Blogbeitrag

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Zielorientiert, belastbar und geschickt

1. Juni 2023

Sonntagsbotschaft zum 4. Juni 2023, dem Dreifaltigkeitssonntag im Lesejahr A. 

Die Kuh vertraut – auch im Interesse ihrer Gattung – das Potential ihrer DNA nur dem Stier an, der stärker ist als seine Konkurrenten. Für die Klärung deren Wettstreits untereinander braucht sie selber nichts zu tun. Sie kann beim Kräftemessen im Wettkampf der Rivalen zuschauen.

Wirkt dieses Muster auch beim Wettbewerb zwischen den Interessen verschiedener Gruppen der Menschheit?

Und in welchem Verhältnis dazu steht der Anspruch auf Geltung von Demokratie und Rechtsstaat?

Und hast du, Gott, dazu mittels der Bibeltexte dieses Sonntags eine hilfreiche Botschaft?

Ich höre aus der ersten Schriftlesung das Beispiel vom ersten Scheitern des Bundes zwischen Gott und seinem Volk Israel:

Mose war auf den Berg Sinai gestiegen, damit er ihnen von Gott Wegweisung bringt, wie es denn auf dem Weg durch die Wüste weitergehen soll. Die Warterei auf seine Rückkehr zog sich aber in die Länge. Da hatten sich die Ungeduldigen durchgesetzt: Sie verliebten sich in das Gold, das die Ägypter ihnen ja geradezu aufgedrängt hatten, damit sie schleunigst abhauten aus ihrer Sklaverei, mit der ihre Unterdrücker sich so viele Plagen eingehandelt hatten. Dieses Gold, das das Volk ja mit Händen greifen und mit eigenen Augen sehen konnte, das galt ihnen jetzt als ihr befreiender Gott. Daraus machten sie eine Stier-Figur, um die herum das Volk feiernd tanzte.

Mose, entsetzt über diesen Bruch des Bundes mit Gott, hatte im Zorn darüber die zwei Gesetzestafeln zerschmettert, die er ihnen von Gott mitbrachte und die dem Volk zur Orientierung auf seinem Weg in die Zukunft dienen sollten. Wieder zur Besinnung gekommen, so erzählt das Buch Exodus (34,4), auch „2. Buch des Mose“ genannt, hieb er zwei Tafeln aus Stein zurecht wie die ersten und stieg noch einmal auf den Sinai hinauf – in der flehentlich fürbittenden Hoffnung auf Gottes Vergebung für das Volk und auf eine effektive Erneuerung des Bundes.

In jenen Tagen
stand Mose früh am Morgen auf
und ging auf den Sinai hinauf,
wie es ihm der HERR aufgetragen hatte. …
Der HERR aber stieg in der Wolke herab
und stellte sich dort neben ihn hin.
Er rief den Namen des HERRN aus.
Der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber
und rief: Der HERR ist der HERR,
ein barmherziger und gnädiger Gott,
langmütig
und reich an Huld und Treue. …
Sofort verneigte sich Mose bis zur Erde
und warf sich zu Boden.
Er sagte: …
Weil es ein hartnäckiges Volk ist,
musst du uns unsere Schuld und Sünde vergeben
und uns dein Eigentum sein lassen!
(Exodus 34,4b.5-6.8-9)

Was für eine Geschichte!

Eigentlich wie immer in der Geschichte: Alle reden vom Frieden – und führen doch Krieg gegeneinander. Alle wollen sie das Klima retten – und schüren doch permanent die Erderhitzung. Alle reden sie von Menschenwürde und Respekt füreinander – und lassen sich doch von Menschen regieren, durch deren Politik dann die Reichen noch reicher und die Armen zahlreicher gemacht werden. Und zwar lange nicht mehr alle, aber doch immer noch viele reden von dem Gott, der sich selbst entäußert hat, um mit den bedrängten Menschen solidarisch zu sein, und begnügen sich doch selbst mit frommen Gebeten und mit weniger frommer Beschränkung ihres Schuldbewusstseins auf die Sünden der Anderen in Sachen Sex.

