Sonntagsbotschaft zum 25. September 2022, dem 26. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).
Ihr liegt auf Betten aus Elfenbein
und faulenzt auf euren Polstern.
Zum Essen holt ihr euch Lämmer aus der Herde
und Mastkälber aus dem Stall.
Ihr grölt zum Klang der Harfe,
ihr wollt Musikinstrumente erfinden wie David.
Ihr trinkt den Wein aus Opferschalen,
ihr salbt euch mit feinsten Ölen,
…
Was ist das? Alltagsbild aus einer Seifenoper aus vergangener Zeit?
Diesen Leuten geht es jedenfalls gut. Und sie wissen, das zu genießen. Warum auch nicht? Da steckt weder moralisierendes Miesmachen drinnen noch irgendein Sozialneid. Worte wie „faulenzen“ und „grölen“ heißen heute halt eher „cool chillen“ oder „einen draufmachen“. Sollen doch ruhig alle machen.
An wen richten sich diese Worte?
Amos, der Prophet im 8. Jahrhundert vor Christus, redet so in der Öffentlichkeit. Was will er damit? Er weiß sich von Gott beauftragt, so zu reden.
Und heute ist das der erste Bibelabschnitt in den Gottesdiensten des Sonntags:
Lesung aus dem Buch Amos.
Weh den Sorglosen auf dem Zion
und den Selbstsicheren auf dem Berg von Samaria!
Ein Weheruf! Eine Drohung? Oder eine Warnung?
Und am Ende heißt es:
… aber über den Untergang Josefs sorgt ihr euch nicht.
Darum müssen sie jetzt in die Verbannung,
allen Verbannten voran.
Das Fest der Faulenzer ist vorbei.
(Amos 6,1a.4-7)
Worum geht es da? Welche Botschaft will da bei den Menschen ankommen – damals und heute?
Wenn daraus nicht einfach eine Beschimpfung wohlhabenderer Bevölkerungsschichten gemacht werden soll, möchte ich da schon genauer hinhören.
Was wird da als Problem beklagt? Ich gestehe, ich bin mir bewusst: Gleich beim ersten Hören melden sich in mir meine bisherigen Einschätzungen und Meinungen aus Bereichen heutiger Wirklichkeit und Politik. Wenn ich aber solche Worte aus der Bibel nicht nur als Bestätigung meiner Sichtweisen benutze, sondern von Gott her mir etwas neu sagen lassen will, versuche ich erst einmal vorsichtig, meine eigenen Gedanken auf Abstand zu halten.
Da stelle ich fest: Beklagt wird hier zum Beispiel nicht eine Wettbewerbsverzerrung beim Kampf um Kuchenanteile. Dass die einen verfügbare Ressourcen so nutzen und genießen, dass die anderen um die Möglichkeit zu einer gleichartigen Beteiligung an diesen Möglichkeiten gebracht werden, darum geht es hier nicht!
Der mahnende Nachdruck in den Worten des Propheten gründet auch nicht darin, dass die Reichen mit ihrem eingeschränkten Blick eine Idee verletzten, einen Wert, eine Wahrheit oder eine Lehre – zum Beispiel die doch anzustrebende Gerechtigkeit. Die Kritik bezieht sich weder auf ihre Gewohnheiten, wie sie ihren Reichtum genießen, noch auf ihre Blindheit gegenüber den Interessen und Bedürfnissen der Armen. Es wird ihnen hier nicht ein schlechtes Gewissen gemacht, das sich auf ihre Ungerechtigkeiten bezieht.
Vielmehr wird hier der Blick, der sich auf die Belange eigenen und kurzfristigen Wohlergehens beschränkt, ausgeweitet auf eine umfassendere Aufmerksamkeit hin. Und das nicht nur auf die hin, die vom Wohlstand ausgeschlossen sind. Die angemahnte Sorge um den „Untergang Josefs“ betrifft ja das ganze Volk einschließlich der „Reichen“ – ausdrücklich alle sowohl im Südreich Israels mit seinem Berg „Zion“ als auch im Nordreich mit seinem „Berg von Samaria“! Die angekündigte Verbannung trifft ja nicht nur die sorglosen Reichen, sondern alle, also das ganze Gemeinwesen!
