Blogbeitrag

1999.1937 Tan-Tan

Spaß am Reich Gottes

12. Oktober 2023

Sonntagsbotschaft zum 15. Oktober 2023, dem 28. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A). 

Glauben an den Gott der Bibel – und das auch noch als das Leben prägende Kraft? Ja, bis heute entwickeln Menschen immer wieder diese Haltung. Wie sieht das dann aus – diese Vision vom Leben, die in der Bibel „das Reich Gottes“ genannt wird? Mit welchen Vorstellungen verbinden Menschen, wovon sie da träumen, wozu sie beitragen wollen, um einem erfüllten Leben näher zu kommen?

Ich räume ein: Diese Fragestellung legt bereits einseitig fest, in welcher Richtung eine Antwort zu suchen sei. So nach dem „Reich Gottes“ fragen, das vernachlässigt und verharmlost, dass es zu vielen Zeiten beim Reden vom „Reich Gottes“ weder um menschliche Sehnsucht noch um göttliche Verheißung ging. Im Vordergrund stand da vielmehr ein Endzustand, in dem Gott nach schlimmer Zeit und böser Geschichte als einzig Herrschender übrigbleibt, so dass dann sein Wille exklusiv geschieht.

Diese Vorstellung vom Reich Gottes verband die Frage nach dem Sinn des Lebens mit der Antwort „Wir sind dazu auf Erden, dass wir den Willen Gottes tun und dadurch in den Himmel kommen.“ So dokumentiert im katholischen Katechismus von 1925 und das mit nachhaltiger Wirkung.

Ein System von Befehl und Gehorsam, von Pflichtbewusstsein und moralischer Strenge wurde von vielen Generationen eher als Bedrohung gefürchtet, als dass man sich nach Gottes Herrschaft gesehnt und mit froh bebendem Herzen – die Bibel nennt das „Gottesfurcht“ – sie gesucht hätte.

Dieses Bild vom „Reich Gottes“ wurde aber nicht nur in der Neuzeit gepflegt. Vielleicht bedingt durch vergleichbare politische Verhältnisse, hatte es auch bei den Zeitgenossen von Jesus eine leidvoll niederdrückende Vorherrschaft in den religiösen Vorstellungen der Menschen übernommen.

Was denn die Bibel von Jesus überliefert, worin er seine Lebensaufgabe gesehen hat? Ich will es mal so zusammenfassen: Er wollte von solchem spirituellen Machtmissbrauch die Menschen befreien. Damit sie Gottes herrschende Kraft seiner Menschenliebe aufgreifen, genießen, nutzen und überallhin ausbreiten und möglich machen. In Wort und Tat machte er Lust auf diese ganz andere Gestalt vom Reich Gottes.

Besonders die Evangelien des Neuen Testaments bezeugen diese seine hingebungsvoll liebenden Aktivitäten. Das Wesentliche dessen, worum es Jesus geht und wofür er auch seinen Tod am Kreuz hinnimmt, das nennt er selbst im Johannes-Evangelium:

Ich bin gekommen,
damit sie das Leben haben
und es in Fülle haben.“
(Johannes 10,10)

Und als „erstes Zeichen“, mit dem er „seine Herrlichkeit offenbart“, gilt dort die Erzählung, wie er aus der Peinlichkeit des ausgegangenen Weines der Hochzeitsgesellschaft heraushilft. (Johannes 2,1-11)

Und Abschied vom Leben und von seinen Jüngern nimmt er im Rahmen eines festlichen Abendmahls (so z.B. Markus 14,15.17-25).

Sinn und Ziel seines ganzen Tuns versucht er seinen Gegnern verständlich zu machen mit Hilfe verschiedener Bilder von einem Freudenfest, das immer dann gefeiert wird, wenn Menschen, die dem Leben verloren gegangen waren, wiedergefunden werden oder zurückkehren (Lukas 15)

Und an Hand von immer wieder wechselnden Bildern aus dem Lebenshorizont der angesprochenen Menschen bemüht sich Jesus in seinen Gleichnissen, ihnen eine ganz andere Vorstellung vom Reich Gottes zu vermitteln, als es ihnen gelehrt worden war. Gottes Königsherrschaft zeichnet er im Bild eines Freudenfestes, einer Hochzeit oder eines Festmahls, an dem teilzunehmen Menschen sich bereithalten und dazu beitragen: etwa im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen oder in dem von den anvertrauten Talenten (Matthäus 25, 1-13 und 14-30).

