„Helfen Sie mir! Ich muss da raus!“ So sprach sie mich nach dem Gottesdienst vor der Kirche an. Ostermontag 1994. Bernadette, 23 Jahre, hatten ihre Eltern 10 Jahre zuvor wegen des Bürgerkriegs aus Uganda mit dem Flugzeug nach Deutschland geschickt. In Frankfurt war sie bei einer Familie von Bekannten aus Uganda untergekommen, die sie gut gebrauchen konnten. Jeder Kontakt zu ihrer Familie und überhaupt nach Uganda riss ab. Sie blieb illegal. – Jetzt musste ein Ende damit sein!
Bereits wenige Tage nach ihrem Hilferuf erklärte sich Familie G., in der Kirchengemeinde aktiv, bereit, Bernadette aufzunehmen. Vorübergehend natürlich, bis ihre Situation und ihre Möglichkeiten geklärt wären. Daraus wurden 18 Monate, in denen Familie G. für Bernadette die schützende, begleitende und fördernde Pflegefamilie war.
Es war eine intensive Zeit, erschwert durch ihren rechtlichen Status der Illegalität mit der permanenten Bedrohung: Wenn ich in eine zufällige Polizeikontrolle komme, werde ich abgeschoben in eine fremde Welt. Trotzdem absolvierte sie einen Deutsch-Sprachkurs und einen schulischen Eingliederungslehrgang in die Berufs- und Arbeitswelt bis hin zum Hauptschul-Abschluss 1995. Vielfältige Beratungen liefen an. Empfehlende Stellungnahmen wurden eingeholt. Hürdenlauf durch die Behörden bis hin schließlich zur offiziellen Duldung. In der Zielgerade mit der Hoffnung auf Arbeit hieß es: „Oh, da machen Sie sich mal nicht zu viele Hoffnungen; da müssen wir erst den Arbeitsmarkt prüfen, und das dauert Wochen!“ Doch wenige Tage danach hielt sie die Arbeitserlaubnis in Händen. Bald bezog Bernadette ihre eigene Wohnung. Damit war sie in der hiesigen „Erwachsenen-Normalität“ angekommen.
Ein Hürdenlauf, in dem viele Hürden zu nehmen waren, war erfolgreich beendet. Wann kann man das schon mal in der Kirche sagen: erfolgreich! Aber die Gewissheit, dass alle diese (Damen und) Herren auf den verschiedensten Behörden, die immer erst gesagt hatten „völlig unmöglich“, dass nicht sie die Herren der Welt sind, sondern dass ein anderer der Herr ist, der – wie ein Psalm (Psalm 146,6-10) wunderschön besingt – „die Niedergedrückten aufrichtet, die Schwachen stärkt, die Fremden beschützt, …“ – im Wissen darum, dass er der Herr ist, lag die Kraft, den mühsamen und aufwendigen Hürdenlauf zu gehen; anderthalb Jahre hat er gedauert.
Hochzeit und Einbürgerung sind inzwischen Vergangenheit auf einem glücklich gewendeten Lebensweg mit vielen Angstsituationen, aber auch mit vielen Freudenfesten. Die teils naive, teils schlicht beharrliche Gewissheit war Pate auf diesem Weg: Gott rettet! Wir konnten und durften ihm dienen. Ja, viele aus der Gemeinde haben geholfen – viele dadurch dass sie Rückenstärkung gaben, und einige haben sehr engagiert geholfen. Nicht nur aus der Gemeinde. Auch der Bischof. Menschen im Hessischen Innenministerium und im Frauenministerium. Ein Rechtsanwalt hat geholfen. Ein Arzt aus unserm Stadtteil. … Das ist ja die Stärke einer Christengemeinde, dass gar nicht die schwachen Einzelnen diejenigen sein müssen, die tolle Sachen machen. Nein, wir gemeinsam können Christus verkörpern, und er ist es, der Gottes große Taten tut.
Und in dem Maß, wie Menschen in unserm Land sich an Christus halten, in demselben Maß wird er seine großen Taten weiter und immer weiter tun und wir werden wachsende Freude daran haben. Da wird er sich zeigen als der, der wirklich Brot ist, von dem man leben kann und dass er wirklich der Wein ist: das Getränk der Freude, mit dem man erst so richtig zur Lebensfreude kommt.
(Aus dem Buch „Den Retter-Gott ranlassen. Damit Kirche wirklich Kirche ist“ Kapitel12 „Die Niedergedrückten atmen auf“)