Sonntagsbotschaft zum 1. Juni 2025, dem 7. Ostersonntag im Lesejahr C.
Menschen, die es sich leisten können, mögen es oft nicht, mit vielen anderen in einem vollen Bus oder einer vollen Bahn unterwegs zu sein. Andere aber – oder sogar dieselben? – lassen sich sehr gerne zusammenquetschen im Fußballstadion oder bei Pop-Konzerten oder … – Wie kommt’s?
Zugleich beklagen die Medien gesellschaftliche Entwicklungen wie Polarisierung, Vereinzelung, Zersplitterung, weil das immer mehr Konflikte bedeutet und zunehmende Vereinsamung bringt. Manche sehen dahinter einen gesteigerten Individualismus und werfen den Einzelnen vor, Egoisten zu sein.
Vielleicht wirken da aber auch ganz andere Gründe:
Mir scheint, immer häufiger empfinden es Menschen in der heutigen Welt als verletzend, wenn sie sich auf andere angewiesen erleben. Davor will man sich schützen, indem man das Bewusstsein von Angewiesenheit vermeidet.
Eine derart beschönigend herbeigeführte vermeintliche Unabhängigkeit vernachlässigt dann natürlich beim Wahrnehmen eigener Interessen eine Berücksichtigung der Interessen der anderen, auf die man dazu angewiesen ist.
Wie elementar wichtig es für ein gelingendes Menschsein ist, in kommunikativen Beziehungen zu anderen sich aufeinander angewiesen zu erleben, das zeigt sich in Riten und Gesten, die eine Einigung unter Menschen herbeiführen und zum Ausdruck bringen: die Umarmung, der Handschlag, der moderne Like-Daumen, aus einem Gefäß miteinander trinken, aus einer Schüssel miteinander essen, …
Und vielfältig tun sich ja auch heute Menschen mit gleichen Interessen oder Bestrebungen zusammen und nennen das „Verein“, „Vereinigung“, „Union“, …
Andere tun sich punktuell zusammen, um sich auf etwas zu einigen – in einer Ver-ein-barung, … – wenn auch in unserer Zeit solche Wege zum Verfolgen gemeinsamer Ziele vielleicht immer weniger Kraft entfalten und das Erreichen eines angestrebten Ziels bewirken können.
Um den vielgestaltigen Vorgang zu bezeichnen, dass unterschiedliche Menschen sich auf eine Vereinigung hin bewegen, nutzen moderne Sprachen die lateinischen Worte „uno“ für „einer“ und „cum“, also „mit“, verbinden sie zu „com-uno“ und reden von „Kommunikation“, von miteinander „kommunizieren“. In der Kirche gibt es dazu noch die wach rüttelnde Wortwahl, die Einzelnen „com-un-izieren“ bei der „Kommunion“. Ja, eigentlich geht es da auch um das eine Brot, das sie miteinander teilen, und um den einen Kelch, aus dem sie miteinander trinken.
In unserer Zeit haben viele Menschen nicht im Blick, wie sehr sie für die Entfaltung ihrer eigenen und persönlichen Angelegenheiten angewiesen sind auf das Miteinander mit den Anderen, ja abhängig sind von vielen „Einigungen“ mit den Gemeinwesen, in denen sie leben.
In einer solchen Zeit, in der Blickrichtungen und Sichtweisen vorrangig von individuellen Interessen geprägt sind, tut es gut, sich der Frage zu stellen und sich bewusst zu machen:
Womit bin ich eins und womit nicht? Womit und mit wem will ich worin eins sein oder werden? Und wie sieht diese Einigkeit oder Einheit dann aus? Und vor allem: Wie sieht der Weg dahin aus?
„Eins sein“ – das ist nicht nur ein Gegensatz zu „uneins“ sein, zu Zwietracht. Es ist auch ein Gegensatz zum Alleingelassensein beim Wahrnehmen wichtiger Bestrebungen. „Eins sein“ meint auch das Bewusstsein zuverlässiger Zugehörigkeit.
Wenn ich mit anderen einig geworden bin, dass wir die jeweiligen persönlichen Energien, unsere Kompetenzen und die frei verfügbaren Zeitkontingente zusammenbringen wollen, dann erhöht solches „Einssein“ die Chancen und die Lebensfreude aller Beteiligten! Ebenso wenn ich mit anderen gemeinsam eine schwierige Bergtour gemeistert habe, einen Segeltörn bei schwerem Wetter oder eine belastende Solidaritätsaktion, wo wir uns gegenseitig bestärkt und unterstützt und bei Laune gehalten haben.