Hier „droht“ nicht Gott mit einer Strafe für die „bösen Reichen“. Gott warnt durch die Stimme des Propheten, wohin die Entwicklung im Gemeinwesen führt, wenn die Menschen, die Einfluss und Möglichkeiten haben, sie nicht einsetzen in der Sorge um den drohenden „Untergang“ des Gemeinwesens. Und da alle von der Entwicklung betroffen sind, müssen auch alle mitbestimmen können, wie die ungleich verteilten Möglichkeiten im Interesse des Gemeinwohls einander zugeordnet werden.
Gefordert wird hier also für die Politik des Gemeinwesens eine radikale Änderung der Blickrichtung: Man darf sich im Volk nicht mehr damit begnügen, dass die Reichen sorglos leben können und vielleicht von ihrem Überfluss großzügig Stiftungen gründen und Investitionen nicht ins Ausland verlagern. Jetzt muss für das Gemeinwohl gesorgt werden – aber flott: nicht durch Diskutieren über noch so schöne Ideologien, sondern durch effektives Zupacken! Es geht darum, den Untergang zu verhindern! Mit der Sorglosigkeit muss jetzt Schluss sein! Drastisch sagt es der Prophet: „Das Fest der Faulenzer ist vorbei!“
Wo sollen wir denn anfangen?
Als erstes müsst ihr jedenfalls den drohenden Untergang des Gemeinwesens in den Blick nehmen und entscheiden: Das halten wir jetzt auf! Die Ergebnisse neuester wissenschaftlicher Studien abwarten? Dazu bleibt euch jetzt keine Zeit!
Der erste Schritt, der im Gottesdienst des Sonntags folgt, kann da schon irritieren. Der unmittelbar auf die Lesung folgende Antwortpsalm bricht ja erst mal in Jubel darüber aus, dass Gott uns überhaupt so anspricht:
Kv: Meine Seele, preise den Herrn!
Der Herr hat Himmel und Erde gemacht,
das Meer und alle Geschöpfe;
er hält ewig die Treue.
Recht verschafft er den Unterdrückten,
den Hungernden gibt er Brot;
der Herr befreit die Gefangenen. (Kv)
Der Herr öffnet den Blinden die Augen,
er richtet die Gebeugten auf.
Der Herr beschützt die Fremden
und verhilft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht. (Kv)
(Psalm 146,6-9)
Menschen, die das authentisch so singen; eine Gemeinschaft, die das ehrlich so meint – das setzt die Gewissheit voraus: Gott wird, wo man ihn zum Zuge kommen lässt und wo Menschen dazu beitragen wollen, da wird er auch heute tatsächlich so handeln!
Und der Bibeltext, der für diesen Sonntag als das Evangelium vorgesehen ist, bläst in der Tat in ein sehr ähnliches Horn:
Da erzählt Jesus eine Geschichte. Er beginnt sie mit den Worten „Es war einmal …“, will also im Kleid eines Märchens eine Wahrheit rüberbringen. Worauf genau will er damit hinaus?
Der Evangelist Lukas überliefert es im Zusammenhang der Konflikte zwischen Jesus und seinen Gegnern. Die Situation beschreibt er als Begegnung mit den Pharisäern, die – wie er sagt – „sehr am Geld hingen“ und über Jesus „lachten“, wo sie ihn über das reden hörten, was bei Gott gilt, wenn man sein Reich herbeisehnt. Und in diesem Zusammenhang erzählt Jesus die Geschichte:
Es war einmal ein reicher Mann,
der sich in Purpur und feines Leinen kleidete
und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte.
Vor der Tür des Reichen aber
lag ein armer Mann namens Lazarus,
dessen Leib voller Geschwüre war.
Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt,
was vom Tisch des Reichen herunterfiel.
Stattdessen kamen die Hunde
und leckten an seinen Geschwüren.
Es geschah aber:
Der Arme starb
und wurde von den Engeln
in Abrahams Schoß getragen.
Auch der Reiche starb und wurde begraben.
In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt,
blickte er auf und sah von weitem Abraham,
und Lazarus in seinem Schoß.
Da rief er:
Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir
und schick Lazarus;
er soll die Spitze seines Fingers
ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen,
denn ich leide große Qual in diesem Feuer.
Abraham erwiderte:
Mein Kind, erinnere dich daran,
dass du schon zu Lebzeiten
deine Wohltaten erhalten hast,
Lazarus dagegen nur Schlechtes.
