Sonntagsbotschaft zum 29. Mai 2022, dem 7. Ostersonntag im Lesejahr C.
„Man muss die Leute beschäftigen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Wenn wir ihnen keine Zeit lassen, sich miteinander auszutauschen, dann werden sie gar nicht merken, wieviel Widerstandskraft sie eint.“
Sagt wer? Putin? Hitler? Macchiavelli? Caesar? Seit der Antike – oder schon immer? – waren sich die Mächtigen unterschiedlichster Couleur darin einig. Auf Lateinisch sagten sie „Divide et impera!“, „Teile und herrsche!“ Ja, solange du die Leute untereinander uneins halten kannst, brauchst du dir um deine Macht keine Sorgen zu machen!
Uneinigkeit pflegen und fördern, damit die Menschen sich nicht zusammentun und andere Wege entwickeln und gar um sie kämpfen? Ein Instrument gegen die Forderung nach mehr Mitbestimmung?
Wer zwei Jobs braucht, um über die Runden zu kommen, dem bleibt weder Zeit noch Energie, um zu entdecken, dass er sich mit anderen solidarisieren möchte!
Wie wichtig wäre es dann im Gegenzug, Freiräume zu schaffen und zu nutzen, um festzustellen, für welche der eigenen Bestrebungen und Sehnsüchte und Rechte und Interessen viele untereinander einig sind, und das dann mit den entsprechenden gesammelten Kräften einzubringen in die politischen und wirtschaftlichen und sozialen und alltäglichen Entscheidungsprozesse!
Aha.
Es gibt ja jede Menge Zusammenschlüsse von Menschen. Sie nennen sich „Verein“, „Vereinigung“, „Union“, …
Andere tun sich punktuell zusammen, um sich auf etwas zu einigen – in Gestalt einer Ver-ein-barung, eines Vertrags, einer Absprache, …
Auch uralte und zeitlose Riten ohne Worte machen eine Einigung unter Menschen deutlich: Umarmung, Handschlag, Blutstropfen zusammenbringen als Verbrüderung, aus einem Gefäß miteinander trinken, aus einer Schüssel miteinander essen, einen Kuchen miteinander teilen, der moderne Like-Daumen …
Um den vielgestaltigen Vorgang zu bezeichnen, dass unterschiedliche Menschen sich auf eine Vereinigung hin bewegen, nutzen die modernen Sprachen die lateinische Wurzel aus dem Wort „uno“, „einer“ und dem Wort „cum“, „mit“: „uno-cum-uno“, „mit-ein-ander“. Ohne uns der Wurzel und der darin enthaltenen sinnvollen Aussage bewusst zu werden, reden wir alltäglich von „Kommunikation“, von miteinander „kommunizieren“. In der Kirche gibt es dazu noch die wach rüttelnde Wortwahl, die Einzelnen „kommunizieren“ bei der „Kommunion“. Und eigentlich geht es da auch um das eine Brot, das sie miteinander teilen, und um den einen Kelch, aus dem sie miteinander trinken.
In unserer Zeit haben viele Menschen nicht im Blick, wie sehr sie für die Entfaltung ihrer eigenen und persönlichen Angelegenheiten angewiesen sind auf das Miteinander mit den Anderen, ja abhängig sind von vielen „Einigungen“ mit den Gemeinwesen, in denen sie leben.
In einer solchen Zeit, in der Blickrichtungen und Sichtweisen vorrangig von individuellen Interessen geprägt sind, tut es gut, sich der Frage zu stellen und sich bewusst zu machen:
Womit bin ich eins und womit nicht?
Womit und mit wem will ich worin eins sein oder werden?
Und wie sieht diese Einigkeit oder Einheit dann aus?
Und wie sieht der Weg dahin aus?
Allerdings setzt eine solche Fragestellung voraus, dass nicht äußere Zwänge und mein trotziges Gegenan-Rudern alle meine Energie und Zeit verbrauchen und dass immer noch Freiräume übrig bleiben, um mich überhaupt mit so etwas zu beschäftigen.
