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Hartnäckiger Widerspruch für Asylsuchende

Die kurdische Familie K. war 1980 wegen des Bürgerkriegs aus der Osttürkei in die Bundesrepublik geflohen. 1995 war ein Arbeitskreis unserer Kirchengemeinde mit ihr in Kontakt gekommen. Sie hatten schon einige Flucht-Stationen hinter sich: Asylantrag, Ablehnung, Weiterwanderung in die Schweiz, dort Antrag auf Asyl und wieder Ablehnung, Rückkehr nach Deutschland, Asylfolgeantrag.

Für immer mehr Menschen in der Gemeinde war die Entscheidung der Familie K., nicht mehr in der Türkei leben zu wollen, nachvollziehbar. Als das Risiko der nicht mehr abwendbaren Abschiebung immer brisanter wurde, haben wir zwei Petitionen an den Hessischen Landtag eingereicht, auch sie vergeblich. Daraufhin begannen wir, Überlegungen in Richtung Kirchenasyl anzustellen.

Nach einem breit angelegten Prozess der Meinungsbildung beschloss der Pfarrgemeinderat (PGR): „Unsere Pfarrgemeinde gewährt ‚im gegebenen Fall‘ Kirchenasyl. Der PGR ruft die Gemeindemitglieder auf, dieses Anliegen solidarisch mitzutragen.“ Es war klar: Der „gegebene Fall“ für Kirchenasyl würde nur festgestellt werden, wenn eine Aussicht auf Erfolg bestünde. Im Fall der Familie K. wäre das die Asylgewährung gewesen oder eine humanitär begründete Ausnahmeentscheidung oder eine freiwillige Ausreise in ein demokratisches Land.

Personelle Vorbereitungen wurden getroffen, räumliche und finanzielle Rahmenbedingungen geklärt. Ein Helferkreis von über 30 Personen für die Präsenz rund um die Uhr stand bereit – einschließlich Arzt, Zahnarzt und Rechtsanwalt. Die gerichtliche Klärung, ob das Herkunftsgebiet der Familie K. in der Türkei damals zum Bürgerkriegsgebiet gehörte oder nicht, fiel – auf Grund fragwürdiger Recherchen des Auswärtigen Amtes – für Familie K. ungünstig aus. Die Idee einer Weiterwanderung nach Holland oder Frankreich für einen dortigen Asylantrag musste verworfen werden. Wenn überhaupt, dann hätte es für sie nur in Kanada und Australien Chancen gegeben, aufgenommen zu werden – allerdings unter Auflagen, die sie nicht erfüllen konnten.

Schließlich blieben alle Bemühungen ohne Erfolg, alle Rechtsmittel waren ausgeschöpft. Änderungen in den rechtlichen Regelungen zeichneten sich nicht ab, auch ein Kirchenasyl erschien sinnlos. Wir schickten einen Hilferuf an die Frankfurter Oberbürgermeisterin – ohne juristische Argumente, lediglich im Wissen, dass eine Abschiebung unmenschlich wäre: „… die leidvolle Situation der kurdischen Familie K. … Auf ihrem Pendelweg zwischen Deutschland und der Schweiz haben sie das Pech, gerade 5 Wochen nach dem heute als Stichtag geltenden Tag für ‚Altfälle‘ zum letzten Mal nach Deutschland eingereist zu sein,  … Nun haben wir die vage und leise Hoffnung, … auf eine humanitäre Einschätzung durch Sie zu treffen, die Sie vielleicht dazu bewegen könnte, in irgendeiner Weise zu intervenieren – mit dem Ergebnis, dass die Familie K. nicht abgeschoben wird. …“

Was wir erreichten: Stadtrat Udo Corts (CDU), zuständiger Ordnungs-Dezernent im Magistrat, bat das Hessische Innenministerium um eine „Rücknahme der Anweisung an die Stadt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen“, da es eine unzumutbare Härte sei, die Familie in die Türkei abzuschieben.

Die Bitte wurde vom SPD-geführten Landesministerium abgelehnt. Die daraufhin verfügte Ausweisung wurde – im letzten Moment – unwirksam auf Grund eines ärztlichen Gutachtens über Suizidgefahr von Frau K. im Fall der Abschiebung. Und da sie kurz vor Ablauf der nächsten Ausreisefrist schwanger und reiseunfähig wurde, ergab sich ein weiterer Aufschub.

Anfang Oktober 1999 erfuhren wir von der Absicht der Ausländerbehörde, Herrn K. und Tochter D.  abzuschieben; eine Abschiebung der Ehefrau und der 3-monatigen Tochter S. war zunächst nicht vorgesehen. Abgesehen davon, dass wir in der Kirchengemeinde in einem solchen Auseinanderreißen der Familie einen eklatanten Verstoß gegen die grundgesetzlich verbürgten Menschenrechte sahen, bestand im Fall der Abschiebung des Ehemanns und der 6-jährigen Tochter für Frau K. offenkundig wiederum akute Suizid-Gefahr. Die Sozialhilfe für Herrn K. und Tochter D. wurde gestrichen, ihr Wohnrecht in der Unterkunft für Asylsuchende erlosch. Unmittelbar bevorstehende Abschiebung des Ehemanns und der 6-jährigen Tochter war zu befürchten.

Wir wandten wir uns an Udo Corts, inzwischen – nach Landtagswahl und Regierungsübernahme durch die CDU – Staatssekretär im Hessischen Innenministerium: Wir erinnerten ihn an seine seinerzeitige Einschätzung und Intervention als Frankfurter Dezernent beim Innenministerium und machten zusätzlich die zwischenzeitliche Geburt des 2. Kindes und die nun gegebene Suizidgefährdung von Frau K. im Fall der Abschiebung von Ehemann und erstem Kind geltend. Wir baten ihn, die Frankfurter Ausländerbehörde zu veranlassen, einem Verbleib zuzustimmen.

Die Antwort: Die Duldung für Familie K. wurde verlängert und anschließend gab es die Aufenthaltsbefugnis, Arbeitserlaubnis folgte unmittelbar. Für den 1.12.2000 fand sich eine  Mietwohnung. Ein Dutzend Mitglieder unserer Gemeinde richtete die Wohnung her und trugen Möbel, Geschirr usw. zusammen. Neues Leben fing an, Zukunft tat sich auf.

Das inhumane Handeln des Staates hatten wir nicht einfach hingenommen, sondern hatten den Mund aufgemacht und widersprochen – bestärkt durch das Evangelium und Gottes Heiligen Geist, der uns in der Gemeinschaft der Kirche zum Handeln gedrängt hatte. Was für eine Freude, dass wir zu Gunsten von konkreten Menschen hatten dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit dienen können!

(Aus dem Buch „Den Retter-Gott ranlassen. Damit Kirche wirklich Kirche ist“ Kapitel13 „Widerspruch im Geist des Evangeliums“)

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