Die Erzählung um den Mann, der schon den vierten Tag im Grab lag. Die war heute wieder das Evangelium vom Sonntag. Am 5. Sonntag auf dem Weg zum Osterfest (10. April 2011).
Seltsam: Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich bei dieser Geschichte (Johannes-Evangelium, Kapitel 11) früher immer auf das „Wunder“ der „Auferweckung des Lazarus“, wie sie ja auch üblicherweise benannt wird. Aber irgendwann spät in meinem Leben habe ich zum ersten Mal auf die Worte geachtet, mit denen Jesus da zum Vater betet, und auf den Zusammenhang, in dem seine Gebetsworte stehen. Da gingen mir die Augen auf:
„Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast“, ruft Jesus freudig aus. Warum? Was ist denn geschehen, was bei ihm solche Dankbarkeit auslöst?
Sie nahmen, nachdem er sie dazu aufgefordert hatte, tatsächlich den Stein weg!!! Der Mann war immerhin schon am Verwesen; das kann man doch nicht machen! Sie tun es trotzdem. Das ist wahrhaftig ein verrücktes Wunder. Da kann Jesus nur – auf die Knie fallen? – und dem Vater danken!
Und danach (!) kann er mit lauter Stimme rufen: „Lazarus, komm ’raus!“
Am Ende heißt es dann: „Viele …, die … gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.“ (in Vers 45) Was hatte er denn „getan“? Die Verben, die seine „Tätigkeiten“ in dieser Erzählung angeben:
… fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. (17) Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. (23) Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. … Glaubst du das? (25-26) Als Jesus sah, wie sie weinte … (33) Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? … (34) Da weinte Jesus. (35) … er ging zum Grab. … (38) Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! … (39) Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? (40) Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, … (41) … rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! (43) Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! (44)
Ja, da sind Menschen, die ihm begegnen, die ihn hören und sich auf ihn einlassen! Und da kann er handeln! Das ist das Wunder, das Zeichen! So gesehen, bekommt auch der „Weg der heiligen vierzig Tage“ vom Aschermittwoch bis zum Osterfest deutliche Konturen, die durch die Evangeliums-Abschnitte der 5 „Fastensonntage“ markiert sind:
Menschen, die Bilanz ziehen über die vielen Einflüsse, die ihr Leben und ihr Verhalten prägen wollen, um dann entschieden zu wissen, was sie wollen und was nicht (1. Sonntag) –
Menschen, die – so entschieden – auf Gott hören, so dass sich ihnen die Schwierigkeiten des Weges mit Jesus zu gerne anzunehmenden Herausforderungen klären (2. Sonntag) –
Menschen, die Jesus frohen Herzens als den Retter der Welt identifizieren und sein Evangelium als das Wasser des Lebens in sich aufsaugen und dann davon überlaufen (3. Sonntag) –
Menschen, denen so die Augen aufgehen für das Herrliche, das dieser Weg aufschließt (4. Sonntag) –
diese Menschen werden dann einfach in ihrem Miteinander zu dem Instrument, durch das Gott die Steine von allen Gräbern wegnimmt, hinter denen die Menschen eingemauert sind, und zu dem Ort, an dem das geschieht (5. Sonntag) –
Menschen, denen das klar geworden ist und die dafür entschieden sind und sich dessen in der „Österlichen Bußzeit“ neu vergewissert haben, wollen, können und müssen dann natürlich ein großes Fest feiern: Ostern!
Die Zuordnung der Prophetenworte aus Ezechiel als erste Bibel-Lesung zu dieser Erzählung aus dem Evangelium macht deutlich: Die Kirche möchte dieses Verständnis aufgreifen und betonen: Jesus ist der, der alles wahr macht, was Gott schon immer versprochen hatte. Da hatte es Jahrhunderte vorher geheißen:
„So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch … aus euren Gräbern herauf. … Ich hauche euch meinen Geist ein, dann werdet ihr lebendig und ich bringe euch wieder in euer Land. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der Herr bin. Ich habe gesprochen und ich führe es aus – Spruch des Herrn.“ (aus Ezechiel 37,12-14)
Und genau das fängt jetzt Jesus an!
Wo Menschen sich vertrauensvoll auf ihn einlassen, holt er aus allen Gräbern und bringt ins „verheißene Land“, in die gute Zukunft erfüllten Lebens. Es lohnt sich, ihm zu vertrauen und auf ihn zu hören (statt sich von allen möglichen Einflüssen dahin und dorthin leiten zu lassen) und entschieden als sein „Volk“ in die Zukunft zu schauen und den entsprechenden Weg zu gehen: Dann wird das, was mit „Ostern“ gemeint ist: Dann liegen auch die Lazarusse unserer Tage nicht mehr im Grab!