Gut gemeinte Predigten reichen nicht. Auch nicht am 1. Mai. Die kann sie einfach nicht mehr hören. Die alleinerziehende Mutter mit ihrem stressigen Job in der Krankenpflege holt ihr Kind mal wieder verspätet aus dem Kindergarten ab, weil sie schließlich die Frau nicht mit Gewalt aus der Dusche hatte holen können, um ihr die Insulinspritze in den vorgeschriebenen 3 Minuten zu setzen.
Die gepredigte Ermutigung, doch zu ihrer Würde zu stehen und auch mal den Mund aufzumachen, hat sie dann bei Schichtende gegenüber der Chefin zu noch mehr Verspätung veranlasst. „Ja, wenn die Politik den Pharma-Firmen eben so einen Habgier-Anteil aus dem Topf zuschustert, dann kann ich für den verbleibenden Lohnanteil das Personal nicht zufriedenstellend bezahlen, geschweige denn mehr Kräfte einstellen …“
Sie ging dann lieber. Das Kindergartenpersonal will schließlich auch Feierabend haben. Glücklicherweise traf sie dort mit ihrem Frust auf einen Vater, der auch gerade sein Kind abholte. „Bei uns in der Kirche gibt es mehr als gut gemeinte Predigten“, meinte er. „Ob Sie eine gute Arbeit haben und guten Lohn dafür bekommen oder nicht – , das ist Gott doch nicht egal!! Wir in der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung) üben Solidarität. Kommen Sie doch mal mit! Zum Beispiel am 1. Mai zur DGB-Kundgebung!“
Und dann zeigte er ihr den Aufruf der KAB zum 1. Mai.