Und mittendrin dieser beeindruckende Mose! Da kann passieren, was will – er lässt das Ziel nicht aus den Augen. Unerschütterlich hält er fest an Gottes Zusage, das Volk aus der Versklavung herauszuführen in eine lebenswerte Zukunft. Wie wagemutig seine fordernden Worte an Gott: „Du musst uns unsere Schuld und Sünde vergeben!“ Sowohl gegenüber dem Volk als auch gegenüber Gott vertritt er überzeugend, worum es geht und wie wichtig das ist. Ganz und gar ist er in dem, wie er Gott und dem Volk begegnet. Seine authentische Echtheit ist seine Überzeugungskraft.

Und wie beeindruckend ist dieser Gott! Auch der fundamentale Vertragsbruch des Volkes kann ihn nicht davon abbringen, er selbst zu sein und zu seiner Zusage zu stehen.

Von dieser grenzenlos belastbaren Liebe Gottes zu seinem Volk wird der Apostel Paulus einmal sagen: „Die Liebe erträgt alles.“ (1. Korinther 13,7)

Dieser Gott kommentiert auf dem Sinai den Abfall des Volkes in seiner unerschütterten Liebe:

Der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber
und rief: Der HERR ist der HERR,
ein barmherziger und gnädiger Gott,
langmütig
und reich an Huld und Treue.

Zielstrebig, belastbar und geschickt!

Taugt das als Modell für uns heute – beim Wettbewerb zwischen den Interessen verschiedener Gruppen der Menschheit? Und wo liegt darin eine Verbindung zu Demokratie und Rechtsstaat?

Ich schaue in die zweite der für diesen Sonntag vorgesehenen Schriftlesungen mit der Frage nach einer Botschaft von Gott für unsere heutige Situation zunehmender Polarisierung und wachsender Spannungen.

Oh, in der Tat: die Schlussworte des im Neuen Testament überlieferten zweiten Briefes, den der Apostel Paulus an die junge Christen-Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth geschickt hat. Ein Brief, in dem Paulus Stellung bezieht zu den heftigen Spannungen, die damals in der Gemeinde aufgekommen waren. Ähnlich wie das Volk in der Wüste sich dem Mose als Gottes Boten widersetzte, war nun in Korinth Widerstand gegen Paulus entstanden. In seinem Brief macht er sein Selbstverständnis als Apostel transparent, wirbt um fortschreitende Versöhnung und appelliert an ihr Bewusstsein solidarischer Zusammengehörigkeit auch mit der verarmten Gemeinde in Jerusalem.

Seine Worte, mit denen er den Brief beschließt, atmen tiefes Vertrauen auf den Glauben, der sie alle eint:

Schwestern und Brüder,
freut euch,
kehrt zur Ordnung zurück,
lasst euch ermahnen,
seid eines Sinnes,
haltet Frieden!
Dann wird der Gott der Liebe und des Friedens
mit euch sein.
Grüßt einander mit dem heiligen Kuss!
Es grüßen euch alle Heiligen.
Die Gnade des Herrn Jesus Christus …
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen!
(2 Korinther 13,11-13)

Zielsicher hält er fest an seiner Hoffnung auf Gottes befreiende Liebe zu den Adressaten des Briefs. Seine Belastung durch die heftige Ablehnung seitens eines Teils der Gemeinde kann seine Bemühung um sie nicht mindern. Klar und transparent legt er seine Stellungnahme dar zu der Situation in der Christengemeinde von Korinth.

Zielstrebig, belastbar und geschickt!

Und das Evangelium des Sonntags – sagt es etwas aus über optimale Wege im Wettstreit zwischen den Interessen verschiedener Gruppen der Menschheit?

Da erzählt das Johannes-Evangelium von einem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus. Den Nikodemus stellt es vor als einen von den Pharisäern, als führenden Mann unter den Juden (Joh 3,1), als „Lehrer Israels“ (Joh 3,10). Er sucht Jesus bei Nacht auf (Joh 3,2), um mit ihm zu reden – vielleicht vertrauensvoll-neugierig und deshalb heimlich.

In dem Gespräch geht es um die grundsätzliche Frage, wie ein Mensch mit Gott in Verbindung kommen und ihn als herrschende Kraft erleben kann.

