Als 4- oder 5-jähriges Kind genoss ich immer wieder dieses Erlebnis beim Spazierengehen mit meiner Mutter. Ein leicht ansteigender Schotterweg führte hinter einem Bahnübergang an einer höher gelegenen ebenen Wiesenfläche entlang, bis er mit der Wiese auf gleicher Höhe war. Dort, wo ich mit einem großen Schritt vom Weg aus auf die Wiese „hinauf“ gehen konnte, fing ich an. Ich „sprang“ hinunter auf den Weg. Danach ging ich ein Stück weiter, wo der Höhenunterschied größer war, und sprang wieder von der Wiese auf den Weg. Ein nächster Sprung folgte, wo der Höhenunterschied noch größer war. Und so weiter. Bis an den Punkt, an dem ich Angst bekam zu springen. Da streckte dann meine Mutter mir die Hände entgegen. Dann sprang ich von noch weiter oben. Ich wurde von meiner Mutter aufgefangen.
Es war für mich ein erregendes Abenteuer, das ich auf unseren Spaziergängen an dieser Stelle immer wieder suchte und herbei führte: den Sprung wagen und aufgefangen werden.
Als Erwachsener habe ich mich oft daran erinnert, aber niemand sonst war da, der davon gewusst hätte. Meine Mutter war schon bald danach gestorben. Ich hatte immer ein klares Bild von der Stelle auf diesem Weg, musste aber natürlich davon ausgehen, dass das eine unzuverlässige Kinder-Fantasie war. Um so mehr war ich verblüfft, als ich 40 Jahre später zum ersten Mal wieder dort war, dass ich die Stelle genau so vorfand, wie ich sie immer vor meinem inneren Auge hatte.
Mir war klar geworden: Da hatte Gott mich schon mal üben lassen. – In undramatischen Situationen schon mal üben können, – das macht die Augenblicke, in denen man ernsthaft-dramatisch fällt, weniger schlimm. Im Lauf der Zeit erkannte ich dann im Rückblick auf meinen bisherigen Lebensweg weitere Situationen, in denen Gott mich üben ließ:
Als frisch gebackener Messdiener, 10 oder 11 Jahre alt, kniete ich mit fromm gefalteten Händen an der Altarstufe. Weihrauch ging mir in die Nase und verursachte mir Übelkeit. Mir wurde schummerig. Ich wusste, jetzt kam es nur darauf an, mich schön gerade zu halten. Sehr bald merkte ich, dass ich die Herrschaft über mich verlor. Aber das machte mir keine Angst. Ich vertraute mich „der Situation“ an. Hier konnte mir ja nichts passieren. Schließlich begann ich, zur linken Seite langsam umzukippen. Ich ließ es geschehen. Und genau in diesem Augenblick fassten zwei Arme von hinten unter meine Achseln. Frau Erb hatte aus der Bank gesehen, wie es mir ging. Sie fing mich auf, nahm mich auf ihre Arme und trug mich raus an die frische Luft. Auf einem Stuhl sitzend, ich auf ihrem Schoß, tätschelte sie mich, bis es mir wieder gut ging.
Mit 17 wurde es dann für mich zum ersten Mal „Ernst“. Erster Liebeskummer. Was tat ich? Ich bin Wochen lang allein durch die Alpen gewandert. Viel gebetet habe ich und Tagebuch geschrieben. Gott ging mit mir. Er fing mich auf.
In viel späteren Jahren – als es in meinem Leben wiederholt ernsthaft-dramatische Situationen gab, war es dann nicht mehr ganz so schlimm für mich, zu fallen und mich auffangen zu lassen. Die Gewissheit, wenn ich falle, aufgefangen zu werden, wird mir inzwischen durch viele Erfahrungen in meiner Lebensgeschichte bestärkt.
(Aus dem Buch „Den Retter-Gott ranlassen. Damit Ostern wird“ Kapitel 9 „Ja, ihn lass ich mir gern gefallen“)