Ein weiteres Gleichnis dieser Art ist für diesen Sonntag vorgesehen. Jesus spricht damit die Hohepriester und Schriftgelehrten an, mit denen er im Tempelvorhof von Jerusalem zusammenstößt. Aus dem Glauben an Gott hatten sie ein System von Geboten und Verboten gemacht. Da Jesus Freude am Leben und am Glauben ausbreitete und zum Beispiel sich mit verachteten Zöllnern und Dirnen an einen Tisch setzte, diffamierten sie ihn als „Fresser und Säufer“ (Matthäus 11,19).

Dieser Sicht setzt Jesus jetzt sein Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl entgegen:

Mit dem Himmelreich
ist es wie mit einem König,
der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete.
Er schickte seine Diener,
um die eingeladenen Gäste
zur Hochzeit rufen zu lassen.
Sie aber wollten nicht kommen.
Da schickte er noch einmal Diener
und trug ihnen auf:
Sagt den Eingeladenen:
Siehe, mein Mahl ist fertig,
meine Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet,
alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit!
Sie aber kümmerten sich nicht darum,
sondern der eine ging auf seinen Acker,
der andere in seinen Laden, …

Aufgaben, Arbeiten, Pflichten in Wirtschaft und Handel haben sie aus ihrem Sinnzusammenhang gelöst und verselbständigt und an die erste Stelle gesetzt. Dass das alles dem Leben dienen soll und seiner Erfüllung – diesen Maßstab, auf den sich alle Pflichterfüllung bezieht, den haben sie aus den Augen verloren. Verantwortlich sehen sie sich nur noch für die erfolgreiche Erfüllung ihrer Pflichten in Wirtschaft und Handel. Mich erinnert das an den Spruch meines Vaters, wenn ich die Erfüllung einer mir lästigen Aufgabe verschieben und erst mal Angenehmeres tun wollte: „Erst die Pflicht, dann das Vergnügen!“

(Eine Bemerkung zu den hier übergangenen Versen findet sich am Ende dieses Lese-Textes.)

An diesem Punkt setzt die andere Sicht von Jesus an: Vorrang soll die Bestrebung haben, der auch alle Pflichten, Aufgaben und Gebote zu dienen haben: Möglichst viele Menschen sollen ein erfülltes Leben genießen und miteinander teilen: Anerkennung ihrer Würde und die entsprechende Freude daran.

Die Konsequenz, die Jesus in der Fortsetzung seines Gleichnisses zieht:

Der König, der zum großen Festmahl einlädt, trägt den Dienern auf:

Geht … an die Kreuzungen der Straßen
und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein!
Die Diener gingen auf die Straßen hinaus
und holten alle zusammen, die sie trafen,
Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen. …
(Matthäus 22,1-14; alternative „Kurzfassung“ in der kirchlichen Leseordnung endet hier mit Vers 10)

Dabei kennen die Kontrahenten von Jesus ebenso gut wie er die vielen Stellen der alten Bibel, mit denen von je her Gottes Herrschaft in Bildern von Lebensfreude und von vital gefeierten Festen ausgemalt wird.

Auch für die Gottesdienste dieses Sonntags bekräftigt ein Abschnitt aus dem Jesaja-Buch diese ursprüngliche Vision vom Reich Gottes:

In einen freudlosen Tag hinein, wo Tod und Tränen an der Tagesordnung sind, da hinein verkündet er, was Gott jetzt vorhat:

An jenem Tag
wird der Herr der Heere auf diesem Berg – dem Zion –
für alle Völker ein Festmahl geben
mit den feinsten Speisen,
ein Gelage mit erlesenen Weinen,
mit den besten und feinsten Speisen,
mit besten, erlesenen Weinen.

Wie sinnenfreudig schwelgend!

Er beseitigt den Tod für immer.
Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht.
Auf der ganzen Erde
nimmt er von seinem Volk die Schande hinweg.
Ja, der Herr hat gesprochen.

Gott ist es, der so spricht. Das Volk soll das wissen und sich darauf verlassen!

