Blogbeitrag

Bild von Oliver Lechner auf Pixabay (Michelangelo Sixtinische Kapelle)

Solidarisch-gemeinnützige Grundordnung

23. November 2023

Sonntagsbotschaft zum 26. November 2023, dem Christkönigsfest (Lesejahr A).

Das neue Christkönigsfest wurde in Deutschland schnell populär. Der Nationalsozialismus wurde immer mehr zur herrschenden Kraft. Besonders die organisierte katholische Jugend verband ihren Protest gegen den Führerkult mit dem Bekenntnis zu Christus als dem „König“. Unser „König“ ist Christus, verkündeten sie.

Das war mehr als ein Lippenbekenntnis. Der miteinander geteilte Glaube an Christus wurde für viele zur Kraftquelle, sich gegen die Nazis aufzulehnen. Viele sind wegen dieses Bekenntnisses verfolgt oder umgebracht worden – in der Nazi-Zeit ebenso wie schon bei den alten Römern.

Die Herrschenden bekommen immer Angst, wenn glaubende Christen sich auf das Wichtige besinnen, das sie eint. Als vor etwa hundert Jahren eine Reihe von Königreichen ihr Ende gefunden hatten und diverse Ideologien miteinander um die Herrschaft konkurrierten, fiel besonders in Deutschland die Rückbesinnung auf das alte biblische Bild von der „Königsherrschaft“ Christi auf fruchtbaren Boden.

Das „Hochfest von Christus, dem König der Welt“, das im Jahr 1925 im katholischen Kirchenkalender eingeführt wurde, beschließt das Kirchenjahr und feiert damit die wegweisende Erfahrung: Entscheidend für das Wohl und Wehe der Menschen ist es, ob die Völker sich in ihrem Handeln von IHM leiten lassen.

Ein solches Bewusstsein entfalten in den liturgischen Feiern dieses Festtages einige dafür ausgewählte Texte der Bibel:

Im Lesejahr B ist das zentrale Motiv das Wort von Jesus, mit dem er gegenüber Pilatus, der über ihn richtet, sich selbst als „König“ bekennt, nämlich

dazu geboren
und dazu in die Welt gekommen,
dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.
(Johannes 18,37)

Das Festtags-Evangelium im Lesejahr C verbindet die Aufschrift „der König der Juden“ mit dem Dialog zwischen dem gekreuzigten Jesus und dem Verbrecher am Kreuz neben ihm. „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“, sagt Jesus zu dem, der sich mit seiner Wahrheit ihm öffnet und anvertraut. Darin gipfelt im Lukas-Evangelium sein gesamtes befreiendes und heilendes Verhalten gegenüber dem Menschen, der durch eigene und durch fremde Schuld gelähmt, verletzt, ja ums Leben gebracht wird. So fasst er provokativ seine „Wahrheit“ zusammen, die er die ganze Zeit hindurch bezeugt hat, nämlich die eines neuen Archetyps von König, der dadurch herrscht, dass er den Menschen zur Anerkennung seiner Menschenwürde neu befreit und selber dafür gekreuzigt wird.

Im aktuellen Lesejahr A, das mit diesem Sonntag endet, steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit als weiterer wesentlicher Aspekt seiner Art, als König zu herrschen, nicht er selbst, sondern der geringgeachtete Mensch, mit dem er sich identifiziert.

Der Zusammenhang mit den vorangegangenen Sonntagen ist die Situation im Tempelvorhof von Jerusalem, wie das Matthäus-Evangelium es darstellt: Jesus ist in der Höhle des Löwen angekommen. Die Kontroverse mit seinen Gegnern spitzt sich zu. Und Jesus sorgt dafür, dass allen deutlich wird, worum es ihm dabei geht: um die ganz andere Art, wie Gott als König herrscht und wie Menschen das erleben können.

An diesem Sonntag greift er dafür ein Bild auf, das in der damaligen Welt in verschiedenen Versionen die Runde machte: das Bild vom Weltgericht am Ende der Zeit, bei dem der höchste Gott allen ihren Lohn oder ihre Strafe zuteilt, wie sie es verdient haben.

Wie Jesus dieses Bild malt, das weicht in einigen brisanten Punkten von dem ab, wie das Bild vom Weltgericht seit damals über Michelangelo bis heute im Umlauf war und ist:

Vor Gericht gebracht, vor ihm versammelt werden – so heißt es da – „alle Völker“. Es heißt nicht „alle Menschen“, noch „alle Welt“. Und „versammelt werden“, so dass man sie im Gerichtsverfahren ansprechen oder bewegen kann, kann da ja aus „allen Völkern“ jeweils nur ein Teil, der stellvertretend fürs eigene Volk gelten kann, wer immer auch und wie viele das jeweils sein mögen, wer das Volk repräsentiert. Ein Urteil gesprochen wird hier also nicht über einzelne Personen, sondern über Völker – vielleicht je nach dem, wer für das Volk jeweils verantwortlich gemacht werden kann.

Wenn ein so autokratisch Herrschender, in einer Person zugleich Gesetzgeber, Regierender und Richter, endgültig Gericht hält, wäre auch zu erwarten, dass es um Belohnung von Gehorsam und um Bestrafung von Ungehorsam ihm gegenüber geht. Dass Gute und Böse danach sortiert werden, bleibt aber völlig außen vor in der Szene, wie Jesus sie malt. Bei ihm geht es um einen ganz anderen Maßstab, nach dem er die Völker unterscheidet. Ihm geht es nur um das eine: ob sie den in ihren elementaren Lebensbedürfnissen geringgeachteten Menschen zu menschenwürdigen Lebensbedingungen verholfen haben oder nicht.

Alle Beteiligten sind überrascht, dass es ihm bei seinem Urteil nicht darum geht, wie viel unterwürfiger Gehorsam ihm gegenüber ihre Beziehung zu ihm prägt. Vielmehr unterscheidet er ja nur danach, ob in ihrem Volk das elementare Menschenrecht der unter ihnen am geringsten Geachteten an Boden gewinnt – wie wenn er das selber wäre, voll identifiziert mit den Geringgeachteten.

Und eine dritte Spezialität in der Version, in der Jesus das Gleichnis vom Weltgericht malt, besteht in dem, was sich als Konsequenz aus dem Urteil für die Betreffenden ergibt:

„Kommt her, ihr Gesegneten, empfangt das Reich als Erbe!“ Der Weltenrichter hat große Freude an den Völkern, die den Geringgeachteten zu einem menschenwürdigen Leben verhelfen. Ihm ist egal, ob sie das seinetwegen getan haben oder warum auch immer.

Das „Reich, das sie als Erbe bekommen sollen“ – was ist damit gemeint? „Kommt her“, lädt er sie ein. „Das Reich“ sollen sie bekommen, also die Königsherrschaft soll ihnen übertragen werden – als „Erbe“: Das Erbe des göttlichen Königs sollen sie antreten. Das ist anscheinend der Zielzustand, das Endergebnis: Sie werden gemeinsam mit ihm herrschen. So sagt es ja die Bibel wiederholt – wenn dieser Ausdruck in unseren Ohren auch fremd klingen mag.

Aber logisch, dass dann den Völkern, die sich dieser Menschenfreundlichkeit verweigert haben, dass ihnen dann jede herrschende Einflussnahme verweigert wird – mögen sie noch so sehr mit den Zähnen knirschen. Sie bleiben ohne jeden Einfluss in einer Weltordnung, die ich – in Analogie zur deutschen „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und in Ergänzung dazu – hier mal „solidarisch-gemeinnützige Grundordnung“ nennen will.

Entspricht dieses Verständnis und eine solche Deutung des Gleichnisses vom Weltgericht wirklich der Botschaft, die mit dem Christkönigsfest gefeiert werden will?

Da schaue ich nach, welche anderen biblischen Texte die liturgische Ordnung – in ihrem durch Jahrhunderte erprobten Einfühlungsvermögen – diesem Festtag zugeordnet hat:

Oh, da klingt mir doch die Erste Lesung wie eine aussagestarke Wiederholung desselben Inhalts, nur mit Bildern, die noch ein paar Jahrhunderte älter sind:

Da geht es beim Propheten Ezechiel um die, die im Volk verantwortlich sind für das Wohlergehen derer, die aus eigener Kraft nicht ausreichend für sich sorgen können.