Ja, „in“ einer Sache, „in“ einem Ziel, in einer mir wichtigen Angelegenheit die Erfahrung machen, miteinander „eins“ zu sein, das ist wertvoll im Leben! Aufeinander angewiesen sein, ja abhängig von den Anderen – das kann zum positiven Merkmal werden: „Wir sind auf einem guten Weg!“
Mein dafür bewusster Blick und meine Wertschätzung dafür haben im Lauf meines Lebens zugenommen. Deswegen fallen mir viele alltägliche Beispiele ein, worin, „in was“ ich mit anderen Menschen eins bin – mehr oder weniger „eins“ mit ihnen:
„In“ Frankfurt lebe ich jetzt schon seit vielen Jahren, bewege mich da, halte mich da auf. Manchmal fühle ich mich dazugehörig, setze mich jedenfalls auf irgendeine Weise in Beziehung zu den anderen Menschen, die da leben, und zu dem, was da um mich herum geschieht. Und ich nutze selbstverständlich die Infrastruktur, die das Gemeinwesen bereitstellt. Dabei würde ich weder sagen, ich sei „eins“ mit Frankfurt, noch „uneins“. Aber in der Zeitung las ich dieser Tage: Menschen aus Moskau sind jetzt „in“ Berlin; sie sehen sich zunehmend uneins mit Moskau und dem Russland, das diesen Krieg führt; aber „in“ Berlin erfahren sie sich, da sie Russen sind, als dort nicht gewollt, alles andere als „eins“ mit den Menschen dort, eher als Fremdkörper.
Vor kurzem habe ich „in“ einem Projektchor mitgesungen. Da waren wir uns alle einig darin, dass wir mit unserem vielstimmigen Gesang „eins“ werden müssen in einem einheitlichen Klangkörper.
Viele Beispiele könnte man nennen.
In einem Zusammenhang von Kirche und Glaubensverkündigung zum Beispiel auch die Art der Beziehung, also des Kommunizierens zwischen einer zum Gottesdienst versammelten Gemeinde und dem Priester, der dem Gottesdienst vorsteht.
Oder wenn ich mich einsetzen möchte für eine Kirche, die mit stärkerer Überzeugungskraft den Glauben an Jesus Christus bestärkt und ausbreitet als Schlüssel für eine gute Zukunft der Menschheit. Dann stehe ich als einzelner Mensch erst mal mit ziemlich schlechten Karten da.
Im Wissen, dass ich darin auf andere angewiesen bin, die sich auch dafür einsetzen wollen, habe ich mir angewöhnt, aus den vielen dafür anstehenden und sich anbietenden Einsatzfeldern mich auf einige wenige zu fokussieren, für die ich mich mit Gleichgesinnten in meiner Umgebung eins weiß oder mit denen ich bestimmt relativ unkompliziert mich noch einigen kann.
Im Zusammenhang damit steht natürlich, dass die vielen Anliegen und Einsatzfelder mir mehr oder weniger unter den Nägeln brennen. Da muss ich dann mit mir selber eins bleiben in der Auswahl, worum ich mich – angewiesen auf andere – als erstes kümmern will.
Was würden Sie sagen, was Ihnen wichtig ist, worin Sie mit anderen Menschen „eins“ sein wollen? Was beschäftigt Sie, was Sie zusammen mit anderen bewirken wollen?
Vielleicht wollen Sie zum Beispiel mit Ihrer Arbeit in einer Firma gemeinsam mit den anderen Beschäftigten sinnvolle Produkte herstellen oder Dienstleistungen erbringen – in einer Weise, dass alle Beteiligten effektiv zusammenarbeiten und finanziell gut davon leben können.
Die Bibeltexte des 7. Sonntags der Osterzeit sehen das am Beispiel der ersten Christen so:
Bis zu seiner „Himmelfahrt“ war für alle, die sich gemeinsam an ihn hielten, Jesus selber das Zentrum ihrer Einheit untereinander. In Jesus und in ihrer Verbindung mit ihm bestand ihre Einheit miteinander. In seinem Geist und in der Botschaft vom Reich Gottes, die er verkörperte, trafen sich ihre Sehnsüchte und Interessen; alles, was ihnen wichtig war. „In“ ihm waren sie eins – mehr oder weniger; das war ja ein Prozess von Wachsen und Reifen.
Aber wie geht es jetzt weiter, wo er – nach seiner Himmelfahrt – in ihrem Miteinander nicht mehr so präsent ist wie vorher? Jetzt sehen sie sich auf sich allein gestellt! Und überhaupt – wo doch seine Gegner sich durchgesetzt und ihn ans Kreuz gebracht und damit seine ganze Tätigkeit beendet haben, – wie könnte er jetzt ihre Mitte bleiben als der, „in“ dem sie miteinander eins sind?!
Diese elementare Herausforderung hatte Jesus auf sie zukommen sehen. Am Abend vor seinem Leiden hat er versucht, sie darauf einzustellen: „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück.“ (Johannes 14,18) So sagt er. Sie sollen dieses Mahl halten und wissen, dass in dem einen Brot, das sie teilen, und in dem einen Kelch, aus dem sie miteinander trinken, er sich selber mit ihnen teilt und immer wieder gegenwärtig ist in ihrer Mitte. Er selber will ihr Miteinander sein und bleiben und immer mehr werden.
Und am Ende – so erzählt es das Johannes-Evangelium an diesem Sonntag – werden sie zu Zeugen seines Gebetes. Er lässt sie Anteil nehmen an seiner fundamentalen Einheit mit Gott, zu dem er „Vater“ sagt:
Heiliger Vater,
ich bitte nicht nur für diese hier,
sondern auch für alle,
die durch ihr Wort an mich glauben.
Alle sollen eins sein:
Wie du, Vater, in mir bist
und ich in dir bin,
sollen auch sie in uns sein,
damit die Welt glaubt,
dass du mich gesandt hast.
Menschen können offensichtlich besser anerkennen, dass Jesus von Gott gesandt ist, wenn alle an ihn Glaubenden in Einheit miteinander „in“ Jesus und dem Vater sind.
So überliefert der Evangelist für unsere Ohren das Gebetsanliegen von Jesus an den Vater. Wenn wir „in“ dem so betenden Jesus sind, wird das auch unser Herzensanliegen sein.
Und ich habe ihnen
die Herrlichkeit gegeben,
die du mir gegeben hast, –
betet er weiter –
damit sie eins sind, wie wir eins sind,
ich in ihnen und du in mir.
Die von Gott geschenkte „Herrlichkeit“, mit der die Kraft zu solchem Leben im Glauben an ihn sich stärker erweist als die Macht drohenden Todes! Dieses Bewusstsein schweisst zusammen wie Jesus mit dem Vater – zur „Wir“-Einheit in der Unterschiedenheit von „Ich“ und „Du“
So sollen sie vollendet sein in der Einheit,
damit die Welt erkennt,
dass du mich gesandt hast
und sie ebenso geliebt hast,
wie du mich geliebt hast.
… damit die Liebe,
mit der du mich geliebt hast,
in ihnen ist
und ich in ihnen bin.
(Johannes 17, 20-26)
In ihm und mit ihm eins bleiben! Das ist nicht eine fromme Floskel. Das taugt nicht zur Beruhigung dessen, der sich aus allem heraushält und diese Worte als Anspruch auf Lohn dafür nimmt.
Was Jesus da in seinem Gebet sagt, das meint die Einstellung, in der jeder Mensch die ihm eigene Mitte pflegt, in der er mit sich selbst, mit dem Leben und mit ihm wichtigen Personen eins zu sein zu erleben sucht.
Das ist wie mit den Fußball-Fans, die identifiziert sind mit ihrem Club. Oder wie mit den Wählern, die sich vom Sieg ihrer Partei die Rettung der Welt versprechen. Miteinander eins zu sein, kann da zum begeisterten Jubel werden, der alle Beteiligten auf die Beine bringt!
Diese Einstellung, diese Lebenshaltung auf IHN beziehen – darum geht es Jesus, dessen „letzten Willen“ das Evangelium des Sonntags auch unsereins ans Herz legen will.
Sein Grundanliegen ist es: Menschen sollen sich nicht stromlinienförmig an Bestrebungen anpassen, die eine Mehrheit um sie herum als optimal oder gar als alternativlos pflegt. Er möchte so sehr, dass Menschen sich in ein Miteinander integrieren, das Seinen Geist atmet und sich aus seiner Lebendigkeit speist. „Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ – wie er sagt (Johannes 10,10).
Für Interessierte füge ich hier am Ende des schriftlichen Textes noch drei Hinweise an, wie sich dieses „In und mit ihm eins sein wollen“ auswirken kann:
https://rainer-petrak.de/miteinander-eins-sein/
„miteinander eins sein“ – Sonntagsbotschaft zum 16. Mai 2021, dem 7. Ostersonntag (Lesejahr B) –
mit einer Erzählung, wie die Gemeinde seit 1989 mit konkreten Zeichen dafür bewusst auf dem Weg war, dieses Anliegen aus dem Evangelium jedenfalls schon mal in den Gottesdiensten deutlicher anzustreben.
https://rainer-petrak.de/stephanus-eins-mit-christus/
„Stephanus – ein Beispiel“ dafür, wie die Synergie des Einsseins unter Christen und mit Christus im Sinne des „hohepriesterlichen Gebets“ von Jesus in Johannes 17 (Evangelium vom 7. Ostersonntag im Lesejahr C) sich auswirken kann – eine Sicht, wie sie auch nahegelegt wird durch die Zuordnung dieser Erzählung aus der Apostelgeschichte als 1. Lesung dazu.
https://rainer-petrak.de/synergie/
„Synergie“ Sonntagsbotschaft zum 7. Ostersonntag 2022