Und welche Trauer, welche Tränen sind da gemeint, aus denen er rettet, um sie in ein üppiges Festmahl für alle Völker zu verwandeln?

An jenem Tag wird man sagen:
Seht, das ist unser Gott,
auf ihn haben wir unsere Hoffnung gesetzt,
er wird uns retten.
Das ist der Herr, auf ihn setzen wir unsere Hoffnung.

Nicht die Macht von „Ägypten“ oder „Assur“ rettet sie oder wie immer die Machthaber gerade heißen. Nicht die Hoffnung auf die willkürlich verteilte Großzügigkeit milliardenschwerer Oligarchen, auch nicht auf die angeblich alles heilenden Kräfte des Marktes, nein, die Hoffnung auf IHN rettet uns! Da brechen sie in Jubel aus:

Wir wollen jubeln
und uns freuen über seine rettende Tat.
Ja, die Hand des Herrn ruht auf diesem Berg.
(Jesaja 25,6-10a)

Alle sind sie eingeladen, die Menschen aus allen Völkern. Hoffentlich haben sie nichts „Besseres“ im Sinn!

Die Vision vom großen Freudenfest für alle die, die Gottes Herrschaft allen anderen Mächten und Gewalten vorziehen, diese Vision durchzieht die ganze Bibel.

Psalmen besingen und feiern, was Menschen mit Gott erleben und erhoffen:

Wie köstlich ist deine Liebe, Gott!
Menschen bergen sich im Schatten deiner Flügel.
Sie laben sich am Reichtum deines Hauses;
du tränkst sie mit dem Strom deiner Wonnen.
(Psalm 36,8-9)

Überall geht es da um Lust, um Jubel und Jauchzen, um ein wirkliches Feiern, um Musik und Tanz und Gesang. Da wird nicht nur mit künstlich aufgesetzt wirkenden Worten über ein Jubeln und Jauchzen geredet. Da sind Menschen nach dem, was sie erlebt haben, so von Freude und Vorfreude erfüllt, dass das aus ihnen herausbricht. Da reichen Worte nicht mehr, da „jauchzen“ sie:

Kommt, lasst uns jubeln vor dem HERRN,
und zujauchzen dem Fels unsres Heiles!
Lasst uns mit Lob seinem Angesicht nahen,
vor ihm jauchzen mit Liedern!
(Psalm 95,1-2)

Oder:

Lobt ihn mit dem Schall der Hörner,
lobt ihn mit Harfe und Zither!
Lobt ihn mit Pauken und Tanz,
lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel!
(Psalm 150,3-5)

Oder:

Ihr Völker alle, klatscht in die Hände;
jauchzt Gott zu mit lautem Jubel! …
Singt unserm Gott, ja singt ihm!
Denn König der ganzen Erde ist Gott.
(Psalm 47,2.7-8)

Und die Menschen wissen, warum sie jubeln und jauchzen:

Sie strahlen vor Freude
über die Wohltaten des HERRN,
über Korn, Wein und Öl,
über Lämmer und Rinder. …
Dann freut sich die Jungfrau
beim Reigentanz,
ebenso Junge und Alte zusammen.
Ich verwandle ihre Trauer in Jubel,
tröste sie
und mache sie froh nach ihrem Kummer.
(Jeremia 31,12-13)

Die vom HERRN Befreiten kehren zurück …
Ewige Freude ist auf ihren Häuptern,
Jubel und Freude stellen sich ein,
Kummer und Seufzen entfliehen.
(Jesaja 35,10)

Von „Freude“ am Leben spricht Jesus, wenn er benennt, worauf es ihm ankommt. Und natürlich meint er echte Freude – sowohl in seinen Abschiedsworten an seine Jünger als auch im Gebet für sie:

Bis jetzt habt ihr noch um nichts in meinem Namen gebeten.
Bittet und ihr werdet empfangen,
damit eure Freude vollkommen ist.
(Johannes 16,24)

Aber jetzt komme ich zu dir
und rede dies noch in der Welt,
damit sie meine Freude in Fülle in sich haben.
(Johannes 17,13)

Auch die Apostelgeschichte erzählt so von der ersten Christengemeinde in Jerusalem:

Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel,
brachen in ihren Häusern
das Brot
und hielten miteinander Mahl
in Freude und Lauterkeit des Herzens.
(Apostelgeschichte 2,46)

Kirchenlieder der Neuzeit haben das vielfältig aufgegriffen. Nicht nur Luther und Bach haben wir da viele gute Anregungen zu verdanken. Aber häufig blieb die Freude im Hals stecken und verkümmerte zum ehrfürchtig feierlich vorgetragenen oder anstrengend langsam-leisen Gemeindegesang – weniger im Sinne eines Zeichens geteilter Hoffnung und Freude. Aufbrüche in der Weise, wie Jesus sie in Gang gesetzt hat und wie es auch die katholische Liturgiereform nach dem 2. Vatikanischen Konzil meinte, konnten sich nicht durchsetzen.

Wirkliche Freude trauen viele der Bibel halt nicht zu. Der gestrenge Gott, wie er in der Tradition immer wieder dargestellt wurde, ist so sehr zum „Spaßverderber“ schlechthin geworden, dass immer weniger Menschen sich für ihn interessieren. Als „hedonistisch“ abqualifiziert gilt eine Lebensweise, die, weil sie sich an Gottes liebevoll werbendem Wort orientiert, das große Fest sucht.

Die damit verbundene motivierende Energie bleibt brach liegen, wenn Menschen sich nur noch unter Wahrung professionell-sachlicher Distanz belehrt erfahren. Glaubwürdigkeit, die anstecken könnte, bleibt auf der Strecke.

Es braucht eine ansteckende große Freude am Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, in der alle Menschen ihre Freude am Leben genießen können. Auf dieser Seite steht die Bibel mit ihrer „lustvollen Verlockung zu einem erfüllten Leben“.

Unser Leben sei ein Fest,
Jesu Geist in unserer Mitte,
Jesu Werk in unseren Händen,
Jesu Geist in unseren Werken.
Unser Leben sei ein Fest
an diesem Morgen und jeden Tag.

Text: Alois Albrecht (1972),
Melodie: Peter Janssens (1972),
Chorsätze: Rainer Petrak,
Gesang: St. Andreas-Gemeinde Wiesbaden (1974)

 

Bemerkung zu den hier übergangenen Versen des vorgesehenen Evangeliums-Abschnitts:

Hier im Matthäus-Evangelium weicht die Fortsetzung ab von der parallelen Erzählung im Lukas-Evangelium (Lukas 14). In den Versen 6 bis 7, in 11 bis 13 und in 14 sind drei Motive eingefügt, die, am üblichen Baumuster eines Gleichnisses gemessen, unpassend wirken. Möglicherweise sind sie im Prozess der Überlieferung, bevor die Endversion des Textes (wahrscheinlich um 80 n.Chr.) vorlag, eingefügt worden. Sie entsprechen in ihrer Form eher dem Baumuster einer allegorischen Erzählung und verfolgen wohl zusätzliche Aussage-Absichten:

  • Der Konflikt mit Gewalt und Krieg – sozusagen zwischen Vorspeise und Hauptgericht – (in den Versen 6 bis 7) mag das Schicksal der alttestamentlichen Propheten im Blick haben, vor allem aber das Schicksal von Jesus und den ersten verfolgten Christen und sozusagen als Trostbotschaft dazu die Eroberung Jerusalems durch Titus im Jahr 70 n.Chr.
  • Anscheinend um eine Variante der (innerlichen) „Verweigerung“ zu ergänzen
    11 Als der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen, bemerkte er unter ihnen einen Menschen, der kein Hochzeitsgewand anhatte.
    12 Er sagte zu ihm: Freund, wie bist du hier ohne Hochzeitsgewand hereingekommen? Der aber blieb stumm.
    Problem: Mit der Wahl seiner Kleidung zeigt er seine innere Einstellung, mit der er da hingeht: Nichts Besonderes. Die Gelegenheit „mitnehmen“? anstandshalber? Jedenfalls nicht in der Freude auf ein großes Fest.
    13 Da befahl der König seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.
  • 14 Denn viele sind gerufen, wenige aber auserwählt.

 

Die „Sonntagsbotschaft“ zum 28. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) aus dem Jahr 2020:

https://rainer-petrak.de/fest-leben-contra-markt-krieg/

 

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