Jetzt wird er hier getröstet,
du aber leidest große Qual.
Außerdem ist zwischen uns und euch
ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund,
sodass niemand von hier zu euch
oder von dort zu uns kommen kann,
selbst wenn er wollte.
Da sagte der Reiche:
Dann bitte ich dich, Vater,
schick ihn in das Haus meines Vaters!
Denn ich habe noch fünf Brüder.
Er soll sie warnen,
damit nicht auch sie
an diesen Ort der Qual kommen.
Abraham aber sagte:
Sie haben Mose und die Propheten,
auf die sollen sie hören.
Er erwiderte:
Nein, Vater Abraham,
aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt,
werden sie umkehren.
Darauf sagte Abraham zu ihm:
Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören,
werden sie sich auch nicht überzeugen lassen,
wenn einer von den Toten aufersteht.
(Lukas 16,19-31)
Was meint Lukas, was Jesus mit dieser Geschichte sagen will?
Es geht jedenfalls um einen krassen Kontrast zwischen den Lebenssituationen von Menschen. Der eine wird vorgestellt als „ein reicher Mann“. Namenlos. Der Typ des „reichen Mannes“. Sein Lebensstil ist geprägt von einem Schwelgen im Überfluss, wie es schon der Weheruf aus dem Propheten Amos beschrieben hat. Der andere krank, hungrig, ein Bettler. Obwohl er dem Reichen ganz nahe lebt, nämlich seinem opulent gedeckten Tisch und seinen Hunden nahe, klafft ein tiefer, geradezu unüberwindlicher Abgrund zwischen beiden: Die Krümel und die Knochenreste vom Tisch des Reichen bleiben für Lazarus unerreichbar. Und dem Reichen bleibt die große Qual des Lazarus fremd wie aus einer dritten Welt: Das hat doch nichts mit mir zu tun!
Der Lazarus hat in dem schönen Bild, das sich der Reiche von seiner Welt gemacht hat, einfach keinen Platz; der würde ja den Rahmen sprengen! So jedenfalls das mittelalterliche Bild aus dem Evangeliar.
(Bild aus dem Evangelistar aus dem Kölner Benediktinerkloster Groß-Sankt-Martin © Bibliothèque royale, Bruxelles, Ms 466/9222)
Der Blick aufs Gemeinwohl, den der Weheruf des Propheten Amos von den „sorglosen Reichen“ eingefordert hat, denen der drohende Untergang des Gemeinwesens egal ist, dieser Blick wird hier konkretisiert mit dem Vorrang des Menschen in der großen Qual. Was Gott für ihn will, sagt schon sein Name, der das Wesentliche benennt: Lazarus. El-Azar. Auf Deutsch: Gott hilft!
Der erste Schritt zur Rettung vor dem „Untergang Josefs“ auf Grund der Sorglosigkeit der Reichen ist hier das Augenmerk für den Lazarus. Der muss erst mal seinen Anteil bekommen an den gegebenen Möglichkeiten, an den vorhandenen Ressourcen. Zum „Trost“ für seine Qualen. Das verlangt der Ausgleich für eine der Menschenwürde entsprechende Gerechtigkeit.
Viel lieber wäre ja Gott von Anfang an gewesen, die Lebens-Chancen unter allen Menschen anders zu verteilen. Aber – diese traurige Klage lässt Jesus in seiner Geschichte spüren – auf Mose und die Propheten wollten sie ja nicht hören. Und der Evangelist Lukas lässt seine Traurigkeit durchscheinen: Ja, obwohl einer von den Toten auferstanden ist, lassen sie sich auch nicht überzeugen.
In der Bibel klingt immer wieder Gottes Traurigkeit an, der doch seinen geliebten Menschen nicht Gewalt antun kann, um sich durchzusetzen: Da überließ ich sie in ihrer Halsstarrigkeit eben ihren eigenen Plänen. (vgl. Ps 81,13; Jes 65,2; Jer 18,12) Mit dem Ergebnis: Immer wieder die Hölle auf Erden.
Bleibt die Frage: Lassen wir uns nicht doch lieber von dem Lob anstecken, das der Antwortpsalm des Sonntags all denen entlockt, die sich Augen und Ohren, Herzen und Hände öffnen lassen für ein Gemeinwohl, zu dem Gottes Botschaft führt?