Blogbeitrag

2023-07-11 Weizen & 'Un-Kraut' im Weserbergland

Weizen & „Un-Kraut“

20. Juli 2023

Sonntagsbotschaft zum 23. Juli 2023, dem 16. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A). 

Gott tut nur Gutes? Warum lässt er dann aber das Gegenteil zu? Ist seiner Botschaft überhaupt zu trauen? Gott als herrschende Kraft, das „Reich Gottes“, wie es die Bibel nennt, dem angeblich Jesus den definitiven Schub gegeben hat, wo kann man das denn wirklich erleben?

Zu allen Zeiten haben Menschen so gefragt.

Zum Herantasten an eine Antwort lädt ein, was an diesem Sonntag aus der Bibel zu hören ist.

Mit einem seiner vielen Gleichnisse spricht Jesus zu den Menschen, die nicht recht wissen, ob sie ihm trauen wollen oder doch lieber skeptisch bleiben. Vom „Reich Gottes“ redet er zu ihnen wieder einmal. Von der Vision, dass Menschen in Gottes Einflussbereich leben, wo er mit seiner Menschenliebe die bestimmende Kraft ist – in allem, was geschieht.

In der jüdisch geprägten Gegend, in der das Matthäus-Evangelium wahrscheinlich entstanden ist, sagte man, statt Gott zu benennen, lieber „der Himmel“. Deshalb heißt hier „Himmelreich“, was ansonsten im Neuen Testament „Gottes Reich“ genannt wird.

Davon hat Jesus den Menschen eine ganz andere Vorstellung vermittelt, als es sich bei ihnen eingebürgert hatte: An der Stelle eines Systems von einengenden Vorschriften und Verboten hat er immer wieder versucht, ihnen deutlich zu machen, dass Gott ganz anders herrscht: Er hilft den Menschen, die Sehnsucht wachzuhalten, ja zu verwirklichen, die er ihnen schon in die Wiege mitgegeben hat.

In jener Zeit
erzählte Jesus der Menge folgendes Gleichnis:
Mit dem Himmelreich ist es
wie mit einem Mann,
der guten Samen auf seinen Acker säte.
Während nun die Menschen schliefen,
kam sein Feind,
säte Unkraut unter den Weizen
und ging weg.
Als die Saat aufging
und sich die Ähren bildeten,
kam auch das Unkraut zum Vorschein.
Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn
und sagten: Herr,
hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät?
Woher kommt dann das Unkraut?
Er antwortete: Das hat ein Feind getan.
Da sagten die Knechte zu ihm:
Sollen wir gehen und es ausreißen?
Er entgegnete: Nein,
damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut
den Weizen ausreißt.
Lasst beides wachsen bis zur Ernte
und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen:
Sammelt zuerst das Unkraut        
und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen;
den Weizen aber bringt in meine Scheune!
(Matthäus 13,24-30)

So ist es auch mit dem „Himmelreich“? Mit dem Reich Gottes, das Jesus neu in die Wege leitet, dessen Ausbreitung und Wachstum aber so sehr behindert wird und dessen Ernteertrag gefährdet ist? Damit ist es so wie mit dem Weizen, dessen Heranwachsen und Ernteertrag durch das Unkraut beeinträchtigt wird?

Was hier mit dem Wort „Unkraut“ übersetzt ist, heißt im griechischen Original τα ζιζάνια (ta zizánia). Das bezeichnet eine Gräserart, die früher auch bei uns als „Taumellolch“ bekannt war. Er war nicht nur ein lästiges Unkraut. Sowohl bei frei grasenden Pferden als auch bei Menschen, die Brot aus mit Taumellolch verunreinigtem Mehl aßen, führte er zu Vergiftungserscheinungen wie Schwindel, also „Taumeln“, und zu Sehstörungen, manchmal sogar zum Tod. In Deutschland gilt der Taumel-Lolch inzwischen als ausgestorben.

Und was sagt Jesus nun mit diesem Gleichnis, inwiefern das gleich oder vergleichbar sei: das Bild vom Taumel-Lolch unter dem Weizen und die frustrierende Realität, dass das Wachstum von Gottes Herrschaft in unserer Welt so sehr behindert und gefährdet wird?

„Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten,
kam auch das Unkraut zum Vorschein.“

Bis dahin keimen und sprießen und wachsen gemeinsam die „gute Saat“ und die unbemerkt, deswegen unbehindert „vom Feind gesäte“ Saat. Beide sind zunächst einander zum Verwechseln ähnlich.

Erst wenn ihre jeweiligen Fruchtstände sich bilden, ihre Ähren, lassen sie sich voneinander unterscheiden. Erst dann kann man an ihrer verschiedenen Gestalt erkennen, welche Art von Wirkungen diese ausgesäten Pflanzen entfalten werden: als Lebens-Mittel oder als Lebens-Gefahr.

Was soll man tun, wenn man vermeiden will, dass der Taumellolch im Mehl und dem daraus gebackenen Brot seine schädliche Wirkung entfaltet; wenn man den Taumellolch daran hindern will, in der Entscheidung über Nährwert oder Schädlichkeit der Ernte die Herrschaft zu übernehmen?

Die Knechte im Gleichnis schlagen dem Gutsherrn vor:

„Sollen wir gehen und es ausreißen?“

Der aber hält sie davon ab:

„Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut
den Weizen ausreißt.“

Nicht nur dass sie sich beim Unterscheiden der Halme vertun oder beim Ausreißen vergreifen könnten. Außerdem sind ja ihre Wurzeln bereits so ineinander verfilzt, dass sie mit dem Herausreißen von Halmen des Taumellolchs auch Weizenhalme aus dem Boden lösen und am Weiterreifen hindern würden. Daher seine Anweisung:

„Lasst beides wachsen bis zur Ernte!“

Erst beim Ernteschnitt sollen Brotgetreide und Schädling getrennt und unterschiedlich behandelt werden!

Und so ist es auch mit der menschenfreundlichen Herrschaft Gottes?

Also beides wachsen lassen: das, was das Reich Gottes herbeiführt, und das, was es behindert und ihm schadet?

Damit müssen sich die, die mit Jesus gehen, erst einmal auseinandersetzen. Sie wollen doch in seinem Sinn sich für die Verwirklichung von Gottes Absichten einsetzen und sich all dem entgegenstellen, was das behindert oder gefährdet! Sie wollen doch „das Volk“ sein, das Gott sich mit Jesus geschaffen hat, „das voller Eifer danach strebt, das Gute zu tun!“
(Titus 2,14 – in der 2. Lesung der Weihnachtsnacht)

Sie können doch nicht einfach die Dinge laufen lassen! Jesus selber hat sich doch an ihre Spitze gesetzt und riskiert sogar mit seinem Kampf Kopf und Kragen! Wie passt das zusammen?

Es wächst in unserer Welt nicht nur der Weizen, sondern auch das Unkraut. Die Welt besteht aus beidem.

Manchmal überfällt uns Ungeduld darüber: Wir möchten dann schnell und möglichst endgültig die Welt, die Kirche und uns selber heil machen.

Die einen, indem sie Illusionen anhängen und die Augen vor der Wirklichkeit zumachen: „Es ist alles gut, der Weizen wächst wunderbar, das Unkraut spielt doch keine Rolle“.

Andere, indem sie mit Feuer und Schwert dazwischenfahren wollen, um alles zu verändern: „Das Unkraut muss sofort ausgerissen werden!“

Wieder andere schließlich haben es längst drangegeben: „Wir können doch nichts tun. Der Lauf der Ereignisse ist halt ein Strom, gegen den zu schwimmen sinnlos ist“.

Und zugleich wollen die Seinen eigentlich auf Jesus hören. Sie müssen sich also dem stellen, was er ihnen mit diesem Gleichnis sagen will!

„Alles einfach laufen lassen, wie es läuft“? Das kann Jesus nicht meinen. Er springt ja selber mit seiner ganzen Existenz in die Bresche für die Menschen, um sie aus der Hand ihrer Feinde zu befreien, so dass die ihn dann schließlich ans Kreuz bringen!