Was Jesus dazu sagt, spricht von seinem Tod und seiner folgenden Erhöhung zu Gott als bereits geschehen. Der Evangelist spricht hier also für Jesus das aus, was sich ihm nach seiner Überzeugung offenbart hat.

Die Möglichkeit eines bewussten Zugangs zu Gott vergleicht er mit einer Neugeburt: Gottes Reich erleben kann nur, wer mit der gleichen Klarheit, mit der er oder sie irdische Realitäten anerkennt, Jesus anerkennt als den, der die Verbindung zu Gott herstellt.

Damit bringt Jesus in dem vertraulichen Gespräch mit Nikodemus, dem führenden Pharisäer, die Kontroverse auf den Punkt, die die Pharisäer dazu bringt, ihn umbringen zu wollen.

Gott hat die Welt so sehr geliebt,
dass er seinen einzigen Sohn hingab,
damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht,
sondern ewiges Leben hat.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt,
damit er die Welt richtet,
sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.
Wer an ihn glaubt,
wird nicht gerichtet;
wer nicht glaubt, ist schon gerichtet,
weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes
geglaubt hat.
(Johannes 3,16-18)

Das Bild, das sich die Menschen von Gott gemacht haben und das die Pharisäer mit Nachdruck vertreten, korrigiert Jesus mit dem Nachdruck seiner eigenen „Neugeburt“ in seinem Tod und seiner Erhöhung zu Gott: Es geht bei Gott nicht – wie die Pharisäer meinen – darum, die Welt zu richten, womöglich gar „hinzurichten“ – das ist allein der Geist, der die Pharisäer beherrscht.

Gott geht es vielmehr allein darum, die Welt vor dem „Tod durch die Schlange“, vor aller Versündigung am Leben zu retten!

Den Tod von Jesus am Kreuz setzt er hier parallel zur Befestigung einer Schlange am Holzpfahl, wovon das Buch Numeri (21,8-9) erzählt (auch „das 4. Buch des Mose“ genannt): Jetzt ist es der Blick auf ihn, der ans Kreuz geheftet wurde, der das Leben rettet!

In diesem Gespräch mit Nikodemus hat Jesus eine klare Absicht: Er will sein Verständnis von Gott und der Welt, von sich selbst und seinem Lebensweg für Nikodemus nachvollziehbar machen, damit Nikodemus diese Sichtweise mit ihm teilt und das – wie eine Neugeburt – zur Grundlage seines weiteren Lebensweges macht.

Jesus riskiert dabei, dass Nikodemus ihm einen Strick daraus macht, dass er sich als den von Gott verheißenen „Menschensohn“ erklärt. Für den Evangelisten, der diese Erzählung so überliefert, ist aber ganz klar, dass dieses Risiko Jesus in seiner Zielstrebigkeit nicht bremsen kann. Die Liebe Gottes zu den Menschen, die ihn erfüllt, ist belastbar bis zur Bereitschaft, dafür auch zu sterben.

So nutzt dieser Jesus – mit allem Geschick, das seine Liebe aufbringt – auch alles das für seine werbende Botschaft, was sein Gesprächspartner mitbringt an Bibelkenntnis, an Einfühlungsvermögen und an offener Neugierde.

Zielstrebig, belastbar und geschickt!

Drei Abschnitte aus der Bibel. Gott, der sich selbst durch eine Vergötzung von Geld und Gold nicht davon abbringen lässt, als guter „Vater“ sein Volk in eine lebenswerte Zukunft zu befreien. Wie wunderbar zielstrebig!

Jesus, Gottes Sohn, den kein Risiko davon abhält, alle seine Möglichkeiten für die Menschen einzusetzen. Wie wunderbar belastbar!

Der neue Geist, der Menschen wie Paulus dazu neu belebt, mit allem Geschick, das Gottes Liebe in ihnen aufbietet, die Anerkennung von Gottes Menschenliebe in immer mehr Menschen einzupflanzen als neue Lebenskraft für die Zukunft der Welt. Wie wunderbar geschickt!

Wunderbarer, vielfältiger, dreifaltiger Gott!

Hymnus der 1. und der 2. Vesper am Dreifaltigkeitssonntag (nach dem Antiphonale zum Stundengebet, S. 629)

Hier können Sie meinen Beitrag weiter empfehlen: