Blogbeitrag

2023-03-03 Klima-Protest Frankfurt

Zerreißprobe

31. August 2023

Sonntagsbotschaft zum 3. September 2023, dem 22. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A).

Welche Erfahrung oder Einsicht ist Ihnen so wichtig geworden, dass Sie sie gerne mit mehr Menschen teilen wollen oder möglichst weit ausbreiten möchten?

Und wie geht es Ihnen dann damit, wenn Sie sich dranmachen, andere Menschen damit anzustecken?

Mancher bleibt damit allein. Alles Engagement nützt nichts. Hart kann es werden, wenn man dafür belächelt oder gar angefeindet wird.

Was machen Sie denn, wenn Sie sich von einer Idee, einer Bestrebung oder Sehnsucht innerlich gedrängt fühlen und wenn zugleich damit verbundene Anstrengungen, Nachteile oder Risiken Sie bremsen wollen?

Was in einem Menschen in einer solchen Situation vorgehen kann, das beschreibt die Bibel ausgiebig am Beispiel des Jeremia.

Jeremia lebte etwa um 600 vor Christus in Jerusalem. Israels Mächtige spielten damals ihre Macht aus; das Volk litt gewalttätige Unterdrückung. Da konnte Jeremia nicht den Mund halten. Er musste öffentlich Stellung beziehen. Nicht aus Besserwisserei oder aus Großmannssucht; von Gott wusste er sich dazu berufen. Er wollte nicht so etwas wie ein Prophet sein, nein nein.

Aber er musste einfach. Er hatte Dinge auszusprechen, von denen ihm klar war: Das sind Worte, die Gott den Menschen sagen will zu all dem Schlimmen, was da abgeht, und er soll sozusagen „Gottes Mund“ sein.

Oft kam ihn das ziemlich hart an. Besonders, wenn das, was er sagen sollte, ganz und gar gegen die öffentliche Meinung war und er deswegen abgelehnt und verfolgt wurde.

Statt immer wieder die verbreitete Unterdrückung und Gewalt in Gottes Auftrag anzuprangern, hätte er viel lieber ein friedliches Leben geführt. Oft hat er sich gegen seine Propheten-Aufgabe gewehrt; immer wieder wollte er es bleiben lassen. Aber dann konnte er auch wieder nicht anders: Er musste einfach Gottes Wort ausrichten. Jeremia ist unter seiner Last fast zerbrochen.

Aus solchen Stunden tiefer Lebenskrise und innerer Not stammt die Klage des Propheten, die in den Gottesdiensten dieses Sonntags als 1. Schriftlesung vorgesehen ist.

Jeremia hatte Unheil prophezeit (19,15), das Jerusalem und den anderen Städten bevorstand, weil sie sich hartnäckig geweigert hatten, sich an Weisungen von Gott zu halten. Dafür ließ der Priester Paschhur, der Oberaufseher im Tempel, Jeremia schlagen und in einem der Tore zum Tempelvorhof in den Block spannen, wo er den Reaktionen der Passanten ausgeliefert war. (20,2)

Er klagt:

Du hast mich betört, o HERR,
und ich ließ mich betören;
du hast mich gepackt und überwältigt.
Zum Gespött bin ich geworden
den ganzen Tag,
ein jeder verhöhnt mich.
Ja, sooft ich rede, muss ich schreien,
Gewalt und Unterdrückung! muss ich rufen.
… das Wort des HERRN
bringt mir … nur Spott und Hohn.
Sagte ich aber: Ich will … nicht mehr
in seinem Namen sprechen!,
so brannte in meinem Herzen ein Feuer, …
Ich mühte mich, es auszuhalten,
vermochte es aber nicht.
(Jeremia 20,7-9)

„Betört“. Fasziniert. Deshalb engagiert. Propheten aller Zeiten hatten und haben heftigen Widerstand der Mächtigen zu erleiden.

Wer seine Freude oder seine Lebenserfüllung gefunden hat an dem, was die Bibel mit dem „Reich Gottes“ meint, mit dem „Himmelreich“ oder der Königsherrschaft Gottes, der kann es nicht schweigend hinnehmen, wenn Hass und Gewalt, Unrecht oder sonstige unmenschliche Herrschaft überhandnimmt. Es wird ihm sonst gehen wie Jeremia:

„Sagte ich aber: ,Ich will nicht mehr an ihn denken
und nicht mehr in seinem Namen sprechen!’,
so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer,
eingeschlossen in meinem Innern.
Ich quälte mich, es auszuhalten, und konnte nicht.“

Jesus, der Gottes Wort geradezu verkörpert, wird dafür sogar getötet werden. Und er sieht es so kommen. Alle drohende Gefahr kann ihn aber nicht davon abbringen: Gottes Barmherzigkeit muss sich durchsetzen gegen alle Unmenschlichkeit! Und wenn es drauf ankommt, muss er eben dafür auch seinen eigenen Tod hinnehmen.

Natürlich sucht er die Solidarität seiner Freunde. Aber:

In jener Zeit
… begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären:
er müsse nach Jerusalem gehen
und von den Ältesten
und Hohenpriestern
und Schriftgelehrten
vieles erleiden,
er müsse getötet
und am dritten Tag auferweckt werden.
Da nahm ihn Petrus beiseite
und begann, ihn zurechtzuweisen,
und sagte: Das soll Gott verhüten, Herr!
Das darf nicht mit dir geschehen!

