Blogbeitrag

Taizé

Verführerische Entfremdung

23. Februar 2023

Sonntagsbotschaft zum 26. Februar 2023, dem 1. Sonntag auf dem Weg zum Osterfest im Lesejahr A.

Einen guten Tag schenke uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. – Amen.

Immerhin – Herausforderungen warten auf uns heute. – Herr, erbarme dich.

Einiges muss anders werden. – Christus, erbarme dich.

Wir brauchen Lösungen. – Herr, erbarme dich.

In sieben Wochen ist Ostern. Wirklich? Wo bleibt da  meine Hoffnung? meine Freude? meine Stärke? mein Licht? – Christus meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht. (aus dem Lied von Jacques Berthier, Gesang aus der Communauté de Taizé)

Langsam! Einen Schritt nach dem andern! Was steht denn der Hoffnung entgegen? Was macht denn die Freude kaputt? Was schwächt meine Stärke? Was verdunkelt mein Licht?

Manchmal merke ich, dass ich selber viel zu wenig meiner eigenen Hoffnung traue; dass ich Freude an etwas finde, was eigentlich meinem Wesen widerspricht; dass ich meine Stärken brach liegen lasse. Warum eigentlich?

Dazu kommt: Meine eigenen Widersprüche sind mir so zuwider, dass ich sie lieber im Dunkeln lasse; Licht sollte da möglichst nicht drauf fallen.

Was ist das denn? Was hindert mich, durch und durch „ich“ zu sein – transparent und klar, eindeutig und ohne Widersprüche, konsequent und ohne mir Fremdes in mir …?

Ist das eine Frage? Eine gute Frage?

Nach allem, was ich von dir, Jesus, verstanden habe, hast du dich auch vor dieser Frage gesehen – immer wieder. Da fühle ich dich mir sehr ähnlich, ja in Freundschaft verbunden. Auch bei dir gab es offensichtlich eine Menge Kräfte, die an dir herumzerrten – von innen wie von außen – und die dich daran hindern wollten, der zu sein, der du bist. Im engsten Kreis deiner Freunde, als sie verstanden hatten, wie riskant dein Weg nach Jerusalem war, da wollten sie dich davon abhalten, dich mit deinen Gegnern anzulegen: „Wir brauchen dich doch; du hast doch eben erst angefangen; du kannst doch nicht riskieren, dass sie dich umbringen!“ Und deine Familie: Sie wollten dich für verrückt verkaufen, damit die Mächtigen deine Provokationen nicht ernst nehmen. Und du selber hast ja gespürt, wie gefährlich es dir werden kann, wenn du deinen Weg gehst und die einflussreichen Menschenfeinde mit Gottes Wahrheit konfrontierst: „Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“

Ja, bevor du dich nur halbherzig und mit angezogener Handbremse an das rangemacht hättest, was „dein Ding“ war, musstest du dir immer wieder erst mal über dich selber klar werden.

Der Abschnitt aus dem Evangelium dieses ersten Sonntags auf dem Weg zum Osterfest hin stellt das – in Gestalt einer Erzählung – betont an den Anfang, bevor Jesus in die Öffentlichkeit geht. Wenn ich mir das vor Augen halte, – ob das auch mich weiterbringt? Und dich? und Sie? und uns alle?

Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt;
dort sollte er vom Teufel versucht werden.
Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte,
hungerte ihn.
Da trat der Versucher an ihn heran und sagte:
Wenn du Gottes Sohn bist,
so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird.

Was geschieht da mit Jesus? Was geht da in ihm vor?

Um sich über sich selbst und seine Lebensaufgabe klar zu werden, nimmt er sich die Auszeit, geht in die „Wüste“. Dazu veranlasst ihn „der Geist“: Gottes Geist. Auf Abstand geht er zu allem, was man üblicherweise so meint, dass man es zum Leben braucht. Bis sich die Frage deutlich stellt: Was nährt wirklich mein Leben? Was brauche ich wirklich, um mein Leben zu leben? Wovon lebe ich? Und was hat diese meine Frage mit Gott zu tun? Ist er mir Vater, der für mich sorgt? Bin ich ihm Sohn, der von ihm das Leben geschenkt bekommt?

Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird.“ Was für eine Idee! Das würde voraussetzen: Das, was da ist, daraus könnte ich etwas machen, was eigentlich gar nicht geht. Aber ich hätte die Möglichkeit dazu, Hauptsache, ich will es und ich beanspruche die Macht dazu, dann gehorcht alles meinem Befehl. Wenn ich doch Gottes Kind bin! Ich brauche doch schließlich, was ich brauche!

Und wie entscheidet sich Jesus unterm Strich?

Er aber antwortete:
In der Schrift heißt es:
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.

Was sagt er damit?

Auf Gott Bezug zu nehmen, darauf lässt er sich ein. Aber die Konsequenz lehnt er ab, Gott müsse deshalb ihm zu Willen sein. Und er weist das Ansinnen zurück, selbst wenn er die Möglichkeit dazu haben sollte, die Gegebenheiten exclusiv fürs eigene Interesse zu vergewaltigen.

Wie kommt er zu dieser Antwort?

Er nimmt Maß an dem, was er aus der „Schrift“ von Gott gehört und als maßgeblich für sich verinnerlicht und sich zu eigen gemacht hat: Der Mensch – und das gilt für ihn wie für jeden Menschen – der Mensch lebt und bleibt lebendig nicht nur von dem, was ihm möglich ist, was er sich dank seiner Möglichkeiten aneignet und für sich nutzt. Sondern – und das ist der Punkt, der sich ihm in der Auseinandersetzung als am wichtigsten herausschält – der Mensch, wenn er leben will, braucht ebenso „jedes Wort, das aus Gottes Mund kommt“.

