Blogbeitrag

Foto: BertramSolcher (2009) Kirche Adventskranz

Wo ist ein Licht?

30. November 2023

Sonntagsbotschaft zum 3. Dezember 2023, dem 1. Adventssonntag (Lesejahr B). 

Ich hatte das Feuerzeug vergessen, wollte doch aber auf Utes Grab das Öllicht erneuern, natürlich brennend. Also suchte ich, an welchem anderen Grablicht ich das mitgebrachte anstecken könnte.

Auf vielen Gräbern sah ich Licht-Behälter, zum Teil in Laternen, zum Teil freistehend mit einem Deckel und seitlichen Luftlöchern, manche rot, manche weiß.

Brennende Flammen? Viele Gräber suchte ich danach ab. Alle ausgebrannt.

Freudig sah ich endlich eine Flamme. Oh, das war elektrisch. Intelligent und praktisch, dachte ich mir, da muss man nicht alle fünf Tage hingehen. Aber künstlich und unpersönlich. Auch einige weitere brennende Lichter lockten mich auf die elektrische Fährte.

Nirgends war ein Mensch, den ich nach einem Feuerzeug fragen konnte. Ich staunte: So viele ausgebrannte Lichter in leeren Hohlkörpern. Da ich keine Eile hatte, suchte ich weiter.

Gedanken bahnten sich durch mich ihren Weg: Eigentlich wollten doch die Leute mit den brennenden Lichtern an den Gräbern ihrer Lieben ein Zeichen setzen. Aber anscheinend gibt es da viele Hindernisse, ein Licht im Dunkel des Todes zu gewährleisten.

Und dann weiteten sich meine Gedanken aus: Und in den Dunkelheiten des Lebens? Wie steht es da um das Brennen eines Lichtes, um sich daran anzustecken?

Nach langer Zeit freute ich mich: Da brannte wirklich ein physisches Öllicht! In einer meiner Taschen fand ich einen überflüssig gewordenen Zettel, den ich zu einem Fidibus formte. Es gelang mir tatsächlich, die Flamme in das mitgebrachte Öllicht zu übertragen. Jetzt galt es, langsam zu gehen und die Hände schützend um die Flamme zu legen, damit der Wind sie nicht ausblies. Der Weg zog sich dann doch. Nicht so einfach, ein Licht dahin zu bringen, wo es gebraucht wird.

Aber schließlich leuchtete es dann in der Laterne auf Utes Grab.

Wäre es doch auch in den Dunkelheiten des Lebens so übersichtlich, wo man sich anstecken lassen kann, um Licht in ein Dunkel hineinzubringen! Gerade in der aktuellen Zeit ist die Welt ja so voll von Dunkelheiten, durch die hindurch wir, unbeholfen tappend, einen Weg und ein Licht suchen. Auf dem Heimweg kam dann in meinem Bewusstsein eine Ansammlung davon in Gang, die sich in mir seither fortsetzt:

Ich hatte immer gedacht, durch die Jahrhunderte hindurch und manchmal auch in kurzen Zeiträumen ergibt sich ein Fortschritt an Menschlichkeit und Lebensqualität. Und jetzt?

Wo bleibt der Zuwachs an Humanität im Vergleich zur Steinzeit? Nachrichten hören, lesen, sehen gerät zunehmend zur Horror-Veranstaltung. „Bad news“ sind längst alles Andere als „good news“ geworden. Nicht nur beim Rückfall in Krieg, Terror und Gewalt als Methoden der Lösung internationaler Konflikte. Immer mehr auch in vielen anderen Feldern aufeinanderprallender Interessen.

Haben wir uns übernommen? Zum Beispiel im Streben nach Überprüfbarkeit und Gerechtigkeit und nach Rechtsstaatlichkeit?

„Unbürokratisch“ gilt als neuer Wert. Also schnellere Abläufe, die das Erteilen von Genehmigungen dann eben nicht mehr so perfekt nach allen Richtungen absichern?

Dass jeder Mensch sein Recht bekommt, ist ein Grundwert! Aber wenn eine wasserdichte Abwägung mit Rechten anderer so vielschichtig und kompliziert geworden ist, dass das „Recht bekommen“ Jahre, gar Jahrzehnte dauert, – haben wir es da zu weit getrieben?