Und das, unmittelbar nachdem Petrus sich zu ihm so überschwänglich bekannt und Jesus das als den Fels bezeichnet hatte, auf den er seine Kirche bauen würde! Mehr Widerspruch geht gar nicht.

Jesus aber wandte sich um
und sagte zu Petrus:
Tritt hinter mich, du Satan!
Ein Ärgernis bist du mir,
denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will,
sondern was die Menschen wollen.

Aber eigentlich kann man doch den Petrus gut verstehen. Oder?

Da nun einmal der Widerspruch so offen im Raum steht, benennt Jesus in aller Klarheit die Schattenseite, die unvermeidlich zu der Entscheidung gehört, wenn jemand tatsächlich das Leben an ihm orientieren will und an seinem Weg des Reiches Gottes für alle Menschen.

Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern:
Wenn einer hinter mir her gehen will,
verleugne er sich selbst,
nehme sein Kreuz auf sich
und folge mir nach.
Denn
wer sein Leben retten will,
wird es verlieren;
wer aber sein Leben
um meinetwillen verliert,
wird es finden.
Was nützt es einem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewinnt,
dabei aber sein Leben einbüßt?
………
(Matthäus 16,21-27)

Das ist schon schwer zu verdauen. Wo bleiben da Selbstbestimmung, Menschenwürde, …?! Und das soll „Evangelium“ sein? Froh machende Botschaft? „Lob sei dir, Christus!“? Lob wofür?!

Im Gestrüpp der Emotionen, die das auslöst, scheint mir als Erstes besonders wichtig zu sein: Jesus sagt: Wenn einer hinter mir her gehen will, … Es geht also auch ihm um Selbstbestimmung. Und zwar um eine, in der wirklich ich selbst mich bestimme: Was will ich mit meinem Leben? „Wer mein Jünger sein will, Christ oder Christin sein will, …“ Ich höre hier seinen – durchaus ganz und gar liebevollen – Hinweis, dass ich mich vertun kann in meiner Wahrnehmung dessen, was ich selbst will:

Es könnte ja zum Beispiel sein, dass ich – in vermeintlicher Selbstbestimmung – spontan und „ganz eins mit mir“ – eine endlich mal mühelose und wirklich schöne Urlaubsreise auf einem Kreuzfahrtschiff machen will, zumal ja „du“, mit dem oder mit der ich die menschliche Beziehung stärken möchte, deutlich Lust darauf gezeigt hast.

Dabei könnte es sein, dass in Wirklichkeit – aus anderen Gründen – ein Fahrrad-Urlaub „mit dir“ mir noch mehr ungetrübte Freude bringen könnte – und dir auch! Ich muss halt abwägen und mich vergewissern, was ich wirklich will. Ohne mich von entgegenstehender Werbung verbiegen zu lassen – egal ob Konsumwerbung oder Liebeswerben.

Und wenn jemand klar und bewusst die unterschiedlichen Bestrebungen im eigenen Ich geklärt und gewichtet hat und dann im Ergebnis entscheidet: Vor allem anderen will ich mein Leben darauf gründen, dass der Weg mit Jesus in eine Zukunft mit den besten Chancen führt – wenn ich weiß, das ist wirklich das, was ich selbst will, dann muss ich natürlich darauf achten, wie ich diesen Weg am besten gehe.

Dann weiß ich: Sowohl in mir als auch um mich herum gibt es ja auch andere Regungen, die bei allem Hin und Her beeinträchtigen können, wie konsequent ich den Weg gehe. Das, was ich in meiner Willensentscheidung hinter mir gelassen habe, kann sich ja immer wieder in den Vordergrund drängen. Dann möchte ich doch mich davon distanzieren und klären, dass das nicht mehr mein Selbst ist, so dass ich jetzt dazu Nein sage – Jesus beziehungsweise die biblische Übersetzung nennt es „verleugne“.

Ich erinnere mich zum Beispiel an die Zeit, als ich mit dem Rauchen aufhörte: Da drängte sich ein angebliches Ich in mir immer wieder auf und wollte doch eine Zigarette rauchen. …

Und wenn ich dann wirklich ein an Christus orientiertes Leben führen will – im Wissen, dass ein entsprechendes Mund-Aufmachen gegen Hass und Unrecht dazugehört – dann weiß ich ja auch, dass ich mir damit Gegnerschaften einhandle – unter Umständen mit meinen mir am nächsten stehenden Mitmenschen – und dass ich dann mit dieser Realität fruchtbar umgehen muss und will.

Die Unannehmlichkeiten, die das bringen kann – im schlimmsten Fall tödlichen Hass – nennt Jesus „sein Kreuz auf sich nehmen“. Dazu ermutigt er, damit nicht wieder eine alte, überwundene Selbstentfremdung greift, sondern echte Selbstfindung und Selbstverwirklichung wächst.

In den Gottesdiensten dieses Sonntags, in denen dieses zunächst so herb klingende „Evangelium“ verkündet wird, ist vorgesehen, dass zur Bestärkung eines Hörens in positiver Erwartung als Vers vor dem Evangelium zum Halleluja gesungen wird:

Der Vater unseres Herrn Jesus Christus
erleuchte die Augen unseres Herzens,
damit wir verstehen,
zu welcher Hoffnung wir berufen sind.
(vgl. Epheser 1,17-18)

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