Wenn ja, fange ich an diesem freien Sonntag vielleicht so an:
Eins sein? Das will ich erst mal mit mir selber. Innerhalb von mir zerrissen, mit mir selber uneins sein – nein, das will ich nicht!
Eins sein möchte ich mit Freunden, mit meiner Familie – wobei es da schon Unterschiede gibt.
Dazugehören und mit anderen gemeinsam eins sein – ja, das ist mir in vielen Zusammenhängen wichtig. Und das soll verlässlich sein.
Wenn ich mit anderen einig geworden bin, dass wir unsere jeweiligen persönlichen Energien, unsere Kompetenzen und frei verfügbaren Zeitkontingente zusammenbringen wollen für ein bestimmtes, uns wichtiges Projekt, dann erhöht das meine Chancen und meine Lebensfreude – und auch die der anderen.
Ebenso wenn ich mit anderen gemeinsam eine schwierige Bergtour gemeistert habe, einen Segeltörn bei schwerem Wetter oder eine belastende Solidaritätsaktion, bei der wir uns gegenseitig bestärkt und unterstützt und bei Laune gehalten haben.
Ja, „in“ einer Sache, „in“ einem Ziel, in einer mir wichtigen Angelegenheit die Erfahrung machen, miteinander „eins“ zu sein, das ist wertvoll im Leben. Mein dafür bewusster Blick und meine Wertschätzung dafür haben im Lauf meines Lebens zugenommen. Deswegen fallen mir viele alltägliche Beispiele ein, worin, in was ich gemeinsam mit anderen Menschen eins bin – mehr oder weniger „eins“ mit ihnen:
Ich bin schon lange „in“ Frankfurt. Bewege mich da, halte mich da auf. Manchmal fühle ich mich dazugehörig, setze mich jedenfalls auf irgendeine Weise in Beziehung zu den Menschen, die mir da begegnen, und zu dem, was da um mich herum geschieht, und nutze gerne die Infrastruktur, die das Gemeinwesen bereitstellt. Dabei würde ich weder sagen, ich sei „eins“ mit Frankfurt, noch „uneins“.
In der Zeitung las ich dieser Tage: Menschen aus Moskau sind jetzt „in“ Berlin. Sie sahen sich zunehmend uneins mit Moskau und dem Russland, das diesen Krieg führt. Aber „in“ Berlin erfahren sie sich, da sie Russen sind, als dort nicht gewollt, alles andere als „eins“ mit den Menschen dort, als Fremdkörper.
In öffentlichen Medien habe ich oft Journalisten sagen hören, der Papst sei „in“ diesem oder jenem Land gewesen und habe dort „vor“ soundsoviel hunderttausend Menschen eine Messe gefeiert. „In“ der Menge mussten immer wieder Notfallsanitäter aktiv werden. Diese Sprache sagt etwas über die Wahrnehmung der Journalisten aus, in welcher Art Beziehung der Papst und die Notfallsanitäter zu den dort versammelten Menschen standen: integriert oder als Fremdkörper. Und wenn der Papst in seiner Predigt über die Rettung des Menschen aus Nöten aller Art geredet haben sollte, ist keine Frage, ob in der Wahrnehmung der Betroffenen der Papst oder die Notfallsanitäter mehr „eins“ waren mit den Beteiligten.
Ich bin „in“ einem Chor. Da sind wir uns alle einig darin, dass wir mit unserem vielstimmigen Gesang „eins“ werden müssen in einem einheitlichen Klangkörper.
Viele Beispiele könnte man nennen.
In einem Zusammenhang von Kirche und Glaubensverkündigung zum Beispiel auch die Art der Beziehung, also des Kommunizierens zwischen einer zum Gottesdienst versammelten Gemeinde und dem fremden Priester, der vertretungsweise oder auch innerhalb des rollierenden Managements einer Großgemeinde dem Gottesdienst vorsteht.