Und wenn dann dabei auch noch dieses Dilemma dazu benutzt wird, „denen da oben“ noch weitere Schuldvorwürfe um die Ohren zu schlagen und die Legitimität jeglicher staatlicher Institutionen zu diskreditieren, machen wir damit die Demokratie kaputt?

Was ist die eigentliche Frage, die dieses Feld von Problemen auf den Punkt bringt?

Geht es da um eine Klärung der Beziehung zwischen Individuen und Allgemeinheit?

Einen zunehmenden „Individualismus“ zu beklagen, dürfte einseitig die Beweggründe ignorieren, aus denen Menschen sich in diesen Problemen so positionieren.

Und wer den entgegengesetzten Pendelausschlag als „Kollektivismus“ etikettiert, wird damit wohl vernachlässigen, dass eine Optimierung von Rahmenbedingungen gerade einem menschenwürdigen Leben der Individuen dient.

Sind wir womöglich schon da angekommen, dass ein in dieser Höhe nicht mehr einzulösender Anspruch auf perfekt rechtmäßige Entscheidungen jegliche amtliche Autorität von vornherein verneint und nur noch dazu führt, dass „der Staat“ als Gegner des Individuums gilt, – so dass dann aber nur noch Ausnahme-Personen ein Amt oder ein Mandat darin zu übernehmen bereit sind?

Und wohin soll diese Entwicklung weiterführen, wenn für eine Bearbeitung solcher zahlenmäßig zunehmender Konflikte soviel Arbeitszeit und Personal und Geld erforderlich werden, dass das wiederum den Vorwurf auslöst, ein „Wasserkopf“ an Bürokratie werde da geschaffen?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das es jetzt in der Logik eines perfekt einzuhaltenden Verfahrens gesprochen hat, mit dem der Staat die für erforderlich gehaltenen Zig-Milliarden zur dringenden Klimarettung nicht ausgeben darf, – dieses Urteil ist vielleicht eine Wendemarke?

Müssen wir einen Weg finden zu einer Kultur des Interessensausgleichs, in der alle wir Beteiligten – selbstbewusst und solidarisch – anerkennen, dass wir aufeinander angewiesen sind?

Es kann doch nicht sein, dass nur Katastrophen, die über uns hereinbrechen, einen menschlichen Blick füreinander, Empathie und Hilfsbereitschaft bedenkenlos sofort ans Tageslicht bringen!

Dass da aber in uns Menschen durchaus eine entsprechende Bereitschaft da ist – wenn auch im Schlummerzustand – , das hat sich in den letzten Monaten immer wieder in einer verblüffenden Hilfsbereitschaft gezeigt:

  • bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal,
  • beim Bewältigen der Not von Geflüchteten in vielen Orten Deutschlands,
  • in der überraschend hohen Bereitschaft in der Ukraine, einander beizustehen,
  • in der Forderung von Milliardären in westlichen Ländern, staatliche Haushaltslücken
    durch ihre deutlich höhere Besteuerung zu schließen …

Wie so vielen anderen Menschen, ist mir der Überblick abhandengekommen.

Ich bin weit davon entfernt, „alles im Griff“ haben zu wollen. Aber als Staatsbürger und Demokrat erleide ich zurzeit sehr wohl etwas, was ich „Kontrollverlust“ nennen muss.

Vielleicht liegt es ja daran, dass meine geistigen Kräfte mit dem Alter nachgelassen haben. Aber da ich mich darin als einer von sehr vielen sehe, muss ich mich gegen eine Entwicklung einsetzen, die eine ganze Bevölkerung als „de-ment“ hinstellt!

Wohin geht der Weg?

Solche Situationen ganzer Bevölkerungen gab es auch schon in der Antike, als religiöse, politische und wirtschaftliche Kräfte mit Hilfe von „Brot und Spielen“ die Menschen einlullten und davon ablenkten, für Menschenwürde und Gemeinwohl zu kämpfen. Zumal sie damals individuelle Rechtsansprüche, wie wir sie heute glücklicherweise hochhalten, noch gar nicht auf dem Schirm hatten.

