1976). Auf seiner Grundlage haben sich an 5 Abenden eines „Bibelkurses“ in der Fastenzeit 1984 16 Aktive aus unserer Kirchengemeinde fruchtbar auseinandergesetzt mit „Der Prophet Jesaja – Botschaft von Gott für Gesellschaft und Politik“.

 

Im gleichen Trend lag dann ein Beschluss des Pfarrgemeinderats auf seiner jährlichen Klausurtagung 1998:

Welche Konsequenzen wollen wir aus unseren Erfahrungen mit den Lebensrealitäten in unserem Stadtteil und den entsprechenden Erkenntnissen aus dem Frankfurter Sozialbericht für unser Handeln als Kirchengemeinde ziehen, wenn wir dabei die Wertungen aus dem Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen anlegen wollen?

  • Die „gesellschafts-diakonischen“ (= politischen) Bezüge der Predigten sollen beibehalten werden.
  • In der gesellschaftlichen Diakonie sind wir noch ungeübt. Da sollten wir nach Förderung suchen.
  • Wir wollen in der Gemeinde die Bereitschaft fördern, auf verschiedene Weisen politisch einzuwirken, Stellung zu beziehen, und die Kompetenz, das jeweils gut begründet zu tun.
  • Dazu gehört es, Rechte für Menschen einzufordern: z.B. gegenüber Wohnungsgesellschaften, Behörden und Politikern – über Einzelfallinterventionen hinaus auch für ganze Bevölkerungsgruppen. Kirche sind wir ja für alle, nicht nur für die, die sich an uns wenden.
  • Wir streben an, mehr so Gemeinschaft zu sein, dass Solidarität verstärkt wird.
  • Es gilt, einen Blick zu entwickeln für Frieden und Versöhnung im Stadtteil.

Hier können Sie meinen Beitrag weiter empfehlen: