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Heute auf dem Weg – eine Fastenpredigt

… (26.3.2011) gab es deutschlandweit 4 Groß-Demonstrationen für einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. Für morgen sind viele Bundesbürger zur Wahl eines neuen Landtags aufgerufen. Und wir in Hessen wählen kommunale Gremien neu und stimmen ab über die Verfassungsänderung zu einer Schuldenbremse im Landeshaushalt.

In den Kirchengemeinden sind überall strukturelle Umwälzungen angesagt. Viele Menschen sehen sich zu den verschiedensten Befürchtungen provoziert. Und Kirche hat in der letzten Zeit viel an Vertrauen verloren. Wer sich in der Kirche engagiert, kann dabei ganz schön ins Rotieren geraten.

Und wir alle – jede und jeder von uns – sehen uns in Lebenssituationen, die auf sehr unterschiedliche Weise persönlich geprägt sind. Eines der erschreckenden, aber verbreiteten Beispiele las ich in einem Artikel der „Frankfurter Rundschau“ vom 23. März mit dem Titel: „Die Angst vorm Scheitern“ und dem Untertitel „Wenn Leistungsdruck und Konkurrenzkampf das Leben von Jugendlichen bestimmen“. Oder: ein Verwandter von mir, Parkinson-krank, schrieb mir dieser Tage, es gehe ihm „mittel- bis saumäßig“.

Das alles – und noch viel mehr – steht im Raum und darf auf den Tisch gelegt werden, wenn es um Gott geht und um seine Anwesenheit unter uns Menschen.

Und in diesen Wochen vor Ostern gibt es mehr Menschen als sonst, die gerne wissen möchten, wie Gott zu den realen Lebenssituationen der heutigen Zeit steht und was der Glaube der Bibel dazu sagt, was man als heutiger Christ zu glauben sich trauen und verantworten kann.

Wenn man Glück hat, stößt man dabei auf Teile der Bibel, die ganz Großartiges in Aussicht stellen, worauf man dann erst mal nur mit Protest reagieren kann.

Nehmen wir zum Beispiel das 35. Kapitel des Jesaja-Buches. In der deutschen Einheitsübersetzung hat er die Überschrift „Die Verheißung des messianischen Heils“. Gott verspricht: Wenn der kommt, den ihr als den Gesalbten, den Messias, den Christus erkennt – und wenn ihr ihn dann als solchen anerkennt und aufnehmt, also an eure Situationen ranlasst, dann … Und am Ende dieses „dann …“ ist das, was ER „bringt“, zusammengefasst mit: „Wonne und Freude stellen sich ein, Kummer und Seufzen entfliehen.“ Aha! Das macht neugierig: Was geschieht denn da mit den Situationen, die uns belasten; mit den Menschen, wie immer es ihnen geht? Was geschieht denn, wo der „Christus“ rangelassen wird?

Schauen wir uns erst mal die damalige Situation an aus der Zeit des Jesaja, etwa um 700 vor Christus.

„Um Gottes willen, die alten Geschichten! Wir brauchen Lösungen für unsere heutigen Probleme! …“ Vielleicht klingt so Ihr erster Protest. Aber es lohnt sich durchaus, aufgeschlossen zu sein für die „Uralt“-Botschaft, gerade bei diesem Abschnitt, weil sie in den wesentlichen Punkten unserer aktuellen Situation so dicht entspricht:

Das Volk ist religiös ziemlich am Ende; die religiösen Strukturen bringen nicht mehr weiter. Die Politik rudert zerstritten – und lähmt sich selbst. Die Menschen werden ausgenutzt und geschröpft; sie haben zu leiden.

Worum es bei Jesaja geht, ist typisch, sozusagen modellhaft auch für unsere heutige Problemsituation – die politische wie die kirchliche – und für das persönliche Leid bei uns. Also was sagt der Text, was in solcher Situation dann geschieht, wenn Gottes Messias kommt und rangelassen wird?

Das 35. Jesaja-Kapitel beschreibt das auf 3 Ebenen. Eine erste Ebene ist das Bild der Verwandlung einer Landschaft:

Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen,
die Steppe soll jubeln und blühen.
Sie soll prächtig blühen wie eine Lilie,
jubeln soll sie, jubeln und jauchzen.
Die Herrlichkeit des Libanon wird ihr geschenkt,
die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon. …
In der Wüste brechen Quellen hervor
und Bäche fließen in der Steppe.
Der glühende Sand wird zum Teich
und das durstige Land zu sprudelnden Quellen. …

Eine zweite Ebene benutzt auch Bilder; es wird gemalt, wie es dann den Menschen gehen wird:

Dann werden die Augen der Blinden geöffnet,
auch die Ohren der Tauben sind wieder offen.
Dann springt der Lahme wie ein Hirsch,
die Zunge des Stummen jauchzt auf.
Eine Straße wird es dort geben;
man nennt sie den Heiligen Weg. …
Er gehört dem, der auf ihm geht.
Unerfahrene gehen nicht mehr in die Irre.
Die dort gehen, sind Erlöste.
… Ewige Freude ruht auf ihren Häuptern.
Wonne und Freude stellen sich ein,
Kummer und Seufzen entfliehen.

Und mitten in diesem Zusammenhang ist auf einer dritten Ebene von Gott die Rede, der das alles herbeiführen wird, wenn sein „Gesalbter“ zum Handeln kommt und rangelassen wird. Da heißt es:

Man wird die Herrlichkeit des Herrn sehen,
die Pracht unseres Gottes.
Macht die erschlafften Hände wieder stark
und die wankenden Knie wieder fest!
Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht!
Seht, hier ist euer Gott!
Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung;
er selbst wird kommen und euch erretten.

Wunderbar! – Oh – Sie stören sich an „Gottes Rache“ und an seiner „Vergeltung“? – Andererseits wissen Sie aber aus eigener Erfahrung: Wenn Menschen schwer bedrängt sind und Menschen diese Bedrängnis verursacht haben, dann sehnen sich die Bedrängten nicht nur nach eigener rettender Entlastung, sondern auch nach Bestrafung der Schuldigen! Gott macht da den Bedrängten wegen ihrer aggressiven Emotionen keine Vorwürfe, sondern – ohne das hier zum Thema zu machen – er fühlt solidarisch mit ihnen mit und bezieht Position zu ihren Gunsten: „Er selbst wird kommen und euch erretten!“ Da können die Menschen im Leid sich darauf verlassen: „Man wird die Herrlichkeit des Herrn sehen, die Pracht unseres Gottes!“ Herrlich!

Der Evangelist Johannes wird dann in seinem Prolog (in dem Text aus Johannes 1, der jedes Jahr an Weihnachten verkündet wird) zwar bedauern: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Doch er fügt an: „Die aber, die ihn aufnahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ Und dann schwärmt er ebenso von den Erfahrungen, die dann die Menschen mit Gottes Herrlichkeit machen werden, wie es auch Jesaja im Kapitel 35 macht.

Menschen, die sich Seinem Kommen und solcher Begegnung mit IHM in ihrer Mitte anvertrauen, können dann nur noch jubelnd einander zurufen: „Seht, da ist unser Gott!“ Also: „Macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest! Habt Mut, fürchtet euch nicht!“

Solche überschwängliche Freude gibt es eben nicht nur, wenn die Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister geworden ist und alles sich in den Armen liegt und laut singt „We are the champions!“ Nein, die Bedrängten und Belasteten und Leidenden aller Art machen eine vergleichbare, ja alles umfassende Erfahrung, wenn Christus kommt und in unsere Situationen hinein wirken kann, wenn er die prägende Kraft, eben der Herr sein darf. In unseren Situationen aller Art: kirchlich, politisch, persönlich, …

Vielleicht finden Sie das übertrieben und trauen so etwas Gott nicht zu. Es gibt ja auch viele Gründe, die dagegen sprechen. Streichen wir dann einfach diese Glaubensbotschaft aus der Bibel? – Bleiben wir auf dem Teppich! Und halten wir zugleich Ausschau danach, wie Gott diese Verheißung bei uns wahr machen will.

Dafür sollten wir erst einmal schauen, wo wir selber stehen. Und dann das Ziel in den Blick nehmen und – Schritt für Schritt – uns auf den Weg machen! Nur so können wir Kirche sein. Daran hat das 2. Vatikanische Konzil uns neu erinnert: Kirche – das ist „Gottes Volk auf dem Weg durch diese Zeit.“

Also – dieses Großartige, Herrliche, das Gott uns in dem Jesaja-Text verspricht – und zwar mit Vorliebe den Menschen verspricht, die schwere Lasten zu tragen haben – gelingt es Ihnen, sich mit Ihrem Leben und Ihrer Situation ganz darauf einzulassen?

Sie merken ja, wie Sie auf dieses Ansinnen innerlich reagieren. Unterschiedliches geht da in Ihnen vor: Skepsis, Neugierde, Ablehnung, Aufhorchen, … Und Sie haben Ihre guten Gründe für Ihre jeweilige Reaktion. Da gibt es schließlich so viele verschiedene Kräfte, die auf die Ausprägung meiner Reaktion einwirken: Einflüsse aus dem kirchlichen Mainstream, andere aus den Medien, aus Einfluss, Erziehung, Kultur, … die eigenen Lebenserfahrungen, Meinungen von Freunden und Kollegen, … Leistungsdruck und Konkurrenzkampf … die Beschwernisse einer Krankheit … Jede Menge Einflüsse, die auf uns einwirken wollen.

Jesus ging es genauso: Da waren Einflüsse, die ihn davon abhalten wollten, sich unter Einsatz seines Lebens für die Menschen einzusetzen – der Macht der Mächtigen entgegen: Seine Angehörigen wollten ihn für verrückt erklären! (vgl. Markus 3,21) Und Petrus stellte sich ihm entgegen: Um Gottes willen, du wirst doch nicht nach Jerusalem gehen, wo sie dich umbringen wollen! (vgl. Markus 8,33) … Einflüsse, die ihn von dem abbringen wollten, was doch sein Lebensweg war, sein Selbstverständnis, seine Lebenserfüllung!

Solche Einflüsse können zu starken Versuchungen werden. Und Jesus kannte das eben auch. Er wich dieser und anderen Versuchungen nicht aus, sondern nahm sich Zeit – in der Wüste – (vgl. Matthäus 4,1-11), sich ihrer bewusst zu werden, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, seine Orientierung im Vater und im Wort der Bibel neu zu verwurzeln und dann – wissend warum – sich klar zu entscheiden – und alle entgegengesetzten Einflüsse von sich zu weisen, von seinem Innersten fern zu halten.

Das wollte uns am 1. Fastensonntag zum Evangelium werden: zur Ermutigung für alle, denen die Knie schlottern, wenn sie eigentlich ihren Glauben an Christus leben und bezeugen wollen, sich dann aber mit entgegengesetzten, entfremdenden Einflüssen und Kräften konfrontiert sehen. Da wurde uns für einen profiliert christlichen Lebens- und Glaubensweg ein notwendiger erster Schritt werbend nahe gelegt: uns den eigenen „Versuchungen“ zu stellen.

Wenn man die liturgische Ordnung für die Bibellesungen an den Sonntagen der Fastenzeit näher anschaut – und Gottes aktuelles Wort daraus bei sich ankommen lässt, kann man sich nur wundern, wie viel menschlich-psychologische Weisheit in dieser Leseordnung steckt. Denn es geht ja weiter:

Am 2. Fastensonntag (vgl. Matthäus 17,1-9) ging es um den Konflikt der Jünger mit sich selbst und mit Jesus, der sie aufmerksam gemacht hatte: Sie waren auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem auf dem Weg in die „Höhle des Löwen“ und müssen seinem Tod ins Auge schauen. Dem dagegen protestierenden Petrus hatte Jesus nur noch sagen können: „Weg mit dir, Satan!“ (vgl. Markus 8,33)

In dieser Situation musste er ihnen einfach helfen!

Da kamen sie auf dem Weg von Galiläa nach Süden am Berg Tabor vorbei. (Diesen Berg identifiziert jedenfalls die Tradition, nicht die Bibel selbst.) Jesus nahm Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und ging mit ihnen den Weg hinauf. Im Lukas-Evangelium heißt es, Jesus sprach mit ihnen über sein Ende, das in Jerusalem auf ihn wartete (vgl. Lukas 9,31). Im Licht der biblischen Botschaft, wie sie von Mose und Elija in der Bibel steht, sollten diese drei Männer den beängstigenden Weg nach Jerusalem neu sehen. Und dabei ging ihnen ein Licht auf: Herrlich! Göttlich! Dieser Weg führt ja zur wunderbaren Erneuerung der Welt, wenn Jesus ihn bis ans entsetzliche Ende geht!

Und dann war das wieder weg. Die irdischen Niederungen mit dem in Aussicht stehenden Leid traten ganz schnell wieder in den Vordergrund. Aber jetzt gingen sie anders weiter, nachdem ihnen in der biblischen Verklärung ihres Entsetzens Gottes Herrlichkeit aufgeblitzt war. Johannes, dem das 4. Evangelium zugeschrieben wird, wird später die Kreuzigung von Jesus seine „Verherrlichung“ nennen (vgl. z.B. Johannes 13,31).