Aber schon im alten Volk Israel und dann, zu einer neuen Dimension verstärkt, durch Jesus befeuert und in den ersten Christengemeinden praktiziert, gab es den wachsamen Blick für Möglichkeiten eines neuen, wahrhaft menschlichen Stils in allem Miteinander.

Darin sehe ich die Chance des Advents. Von dem sagen ja liturgische Texte, er sei die Zeit, in der Menschen Ausschau halten, neue Hoffnung entwickeln, in einer Mischung von beharrlicher Ausdauer und ungeduldiger Sehnsucht wachsam Ansätze nutzen und schließlich im Menschen Jesus von Nazareth und seinem Lebensweg Gott erfahren, so dass sie Wege in eine neue Welt entdecken, in der dieser Jesus als „der Herr“ „erscheint“ – wie das Fest dann heißt.

In solcher erwartungsvollen Haltung neu gehört, so hoffe ich, werden die Bibeltexte, die den Menschen in diesen Wochen des Advents ans Herz gelegt werden, zu neuen Anregungen für diese Zeit.

Versuchen Sie es mit mir?

Natürlich braucht es dann weiterführende Gespräche, handlungsorientiertes Suchen gemeinsam mit anderen, die das auch wollen.

Fangen wir an mit dem Prophetentext des 1. Adventssonntags:

Das Volk klagt über soziale Missstände und religiöses Desinteresse und ruft nach Gott:

… Du, HERR, bist unser Vater,
„Unser Erlöser von jeher“ ist dein Name.
Warum lässt du uns, HERR,
von deinen Wegen abirren
und machst unser Herz hart, …?
Kehre zurück
um deiner Knechte willen,
um der Stämme willen, die dein Erbbesitz sind! …
… Hättest du doch den Himmel zerrissen
und wärest herabgestiegen,
sodass die Berge vor dir erzitterten. …

Seit Urzeiten hat man nicht vernommen,
hat man nicht gehört;
kein Auge hat je
einen Gott außer dir gesehen, der an dem handelt,
der auf ihn harrt.
Du kamst dem entgegen, der freudig Gerechtigkeit übt,
denen, die auf deinen Wegen an dich denken.
Siehe, du warst zornig
und wir sündigten;
bleiben wir künftig auf ihnen,
werden wir gerettet werden.
Wie ein Unreiner sind wir alle geworden,
unsere ganze Gerechtigkeit
ist wie ein beflecktes Kleid.
Wie Laub sind wir alle verwelkt,
unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind.
Niemand ruft deinen Namen an,
keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir.
Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen
und hast uns zergehen lassen
in der Gewalt unserer Schuld.
Doch nun, HERR, du bist unser Vater.
Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer,
wir alle sind das Werk deiner Hände.
(Jesaja 63,16b-17.19b; 64,3-7)

Menschen, die so mit Gott reden, suchen einen Ausweg offensichtlich darin, dass sie neu anfangen wollen, indem sie ihre Orientierung an seinen Wegweisern messen. Sie fragen neu nach ihm und wozu ER sie anregt, berät, ermutigt, an die Hand nimmt.

Eine andere, aber ähnliche Situation setzt das Evangelium dieses Sonntags voraus.

Da redet Jesus zu denen, die sich mit ihren Lebens- und Zukunftsfragen an ihn halten wollen. In der finalen Konfliktphase in Jerusalem hat sich Jesus am Abend mit seinen Jüngern zurückgezogen auf den Ölberg und ist mit ihnen im Gespräch. Er stellt sie jetzt darauf ein, dass die aktuelle Krisensituation sich ins Allgemeine ausweiten werde.

… Viele werden unter meinem Namen auftreten …
Und sie werden viele irreführen.
Wenn ihr von Kriegen hört
und von Kriegsgerüchten,
lasst euch nicht erschrecken!
Das … ist … noch nicht das Ende.
Denn Volk wird sich gegen Volk
und Reich gegen Reich erheben.
Und an vielen Orten
wird es Erdbeben und Hungersnöte geben. …
Ihr aber, gebt Acht auf euch selbst:
Man wird euch um meinetwillen
an die Gerichte ausliefern, …
– ihnen zum Zeugnis. …
… macht euch nicht im Voraus Sorgen,
was ihr reden sollt;
sondern was euch in jener Stunde eingegeben wird,
das sagt!
Denn nicht ihr werdet dann reden,
sondern der Heilige Geist. ….

