Blogbeitrag

Tulpenblüte und Glas Rotwein 2022-02-13

Wahrheit, die glücklich macht

22. Juni 2023

Sonntagsbotschaft zum 25. Juni 2023, dem 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A). 

„Die Welt verbessern? Dafür kann ich doch nix tun!“ – „Wer denn?“ – „Am ehesten vielleicht die Regierenden – wenn sie es denn wollen. Aber die mit dem großen Geld wissen das schon zu verhindern. Immer schlimmer wird das alles. Du wirst nur noch ausgenutzt als Rädchen im Getriebe. Auch wenn noch so viele mit ihren Protesten auf die Straße gehen. – Da kann man nix machen.“

Viele schätzen sich selber so ein und ihre Möglichkeiten und die Situation, in der wir alle leben.

Dazu bot die Bibel vor zwei Wochen und am vergangenen Sonntag brisant Befreiendes als „Evangelium“ an:

„Folge mir nach!“, hatte Jesus zum Zöllner Matthäus gesagt. Zu dem ungeliebten Mann mit beschränktem Selbstvertrauen, der als kleines Rädchen im System der Mächtigen wenigstens einigermaßen sein Schäfchen hatte ins Trockene bringen können. Die Welt verbessern? Da wollte er doch lieber auf dem Teppich bleiben. Solche Menschen, die eh als „Zöllner und Sünder“ betrachtet wurden, hatte Jesus um sich geschart und sich mit ihnen an einen Tisch gesetzt! Zum Ärger der Hüter von Ordnung und Religion. (Matthäus 9,9-10)

Und denen hat er Vollmacht gegeben und hat sie ausgesandt: Für die „Müden und Erschöpften“ sollen sie öffentlich reden und handeln, für die „ohne Obdach für die Seele“. Wie er. „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! Und heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!“ (Matthäus 9,36-10,8)

Und warum sollten Menschen dann solchen Typen trauen und sich von denen so etwas „Weltfremdes“ sagen lassen!

Ja, in der Fortsetzung im Matthäus-Evangelium hat Jesus sie gewarnt:

„Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; … Macht euch [aber] keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; … der Geist eures Vaters wird durch euch reden. … Darum fürchtet euch nicht vor ihnen! Denn … (Matthäus 10,16-26)

Und hier setzt das heutige Evangelium an – der Abschnitt aus der Bibel, der an diesem Sonntag zum „Evangelium“ für alle werden will:

Fürchtet euch nicht vor den Menschen!
Denn nichts ist verhüllt,
was nicht enthüllt wird,
und nichts ist verborgen,
was nicht bekannt wird.
Was ich euch im Dunkeln sage,
davon redet im Licht,
und was man euch ins Ohr flüstert,
das verkündet auf den Dächern!
Fürchtet euch nicht vor denen,
die den Leib töten,
die Seele aber nicht töten können,
sondern fürchtet euch eher vor dem,
der Seele und Leib
in der Hölle verderben kann!
Verkauft man nicht zwei Spatzen
für einen Pfennig?
Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde
ohne den Willen eures Vaters.
Bei euch aber
sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.
Fürchtet euch also nicht!
Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.
Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt,
zu dem werde auch ich mich
vor meinem Vater im Himmel bekennen. …
(Matthäus 10,26-33)

Für unsere Ohren heute, die an ganz anderen Bildern, Vergleichen und Begriffen geübt sind, keine leichte Kost. Was wird hier eigentlich gesagt?

„Gefährdung und Ermutigung der Jünger“ – so haben die Übersetzer der deutschen „Einheitsübersetzung“ von 2016 diesen ganzen Abschnitt überschrieben. Darum gehe es hier: um die Gefährdung der Jünger Christi und um ihre Ermutigung in dieser Situation.

Ja, Jesus will Mut machen, sich als Christ zu ihm zu bekennen und danach zu leben und aktiv zu werden, auch wenn das auf schmerzhafte Widerstände stößt.

Und in dem, was uns da heute gesagt werden will, welche Worte und Bilder verwendet er da?

Warum sollten wir uns von Widerständen nicht beeindrucken lassen, vielmehr dem folgen, wozu er uns ruft und begleitet und segnet und sendet?

Er sagt:

… nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, …

Der Text …

ουδέν γάρ εστίν κεκαλυμμένον ό ουκ αποκαλυφθήσεται,
καί κρυπτόν ό ου γνωσθήσεται
[τό κάλυμμα = Decke, Hülle, Schleier
neugriechisch: τό χαλί = der Teppich]

… spielt mit Bildern um den griechischen Wortstamm „κάλυ“. Der steht für „Decke, Hülle, Schleier“ oder – in der neugriechischen Abwandlung – auch „χαλί“ für „Teppich“.

und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird.

In ein heutiges Bild übertragen: Nichts bleibt unter dem Teppich, was nicht doch ans Licht kommt.

Den Zusammenhang zwischen dem Wesentlichen des Lebens, das den Menschen im Kräftespiel der „Realitäten“ verborgen bleibt, und den Absichten Gottes dazu, die Jesus verkörpert, diesen Zusammenhang erhellt in gleicher Weise auch ein anderes Wort der Bibel: „αλήθεια“, auf Deutsch „Wahrheit“:

Auch das Wort αλήθεια enthält einen Wortstamm, der für „Verborgenheit“ steht und je nach Wort unterschiedliche Formen annimmt:

Лανθ-άνειν heißt: verborgen sein, vergessen machen.
Лήθη ist der Fluss in der Unterwelt, der Fluss des Vergessens.
Α-λήθεια ist der Zustand, in dem die Ver-decktheit beendet ist, das Vergessene, Verborgene, Unbekannte auf-gedeckt ist, offen dargelegt, wie es in seinem Wesen wirklich ist: Α-λήθεια – Wahrheit!

Jesus macht Mut zu seiner Wahrheit und zur Wahrheit seiner Botschaft und zur Wahrheit aller, die sie in die Öffentlichkeit dieser Welt bringen.

Das ist eine andere Vorstellung von „Wahrheit“, als die abendländische Kultur sie mit ihrer Vorstellung von einem Ideen-Gebäude aus der antiken griechischen Philosophie übernommen hat.

Darum traut euch nur, sagt Jesus:

Was ich euch im Dunkeln sage,
davon redet im Licht,
und was man euch ins Ohr flüstert,
das verkündet auf den Dächern!

Traut der Wahrheit! Traut mir! Ich bin die Wahrheit. Wer sich auf mich einlässt, wird an mir das Leben offen erkennen und das Menschsein und was daran wesentlich ist. Und dann wird diese „Wahrheit“ wirken, wird zu aktueller Wirk-lichkeit werden!

Ob Jesus damit seinen Jüngern ausreichend Mut machen kann, so dass sie sich als Christen zu ihm bekennen, ohne die Reaktionen der Menschen zu fürchten?

Jesus weist auf ein zweites hin:

Fürchtet euch nicht vor denen,
die den Leib töten,
die Seele aber nicht töten können, …

Aber sie können uns das Leben ganz schön schwer machen. Wenn sie oder ihre Medien uns auch nicht gerade töten, aber sie können uns totschweigen oder unter den Teppich kehren!

… sondern fürchtet euch eher vor dem,
der Seele und Leib
in der Hölle verderben kann!

Hauptsache ist aber doch, sagt Jesus, wenn sie eure „Seele“ nicht töten und euch so das Leben zur Hölle machen können!

Was meint er damit? Gibt es Geschehnisse oder Personen, die zwar „den Leib töten können“, nicht aber „die Seele“?

Die Vorstellung einer „Seele“ als neben dem Leib ein anderer „Teil“ der menschlichen Person – das ist nicht biblischer Glaube, sondern griechische Philosophie, die manchmal auch in die Sprache des Neuen Testaments Eingang gefunden hat. Gerade beim Matthäus-Evangelium ist das zu beachten: Wenn es auch in griechischer Sprache verfasst ist, ist doch die hebräische oder aramäische Herkunft und Mentalität deutlich zu spüren.

Aber schon die Juden, die damals das Alte Testament ins Griechische übersetzt haben, hatten ein Problem, wie sie das hebräische Wort נֶפֶשׁ (näfäsch) übersetzen sollten. Im Griechischen fanden sie kein dem wirklich entsprechendes Wort. Sie griffen also ersatzweise auf das Wort ψύχη (psyche) zurück. Das kam aus der neuplatonischen Philosophie, die mit „ψύχη“ das eigentliche Wesen einer Person meinte, das bis zum Sterben im Leib wie in einem Gefängnis leben musste.

Eine solche Vorstellung von „ψύχη“ war dem Hebräischen fremd. Es hatte kein Wort dafür und brauchte auch keines, weil ja klar war: Die menschliche Person ist eine Einheit, aus Irdischem gemacht und von Gottes Atemhauch lebendig gemacht. Die נֶפֶשׁ (näfäsch), die von Gott eingeblasene persönliche Lebendigkeit, ist eher ein Wesenszug des leibhaftigen, lebendigen Menschen: seine Lebendigkeit.

Wenn ich das berücksichtige, dann höre ich in dem, was Jesus hier sagt:

Fürchtet euch nicht vor denen, die euch eure persönliche, authentische Lebendigkeit nicht nehmen können, auch wenn sie eurem „Leib“ – zu dem auch die „Psyche“ gehört! – Schaden zufügen können.

Beispiele fallen mir ein: Nawalny. Ihn kann das Putin’sche Regime nicht kaputt machen. Auch wenn es ihnen gelingen sollte, ihn im Gefängnis umzubringen.

Oder die Menschen in der Ukraine, die – statt in Sicherheit zu fliehen – lieber ihre Identität und ihre Freiheit als Volk verteidigen wollen.

Es gibt ja Menschen und Situationen von Menschen, in denen sie, was sie als wesentlich für ihr eigenes Leben empfinden, vor die Hunde gehen sehen und dann lieber sterben wollen.

Was mich als Person kaputt macht, was Menschen ihre Würde nehmen und ihnen das Leben zur Hölle machen kann, das gilt es zu fürchten und dagegen Widerstand zu leisten: gegen Personen, Kräfte, Mächte, Rahmenbedingungen, … in vielen Kulturen auch vorgestellt als eine Person: als Inbegriff aller Mächte des Bösen schlechthin: Satan.

Jesus macht Mut, das Wesentliche am Leben nicht aus dem Auge zu verlieren. Wer sich ihm, seinem Wort anvertraut,wer für den eigenen Blick von ihm Licht auf das fallen lässt, was oft dem geübten Auge verborgen bleibt, wird die Wahrheit sehen, an ihr Freude finden und wird daraus – erfüllt – leben!

 

Livestream des Gottesdienstes am 25.6.2023 in Heilig-Kreuz Frankfurt-Bergen-Enkheim:
https://www.youtube.com/watch?v=3-U6XTNWTZI

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