Wenn das auch für uns der Weg sein soll, auf dem wir zu der Jubel auslösenden Erfahrung kommen sollen: „Macht die erschlafften Hände wieder stark … Seht, hier ist euer Gott!“ (Jesaja 35,3), dann stellt sich natürlich die Frage, wie so etwas bei uns aussehen kann. Diese Frage ist von zentraler Wichtigkeit und braucht Zeit für ihre Klärung; eine vorschnelle Beantwortung könnte nicht tragfähig genug sein.

Nun – der entsprechende Weg der Klärung („Ver-Klärung“?) geht ja weiter: Heute sind wir am Vorabend des nächsten, des 3. Fastensonntags. Da geht das Evangelium genau auf diese Frage ein:

Die Situation, die die Erzählung im Johannes-Evangelium (Johannes 4,5-42) voraussetzt, ist kein spektakuläres Ereignis, weder Naturkatastrophe noch Naturwunder. Eher alltäglich. Aber eben darum so leicht als typisch für uns alle und als zeitlos zutreffend erkennbar. Es geht um einen Menschen, der an seiner Lebenssituation zu leiden hat:

Eine Frau mit schlechtem Ruf braucht frisches Wasser. Der Brunnen ist außerhalb des Ortes. Um unangenehmen Begegnungen aus dem Weg zu gehen, macht sie diese Schlepperei in der Mittagshitze, zur damals so genannten 6. Stunde. Und dann trifft sie am Brunnen auf Jesus, der sich da gerade ausruht. Von ihm sieht sie sich im Gespräch veranlasst zu sagen, was mit ihr los ist. Im Unterschied zu den Leuten im Ort macht ER ihr allerdings keine Vorhaltungen, sondern vermittelt ihr die Erfahrung ungeschmälerter Wertschätzung für sie.

Diese Begegnung krempelt ihr Leben um: Den Wasserkrug, symbolischer Inbegriff ihrer Maloche und Belastung, braucht sie jetzt nicht mehr; sie lässt ihn einfach stehen. Aus dem Häuschen, wie sie ist, rennt sie in den Ort und trommelt die Leute zusammen. Und die lassen sich jetzt sogar von ihr was sagen und in Bewegung setzen. Durch das Zeugnis dieser Frau neugierig geworden, suchen sie nun selber die Begegnung mit Jesus und sehen als Ergebnis in ihm den „Retter der Welt“, wie sie sagen. Die Frau sehen sie jetzt auch mit anderen Augen; sie hat ihr verloren gegangenes Ansehen wieder gefunden.

Menschen, die in Jesus den Christus, den Messias, den Retter, …  zu sehen bekommen haben, erkannt haben, sehen eben nun die ganze Welt mit neuen Augen. Und das wird dann am 4. Sonntag auf dem Weg zum Osterfest im Evangelium aufgegriffen: In der Begegnung mit Jesus erfährt der von Natur aus „blinde“ Mensch, wenn er sich auf Jesus einlässt, seine Blindheit neu und wird damit ein Sehender. (vgl. Johannes 9,1-41)

Ja am 5. Sonntag wird es noch krasser: Der Mensch wird aus seinen Gräbern herausgerufen, und Jesus gelingt es tatsächlich, Menschen dazu zu bewegen, den Stein vom Grab des Lazarus wegzuwälzen. Das Wunder des Glaubens! (vgl. Johannes 11,1-45)

Menschen, die sich auf dem Weg durch die Fastenzeit für diese immer stärker werdende Botschaft des Retters Jesus Christus aufschließen lassen, brennen dann darauf, IHN zu feiern: Sie begreifen dann neu, wie Er zu ihnen steht und lassen sich – verkehrte Welt! – von Ihm den Dienst der „Fußwaschung“ antun (Johannes 13,1-15). Ihr Entsetzen über die grausame Kreuzigung wandelt sich in Bewunderung für Seine liebende Hingabebereitschaft und in verehrende Anbetung. Um dann in der Osternacht neu anzufangen, von ganzem Herzen das unfassbare Ereignis Seiner Auferstehung zu preisen und sich in Seine Bewegung zur Erneuerung der Welt zu integrieren. So dass alle nach Heilung dürstenden Situationen bedrängter Menschen in diese Bewegung hinein wachsen können.

Rainer Petrak
Fastenpredigt am 26.3.2011 in St. Johannes Ap. Frankfurt-Unterliederbach (leicht verändert)

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