Will er aufmerksam machen, dass „der Feind“ die schädliche Saat ungehindert ausbringen kann, weil und „während die Menschen schlafen“? Sollen sie also immer „wach“ bleiben, obwohl sie auch den Schlaf brauchen?

Vielleicht ist es ja immer wieder mal möglich, solange man „wach“ ist, „den Feind“ am Ausbringen seiner schädlichen Saat mitten in den Weizen zu hindern. Aber der braucht nur abzuwarten und er wird einen passenden Moment für seine Absicht finden, ohne dass sie es merken. Dazu braucht es nicht mal künstliche Intelligenz.

Der Versuchung, jedenfalls sofort „einzugreifen“, sollen sie jedoch widerstehen. Das ist die klare Aussage, die Jesus mit seinem Gleichnis macht!

Jesus mutet den Seinen zu, nicht alle die Mittel einzusetzen, die ihnen von Generation zu Generation in der herrschenden Kultur beigebracht wurden, um sich und das Gute und das für heilig Erachtete ganz schnell mit Gewalt durchzusetzen.

Sein Geist geht andere Wege, die nicht mit einem „Ausreißen“ des Bösen zugleich auch das Gute, das Heilige, den Menschen in Gefahr bringen.

Welche Wege das sind, wird sich in jeder neuen Situation immer wieder dadurch erkennen lassen, dass Christen in gegenseitiger Ergänzung mit ihren jeweils unterschiedlichen Zugängen und Begabungen sich gemeinsam einem Lernprozess stellen, der an Jesus selber Maß nimmt.

Er mutet den Seinen zu, einander nicht vorschnell zu verteufeln, sondern einander anzuerkennen als Menschen, die sich eigentlich nach Gottes Herrschaft sehnen. Jesus selber hat sogar den Judas als Freund und Tischgenossen angenommen bis zum letzten Abend, als der dann selber vom Tisch aus hinausging, um ihn ans Messer zu liefern.

Er macht einen Unterschied zwischen der Person mit ihrer unantastbaren Würde und dem zweifelhaften Verhalten der Person.

Wäre das ein wichtiger erster Schritt, den wir beachten sollen?

Es geht ihm offensichtlich auch nicht nur um die Methoden zur Konfliktbearbeitung, die sich in unserer Welt als wertvoll erwiesen haben. Toleranz und Kompromissbereitschaft reichen nicht aus, wenn die einen die anderen umbringen wollen. Statt Halbherzigkeit braucht es in vielen Konflikten eine klare Entschiedenheit! Den neuen Geist, der alle Konflikte in neues Leben verwandelt, bezeichnet die Bibel ja immer wieder als Neugeburt oder als Auferweckung aus den Gräbern!

Geht es ihm mit dem Gleichnis um die Wahl des optimalen Zeitpunkts für das Eingreifen?

Jesus gibt mit seinem Gleichnis alles andere als ein kochfertiges Rezept, das man nur noch anwenden müsste.

Mir scheint, die Herausforderung, dass die Seinen sich intensiv und ehrlich miteinander abstimmen müssen, das ist seine Absicht. Das fördert Klarheit und Solidarität und damit Kraft zu einem Einsatz, der nicht gleich wieder scheitert. Was dem Leben dient und es fördert, soll sich durchsetzen gegenüber allen Bestrebungen, die ein erfülltes und sinnvolles Leben in Gefahr bringen. Darum geht es doch Gott, wenn er die herrschende Kraft sein will!

Am Ende des Gleichnisses steht der differenzierte Umgang mit der Ernte: Nach dem Schneiden werden die Pflanzensorten getrennt und je nach ihrem Potential, was sie bewirken können, weiterverarbeitet. So entsteht dem Weizen kein neuer Schaden und er kann als Mittel zum Leben genutzt werden.

Wie der Gedankengang dann weitergeht? Wie aus der Botschaft konkretes Handeln wird?

Das wird der Heilige Geist jeweils neu vor Ort und je nach Konfliktlage bei denen erschließen, die sich dafür öffnen.

Auf Gottes Segen dafür dürfen Sie hoffen!

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