Mich integrieren? Oder Fremdkörper bleiben? Das kommt darauf an, wie sehr mir selber das zentrale Anliegen einer Gemeinschaft am Herzen liegt.
Zu diesem Thema „eins sein in …“ gehört bei mir ein weiterer Punkt: Wenn ich mich einsetzen möchte für eine Kirche, die mit stärkerer Überzeugungskraft den Glauben an Jesus Christus bestärkt und ausbreitet als Schlüssel für eine gute Zukunft der Menschheit, dann stehe ich als einzelner Mensch ja erst mal mit ziemlich schlechten Karten da. Im Wissen, dass ich da auf andere angewiesen bin, die sich auch dafür einsetzen wollen, habe ich mir angewöhnt, mich aus den „tausend“ dafür anstehenden Einsatzfeldern auf einige wenige zu fokussieren, für die ich mich mit Gleichgesinnten in meiner Umgebung einig weiß oder mit denen ich bestimmt relativ unkompliziert mich noch einigen kann.
Im Zusammenhang damit steht natürlich, dass die „tausend“ Anliegen und Einsatzfelder mir mehr oder weniger unter den Nägeln brennen. Da muss ich dann mit mir selber eins bleiben in der Auswahl, worum ich mich – angewiesen auf andere – als erstes kümmern will.
Was würden Sie sagen, was Ihnen wichtig ist, worin Sie mit anderen Menschen „eins“ sein wollen?
Die Bibeltexte des 7. Sonntags der Osterzeit sehen das am Beispiel der ersten Christen so:
Bis zu seiner „Himmelfahrt“ war für alle, die sich gemeinsam an ihn hielten, Jesus selber das Zentrum ihrer Einheit untereinander. In Jesus und in ihrer Verbindung mit ihm bestand ihre Einheit miteinander. In ihm, in seinem Geist und in der Botschaft vom Reich Gottes, die er verkörperte, trafen sich ihre Sehnsüchte und Interessen; alles, was ihnen wichtig war. „In“ ihm waren sie eins – mehr oder weniger; das war ein Prozess von Wachsen und Reifen.
Aber wie geht es jetzt weiter, wo er – nach seiner Himmelfahrt – in ihrem Miteinander nicht mehr so präsent ist wie vorher? Jetzt sehen sie sich auf sich allein gestellt! Und überhaupt – wo doch seine Gegner sich durchgesetzt und ihn ans Kreuz gebracht und damit seine ganze Tätigkeit beendet haben, wie könnte er jetzt ihre Mitte bleiben als der, in dem sie miteinander eins sind?!
Diese elementare Herausforderung hatte Jesus auf sie zukommen gesehen. Am Abend vor seinem Leiden hat er versucht, sie darauf einzustellen: „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück.“ (Joh 14,18) So sagt er. Sie sollen dieses Mahl halten und wissen, dass in dem einen Brot, das sie teilen, und in dem einen Kelch, aus dem sie miteinander trinken, er sich selber mit ihnen teilt und immer wieder gegenwärtig ist in ihrer Mitte. Er selber will ihr Miteinander sein und bleiben und immer mehr werden.
Und am Ende – so erzählt es das Johannes-Evangelium an diesem Sonntag – werden sie zu Zeugen seines Gebetes. Da lässt er sie Anteil nehmen an seiner fundamentalen Einheit mit Gott, den er „Vater“ nennt:
Heiliger Vater,
ich bitte nicht nur für diese hier,
sondern auch für alle,
die durch ihr Wort an mich glauben.
Alle
sollen eins sein:
Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin,
sollen auch sie
in uns sein,
damit die Welt
glaubt, dass du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben,
die du mir gegeben hast,
damit sie
eins sind, wie wir eins sind,
ich in ihnen und du in mir.
So sollen sie vollendet sein in der Einheit,
damit die Welt
erkennt, dass du mich gesandt hast
und sie ebenso geliebt hast,
wie du mich geliebt hast.