Aus einer Zeit, in der die Volksgemeinschaft Israels zugleich ihre Glaubensgemeinschaft ist, man also zwischen religiösen und staatlichen Führungspersonen kaum unterscheiden kann, stammt das Bild der „Hirten“, die alle Einzelnen in ihrer „Herde“ und ihre Gesamtheit auf „gute Weide“ zu führen haben.

Und da wird ebenso streng wie im Evangelium geurteilt – mit einem Urteil, das nur einen Maßstab kennt: die Sorge für ein Miteinander, in dem alle Glieder der ganzen „Herde“ gut leben können, die starken wie die schwachen.

In dem Lesungs-Abschnitt, der für dieses Fest vorgesehen ist, garantiert Gott, was er zu tun vorhat. Was ihm daran so wichtig ist und welche leidvolle Situation er damit überwinden will, das ist vorher benannt:

Die politisch und wirtschaftlich führenden Männer Israels, die sogenannten „Hirten“, reich und mächtig, hatten immer nur sich selber geschont und gehätschelt und dabei das Recht der kleinen Leute vernachlässigt, hatten also ganz und gar gegen Gottes Willen verstoßen. Der Niedergang des Volkes Gottes war vorprogrammiert: Jerusalem wurde im Jahr 587 vor Christus erobert und ein Teil der Bevölkerung nach Babylonien verschleppt.

Dazu gibt der Prophet Ezechiel Gottes Ankündigung: „So spricht Gott, der Herr: Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst weiden! – Müssen Hirten nicht die Herde weiden?! – Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide! Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht, und die starken misshandelt ihr! Meine Herde irrte auf allen Bergen umher und war über das ganze Land verstreut. Doch keiner kümmerte sich um sie; niemand suchte sie!“

Und dann spricht der Prophet in Gottes Auftrag aus, wozu Gott deshalb entschlossen ist:

„Darum“, sagt er, „darum, ihr Hirten, hört das Wort des Herrn – so wahr ich lebe, Spruch Gottes, des Herrn! – : Weil meine Hirten nicht nach meiner Herde fragten, sondern nur sich selber weideten, darum gehe ich gegen die Hirten vor und fordere meine Schafe von ihnen zurück. Ich setze sie ab! Sie sollen nicht mehr die Hirten meiner Herde sein. Ich entreiße meine Schafe ihrem Rachen, sie sollen nicht länger ihr Fraß sein!“

Da horchen sie auf, die kleinen Leute, die armen und benachteiligten, auf deren Kosten sich eine kleine mächtige Schicht sich bereichert hat! Und für ihre Ohren wird jetzt zur Musik, zur Befreiungs-Musik die Fortsetzung der Propheten-Worte, die an diesem Sonntag heutigen Ohren gelten will:

So spricht Gott, der Herr:
Siehe, ich selbst bin es,
ich will nach meinen Schafen fragen
und mich um sie kümmern.
Wie ein Hirt sich um seine Herde kümmert
an dem Tag,
an dem er inmitten seiner Schafe ist,
die sich verirrt haben,
so werde ich mich um meine Schafe kümmern
und ich werde sie retten aus all den Orten,
wohin sie sich am Tag des Gewölks
und des Wolkendunkels zerstreut haben.
Ich, ich selber werde meine Schafe weiden
und ich, ich selber werde sie ruhen lassen –
Spruch Gottes, des Herrn.
Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen,
die vertriebenen zurückbringen,
die verletzten verbinden,
die schwachen kräftigen,
die fetten und starken behüten.
Ich will ihr Hirt sein
und für sie sorgen, wie es recht ist.
Ihr aber, meine Herde –
so spricht Gott, der Herr – ,
siehe, ich sorge für Recht
zwischen Schaf und Schaf.
(Ezechiel 34,11-12.15-17a)

In Klartext: Wo „das Himmelreich“, wo die Herrschaft Gottes beziehungsweise Christus als „der Herr“ bekannt wird und als der „König“ gefeiert wird, da wird die praktische Politik Partei ergreifen für das Recht der Schwächeren und für einen gerechten Ausgleich sorgen zwischen allen. Diesen neuen Lebensgeist haucht er am Kreuz aus und beatmet damit eine ganze neue Menschenwelt.

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