Und dann folgt mit den damals gängigen apokalyptischen Bildern die Beschreibung, worin die Konflikte weltumgreifend kulminieren.  Doch Jesus wendet dieses Schreckensbild in eine Trostbotschaft.

Das will dann auch heute zum Evangelium dieses 1. Adventssonntags werden:

Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal,
wird die Sonne verfinstert werden
und der Mond wird nicht mehr scheinen;
die Sterne werden vom Himmel fallen
und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
Dann wird man den Menschensohn
in Wolken kommen sehen,
mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Und er wird die Engel aussenden
und die von ihm Auserwählten
aus allen vier Windrichtungen zusammenführen,
vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.

Lernt etwas
aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum!
Sobald seine Zweige saftig werden
und Blätter treiben,
erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist.
So erkennt auch ihr,
wenn ihr das geschehen seht,
dass er nahe vor der Tür ist.
Amen, ich sage euch:
Diese Generation wird nicht vergehen,
bis das alles geschieht.
Himmel und Erde werden vergehen,
aber meine Worte werden nicht vergehen.
Doch jenen Tag und jene Stunde
kennt niemand,
auch nicht die Engel im Himmel,
nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.

Gebt Acht und bleibt wach!
Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.
Es ist wie mit einem Mann,
der sein Haus verließ,
um auf Reisen zu gehen:
Er übertrug die Vollmacht seinen Knechten,
jedem eine bestimmte Aufgabe;
dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein.
Seid also wachsam!
Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt,
ob am Abend oder um Mitternacht,
ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen.
Er soll euch, wenn er plötzlich kommt,
nicht schlafend antreffen.
Was ich aber euch sage,
das sage ich allen: Seid wachsam!

(Markus 13,24-37 oder – in Kurzfassung – nur 33-37)

Im Sinne solcher Anregung zu der Advent-Frage, was wir denn erwarten können, dürfen, sollen, wollen, … verdient auch die 2. Lesung dieses Sonntags Aufmerksamkeit.

Dort wird die für Christen typische Erwartungshaltung benannt, dass

„ihr auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus wartet“.
(1 Korinther 1,7)

Also dass er sich zeigt, dass man seinen Weg sehen kann.

Im gleichen Sinn formuliert ein Text aus der Liturgie der Tagzeiten – die Einleitung der Bitten für die Laudes, das Morgenlob am 1. Adventssonntag:

Gepriesen sei Gott,
der uns die Gnade schenkt,
das Erscheinen unseres Herrn Jesus Christus
zu erwarten.“

Diese im Hebräischen wurzelnde Vorstellung der „Erscheinung“ bedeutet, präzise übersetzt: „der sich sehen lässt“, der also sinnenhaft und sozial erlebt werden kann – nämlich im aktuellen Geschehen, im Duktus der Weltgeschichte, im Lebenslauf eines Menschen, …

Und die Botschaft des Evangeliums betont ja:

Selbst, wenn die Sterne vom Himmel fallen sollten, – ICH bin es, der Menschensohn, der mit Macht und Herrlichkeit kommt!

Alles, was da Bedrohliches, Beunruhigendes geschieht und auf euch zu kommt, ist nicht das Ende!

Alles wird anders – mit der Chance zum Guten und dem Risiko zum Schlechten.

Achtet wachsam auf den Weg, den Gott hier eröffnet!

Herr, erbarme dich, Christus, erbarme dich, …

„Reiß doch den Himmel auf! Komm herab!
Menschen der Sehnsucht, die wir sind
hoffen auf den König vom Himmel.
Du, der den Himmel aufgerissen hat,
wurdest dafür ans Kreuz geschlagen.

„Unser Erlöser von je her“, wirst du genannt.
Menschen, denen ein kleines Licht aufgegangen ist,
hoffen auf die große Sonne der Gerechtigkeit,
die alle Finsternis hell macht.

„Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“,
sagt Jesus Christus, unser A und O.
Wir warten, dass er kommt
in unser Hier und Heute
mit immer mehr Licht.
Advent.

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