Vater, ich will,
dass alle, die du mir gegeben hast,
dort bei mir sind, wo ich bin.
Sie sollen meine Herrlichkeit sehen,
die du mir gegeben hast,
weil du mich schon geliebt hast
vor Grundlegung der Welt.
Gerechter Vater,
die Welt hat dich nicht erkannt,
ich aber habe dich erkannt
und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast.
Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan
und werde ihn kundtun,
damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast,
in ihnen ist
und ich in ihnen bin.
(Johannes 17, 20-26)
In ihm und mit ihm eins bleiben. Das ist nicht eine fromme Floskel. Das taugt nicht zur Beruhigung des Individuums, das sich aus allem Miteinander heraushält, aber diese Worte mit dem Anspruch auf Lohn dafür von sich behauptet. Was Jesus da in seinem Gebet sagt, das meint die Einstellung, in der jeder Mensch die ihm eigene Mitte pflegt, in der er mit sich selbst, mit dem Leben und mit ihm wichtigen Personen eins zu sein und immer mehr zu werden sucht.
Diese Einstellung, diese Lebenshaltung auf IHN beziehen – darum geht es hier. Sein Grundanliegen ist, dass Menschen sich nicht stromlinienförmig an Bestrebungen anpassen, die eine Mehrheit um sie herum als optimal oder gar alternativlos pflegt. Er möchte so sehr, dass Menschen sich in ein Miteinander integrieren, das Seinen Geist atmet und sich aus seiner Lebendigkeit speist. „Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ – wie er sagt (Joh 10,10). Das ist das Eigene, um das es hier geht. Das will immer wieder erneuert werden.
Drängt mich das in meiner Sehnsucht?
Die Synergien, die eine solche Sicht aufs Leben mobilisiert, benennt die 2. Lesung vom Fest Christi Himmelfahrt, also vom vergangenen Donnerstag. Kompakte Worte aus dem Brief an die Christen in Ephesus, der dem Apostel Paulus zugeschrieben wird, legen das in der Art eines inständigen Liebeswerbens den Mitfeiernden ans Herz:
Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn,
der Vater der Herrlichkeit,
gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung,
damit ihr ihn erkennt.
Er erleuchte die Augen eures Herzens,
damit ihr versteht,
zu welcher Hoffnung
ihr durch ihn berufen seid,
welchen Reichtum
die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt
und wie überragend groß
seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist
durch das Wirken seiner Kraft und Stärke.
(Epheser 1,17-19)
Und das für diesen 7. Ostersonntag vorgesehene Gebet des Tages erhofft eben diese Erfahrung für unsere Zeit:
Allmächtiger Gott, wir bekennen,
dass unser Erlöser bei dir in deiner Herrlichkeit ist.
Erhöre unser Rufen
und lass uns erfahren,
dass er alle Tage bis zum Ende der Welt
bei uns bleibt,
wie er uns verheißen hat.
Er, der in der Einheit des Heiligen Geistes
mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Für Interessierte füge ich hier am Ende des schriftlichen Textes noch zwei Links an, wie sich dieses „In und mit ihm eins sein wollen“ auswirken kann:
„miteinander eins sein“ – Sonntagsbotschaft zum 16. Mai 2021, dem 7. Ostersonntag (Lesejahr B) – mit einer Erzählung, wie die Gemeinde seit 1989 mit konkreten Zeichen dafür bewusst auf dem Weg war, dieses Anliegen aus dem Evangelium jedenfalls schon mal in den Gottesdiensten deutlicher anzustreben.
Stephanus – ein Beispiel dafür, wie die Synergie des Einsseins unter Christen und mit Christus im Sinne des „hohepriesterlichen Gebets“ von Jesus in Johannes 17 (Evangelium vom 7. Ostersonntag im Lesejahr C) sich auswirken kann – eine Sicht, wie sie auch nahegelegt wird durch die Zuordnung dieser Erzählung aus der Apostelgeschichte als 1. Lesung dazu.