Ebenso wie ich – empfänglich und aktiv und immer wieder neu – „Brot“ in mich aufnehme, ebenso lebe ich davon, empfänglich und aktiv „Gottes Wort“ in mich und mein Leben aufzunehmen. So wird Gott mein Leben nähren und mich vor Widersprüchlichkeiten und Halbherzigkeiten bewahren und mich als sein Sohn, seine Tochter erweisen, deren guter Vater er ist.

Ein weiterer Punkt wird Jesus zunehmend klar – in seiner Auszeit, von der das Evangelium verdichtend erzählt:

Darauf nahm ihn der Teufel mit sich
in die Heilige Stadt,
stellte ihn oben auf den Tempel
und sagte zu ihm:
Wenn du Gottes Sohn bist,
so stürz dich hinab;
denn es heißt in der Schrift:
Seinen Engeln befiehlt er um deinetwillen,
und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen,
damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.

Was für ein schlitzohriges Argumentieren! Stellt Jesus sich da selbst eine Falle – mit dem Ausdruck „jedes Wort, das aus Gottes Mund kommt“? Sind da nicht auch Worte dabei, die alles kaputt machen können, was der Mensch zum Leben braucht?

In Psalm 91 steht tatsächlich und ist dort als Gottes Mut machendes Wort gemeint: Gottes Engel werden – in seinem Auftrag – „dich auf Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.“ (Psalm 91,12)

Ja, immer wieder ist die Versuchung groß, Aussagen der Bibel aus ihrem Zusammenhang zu lösen und sie als Widerspruch zu nutzen gegen das, was wir als Gottes hilfreiches Wort schon verstanden haben.

Der Psalm redet von der Gefahr durch Epidemien und Krieg (vgl. Psalm 91,5-7) und wirbt darum, dann Zuflucht und Schutz bei Gott zu suchen (vgl. Psalm 91,4-5), der vor all diesem Unheil bewahren wird (vgl. Psalm 91,10), „denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen …“ (Psalm 91,11).

Wenn ich als Mensch – und sei es Jesus – oder wenn wir als Menschheit mutwillig eine Gefahr heraufbeschwören und dafür dann Gottes zugesagten Schutz und seine Hilfe einfordern, weil wir uns „auf Teufel komm raus“ irgendetwas Wahnwitziges beweisen wollen, dann braucht man kein Hellseher zu sein, um zu wissen, wohin das führt.

Jesus antwortete ihm:
In der Schrift heißt es auch:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.

Von einer dritten – für uns Menschen typischen – Versuchung, mit der auch Jesus sich konfrontiert sieht, erzählt der Evangeliums-Abschnitt:

Wieder nahm ihn der Teufel mit sich
und führte ihn auf einen sehr hohen Berg;
er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht
und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben,
wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.

Ja, verführerische Pracht entfalten – wenn man so in die Welt schaut – doch eine ganze Menge Bereiche, die dazu verlocken, sich damit zu beschäftigen oder in ihnen mitzuspielen. Warum sollte man das nicht nutzen und genießen? Jedenfalls wenn man das dafür nötige Kleingeld zur Verfügung hat. In die Ferne zu reisen, kann wunderbar sein. Der Hubschrauberflug über den Grand Canon hat mich geradezu überwältigt. Und meine Reise in die Welt einfach lebender armer Fischer auf einer winzigen Insel der Philippinen war faszinierend. Die sich abzeichnenden Möglichkeiten, mit gentechnischen Methoden Krebs oder Malaria zu heilen, reizen ungemein! Die Lust, durch hartes Training und durch das Investieren von Millionen Fußballmannschaften aufzustellen, die es mit jedem Gegner aufnehmen, zieht weltweit Milliarden von Menschen in ihren Bann. Menschen, die genügend Geld angesammelt haben, werden dafür bewundert, dass sie Reisen ins Weltall organisieren und entsprechende Dienstleistungen Staaten anbieten, die ihrerseits so etwas nicht auf die Reihe kriegen. Andere können sich mit ihrer finanziellen Potenz brüsten, ganze Gesellschaften mit ihren Produkten um den Finger zu wickeln.

Natürlich bieten sich moralische Bewertungen an – mit den diversen Ansprüchen zwischen Humanität, Gerechtigkeit, Frieden und der Verachtung aller Spielverderbereien. Auf einem anderen Blatt steht, ob man dafür – wie die Bibel – eine Sprache verwendet, die darin ein sklavisches Niederwerfen oder ein Anbeten moderner Götter oder Götzen sieht.

Aber im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit das alles das Leben des Menschen nährt und der Lebendigkeit der Menschheit dient, lohnt es sich schon, näher hinzuschauen und ernsthaft zu unterscheiden, wem was nützt und für wen welche Risiken und Nebenwirkungen damit verbunden sind.

Die Suche nach Antworten auf viele Fragen verdunkelt sich auf allen Ebenen der Menschheit durch Energien, die der Durchsetzung fragwürdiger Einzelinteressen dienen.

Die Erzählung, die an diesem Sonntag am Anfang des Weges zu einem Fest des Lebens zum Evangelium werden will, endet deshalb so:

Da sagte Jesus zu ihm:
Weg mit dir, Satan!
Denn in der Schrift steht:
Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten
und ihm allein dienen.
Darauf ließ der Teufel von ihm ab
und siehe, es kamen Engel und dienten ihm.
(Matthäus 4,1-11)

… Christus meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht. (Lied von Jacques Berthier 1988, Gesang und Bild: Communauté de Taizé)

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